Generalist mit Teamgeist

Von Franca Siegfried ‒ 5. Oktober 2023

Konstantin von Schulthess, Gründer eines Biotech Start-ups, amtet seit letztem Sechseläuten auch als Zunftmeister. Ein Leben zwischen zukunftsweisender Technologie, dem historischen Zürich und seiner Familiengeschichte.

Konstantin von Schulthess gibt Vorfahren Raum im Wohnzimmer – eine Gegenwelt zur Tätigkeit in zukunftsweisender Biotechnologie. (Bild: fms)
Konstantin von Schulthess gibt Vorfahren Raum im Wohnzimmer – eine Gegenwelt zur Tätigkeit in zukunftsweisender Biotechnologie. (Bild: fms)

Enteignung im Namen des Fortschritts. In der Euphorie der Verkehrsentwicklung in den 1970er-Jahren wurde alles beseitigt, was im Weg stand. Auch das Haus der Familie von Schulthess. Der Bau des Milchbuck-Strassentunnels als Autobahnzubringer für die A1 besiegelte das Schicksal der Familie. Grossvater von Schulthess zog «aufs Land» nach Zollikon. Aus diesem Grund wohnt heute sein Enkel, Konstantin von Schulthess, an der Goldhaldenstrasse. In seinem pfirsichfarbenen Wohnzimmer dienen zwei Wände als Ahnengalerie. Die Ölgemälde in Goldrahmen hat er teilweise im Estrich entdeckt. «So sind immer Menschen bei uns in der Stube». Berührend findet er die Geschichte, die ihm seine Tante erzählt hat. Demnach waren die beiden Ur-Ur-Urgross-Onkel in das gleiche Fräulein verliebt. Der Vermögendere eroberte die Herzensdame. Der Verschmähte zog in seiner Trauer nach Österreich, wo ihm der Adelstitel «von» verliehen wurde. Zuletzt lebte er in München, alle nannten ihn den «Onkel aus München». Das Prädikat «von» und den Zweitnamen Rechberg tragen die Nachfahren heute noch. Das Palais Rechberg beim Neumarkt hatten die beiden Brüder zu Beginn des 18. Jahrhunderts gekauft, und noch der Urgrossvater kam dort zur Welt. «Schon in den 1750er-Jahren gründeten meine Vorfahren eine Familienstiftung», erzählt Konstantin von Schulthess. «Durch die Stiftung wissen wir recht gut über unsere Vorfahren Bescheid und kennen uns auch in der weiteren Familie.»

Anders als sein Lebensplan

Aufgewachsen ist Konstantin von Schulthess in Witikon, in der Stadt besuchte er das Gymnasium Rämibühl: «Ich war ein begeisterter Pfadi, organisierte Lager und erlebte so, was man im Team erreichen kann.» Mit Menschen zu tun haben, das wollte er auch in seiner beruflichen Karriere. Mit dieser jugendlichen Erwartung begann er das Studium an der Universität St. Gallen. Da ihn die Betriebswirtschaft im Grundstudium aber langweilte, entschied er sich für Rechtswissenschaft – sein Vater war Jurist. Als er dann wochenlang Bundesgerichtsentscheide studierte, wusste er, dass das nicht sein Beruf sein wird, absolvierte die Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer und lernte doch noch Bilanzen lesen. «In Praktika neben dem Studium lernte ich diverse Branchen kennen. Heute würde ich mich als Generalist bezeichnen».

Das Highlight seines Werdegangs war das MBA-Studium am Babson College bei Boston – plötzlich faszinierte ihn die Betriebswirtschaft. In den USA lebte er von 2003 bis 2005 mit seiner Frau: «Patricia begegnete ich in Chile beim Besuch eines Studienfreundes. Als unsere erste Tochter unterwegs war, mussten wir uns entscheiden, wo wir mit unseren Kindern leben möchten – USA, Schweiz oder Südamerika.» Die Wahl fiel auf Basel. Dort bot ihm die Pharmabranche eine gute Stelle. Die Familie zog mit der kleinen Sophia nach Therwil BL. «Beruflich spannend, privat aber etwas weit weg von unseren Freunden in Zürich.» In der Zwischenzeit kam Tochter Isabel auf die Welt. Die nächste Station war die ESBATech, ein Start-up in Bio-Technologie in Schlieren, das letztendlich an Novartis ging. Dort verdiente er als Finanzleiter den Lebensunterhalt für seine Familie. Sein dynamisches Berufsleben hatte eine Konstante – die Verwaltung der ­Finanzen. «Das war nicht mein ­Lebensplan», lacht er. «Mir ist aber viel wichtiger, mit wem ich etwas mache, als was ich mache.» Die Ausbildung zum Business Coach nach der Integration des Start-ups in die Novartis brachte ihm die ­Erfahrung als Selbstständiger – seine Firma nannte er Goldhalden. «In dieser Zeit ist meine Bewunderung für alle Menschen gestiegen, die über Jahre selbstständig arbeiten.»

Gründer in Start-ups

Ein weiterer Zufall des Lebens. 2017 wurde er von ehemaligen Kollegen der ESBATech angefragt, ob er als Gründer in ein Start-up einsteigen möchte. CDR-Life entwickelt Immuntherapien gegen Krebserkrankungen. Konstantin von Schulthess ist als CFO für die Finanzen der Biotechfirma mit nun schon über 60 Mitarbeitenden zuständig. In der Zwischenzeit ist die Firma nach Horgen Oberdorf gezogen. «Wenn alles gut geht, werden wir nächstes Jahr die ersten klinischen Studien in den USA und in Europa beginnen können», erklärt er. «Die Medikamentenentwicklung von der Idee bis zum Markt dauert zehn bis zwölf Jahre, wir befinden uns im sechsten Jahr.» Einer der fünf Gründer von CDR-Life stammt aus der berühmten Zürcher Familie Escher. «Mein Ur-Urgrossvater, sein Portrait hängt über dem Sofa, war auch Bankier und hat damals zusammen mit Martin Escher-Hess in Eisenbahnen investiert. Heute, rund 150 Jahre später, investiere ich mit einem Escher in neue Behandlungsmethoden, um das körpereigene Immunsystem zur Abwehr von Tumoren zu mobilisieren.»

Zerknautschtes Hundebett

Neben Konstantin von Schulthess’ Engagement in die zukunftsweisende Biotechnologie bestimmen auch die familiären Wurzeln sein Leben. Am letzten Sechseläuten hat die grösste Zunft ihn zum neuen Zunftmeister gewählt – die Zunft zur Meisen: «Es gibt viel zu organisieren, aber ich bin seit Bub in der Zunft und wusste, was mich erwartet.» Sein neues Amt passt zu seinem Verständnis für Geschichte und sein Interesse an Menschen. Es ist ein guter Ausgleich zu Investoren und Finanzierungen. «Ich gehe manchmal meinen Töchtern auf die Nerven, wenn ich an keinem historischen Haus, keiner Kirche und keinem ­Museum vorbeigehen kann, ohne etwas zur Geschichte zu erzählen.» Sie müssen schon mit dem Geschichtsunterricht im Gymnasium und der Ahnengalerie im Wohnzimmer leben. Einen charmanten Kontrapunkt setzt das zerknautschte ­Hundebett von Familienliebling Vito auf dem edlen Parkett. Der weisse Vierbeiner kümmert sich nicht um Vorfahren, Adelsprädikat und Familiensitz. Er will Streicheleinheiten, Spielen mit Gummiball, Leckerli und lange Spaziergänge durch Zollikon.

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