Von Franca Siegfried ‒ 19. Oktober 2023
Seit dem 12. Oktober läuft in 42 Schweizer Kinos der Dokumentarfilm «Beyond Tradition – Kraft der Naturstimmen». Die Zollikerin Rahel von Gunten hat ihn als Regisseurin mit Lea Hagmann und dem Alpenfilmer Thomas Rickenmann gedreht und zusammen mit SRF produziert. «Wir erwarten jetzt die ersten Besucherzahlen», sagt Rahel von Gunten. «Es ist ein knallhartes Business, falls die Zahlen die Erwartungen nicht erfüllen, ist der Film in drei Wochen vom Programm gestrichen.» Die Chancen stehen gut. Zumindest sorgte der Beitrag im Schweizer Fernsehen mit dem Trailer zur Hauptsendezeit in «10vor10» für überraschende Reaktionen eines breiten Publikums. In ihrem Film begleitet Rahel von Gunten den Appenzeller Jodler Meinrad Koch auf der Suche nach Traditionen von Naturjodel in andere Kulturen, etwa zu den norwegischen Sami mit ihren Joik-Gesängen und nach Georgien, wo Jodeln nochmals anders klingt. Der Film wird nebst anderen Sponsoren auch von Swiss Films und dem Bundesamt für Kultur (BAK) unterstützt.
Wie kommt Rahel von Gunten dazu, sich für diese Tradition zu interessieren? «Als Kind habe ich oft meinen Onkel Kurt im Berner Oberland besucht», erzählt sie. «Im Sommer waren seine Tiere auf der Alp, dort oben hat es mir besonders gut gefallen. Ich sah zu, wie die Älpler Käse machten, hörte sie jodeln und wollte es selber lernen.» Diese Bergwelt, die Tiere, Licht, Wiesen und Kräuter, Düfte, der Naturgesang – alles hätte sie damals sehr berührt. Sie berichtet davon, dass sie als Kind an Krebs erkrankt ist und diese schwere Zeit sie geprägt hat. Das Mädchen war jedoch stärker als der Krebs: «Es ist ein grosses Geschenk, dass ich leben darf – wieder gesund bin und eigene Wege gehen kann – es ist ein zweites Leben voller Kraft.» Geld sei vergänglich, interessiere sie nicht besonders. Menschen zu begegnen, über ihr Leben zu erfahren, das sei ihr Reichtum. Nach dem Gymnasium Unterstrass besuchte sie die Pädagogische Hochschule in Zürich und stand als junge Lehrerin vor ihrer ersten Schulklasse. Bald wusste sie, dass sie sich um Kinder kümmern will, die besonders viel Aufmerksamkeit benötigen – und absolvierte die Hochschule für Heilpädagogik (HfH) in Zürich. Die Masterarbeit «Haltestelle Kinderkrebs» war ihr erster Dokumentarfilm und ein Stück persönliche Geschichte. Damals war Thomas Rickenmann ihr Dozent.
Später vertiefte sie ihr Wissen mit einem «Certificate of Advanced Studies» (CAS) für Dokumentarfilme und assistierte Thomas Rickenmann bei drei Alpenfilmen. Heute arbeitet sie nebst ihren Filmprojekten zwei Tage die Woche in Zürich als Heilpädagogin. Seit anfangs Jahr wohnt sie in der Berner Altstadt. Ihre Erzählungen unterstreicht Rahel von Gunten oft mit einem Lachen – auch wenn sie von ihrem treuen Vierbeiner berichtet: «Tilli hat sogar ein GA.» Die Labradorhündin ist eine Schulbegleithündin und unterstützt den Unterricht in der Heilpädagogischen Schule. «Die Kinder lieben Tilli, sprechen mit ihr, streicheln sie, in schwierigen Momenten ist Tilli für sie da und hört zu.» Einmal die Woche übernachtet Rahel von Gunten im Dachstock ihres Elternhauses an der Rotfluhstrasse in Zollikon.
In ihrem neuen Projekt befasst sie sich nicht mehr mit Musiktraditionen gutturaler und nasaler Klänge. Seit 2021 begleitet sie eine Zirkusfamilie. Sie wohnt in einer umgebauten Fensterfabrik im Toggenburg. Die erwachsenen Töchter pflegen die Familientradition mit poetischen Nummern. Die Älteste hat in New York sogar ein eigenes Varieté aufgebaut. Der Vater zeigte mit seiner Nummer «Sanddorn-Balance» die hohe Kunst des Gleichgewichts anhand eines poetischen Mobiles aus Palmblattrispen und Federn. Der Cirque du Soleil integrierte diese Nummer in seine internationale Show. Die Nachricht vor einigen Monaten, dass der Vater verstorben sei, bremst das Projekt: «Es braucht Zeit, bis die Familie ihre Trauer verarbeitet hat.» Rahel von Gunten dokumentiert Geschichten mit Respekt und Einfühlungsvermögen. Dafür bewegt sie sich zwischen Stadt und Land: «Kontrast ist mir wichtig, etwa Bern mit den unterschiedlichen Kulturen und ländliche Gegenden wie das Toggenburg – ich liebe die Vielfalt.» Während der Herbstferien ist sie für eine Yogawoche ins Wallis gereist. Die vergangenen Wochen waren intensiv: mit Vorpremieren, Interviews und all den positiven Reaktionen von Freundinnen, Freunden, Bekannten und Medien auf den neuen Film. Das Gespräch mit dem Zolliker Zumiker Boten führte sie am Telefon vor der ersten Yoga-Stunde. Sie erzählt lebendig, offen, kraftvoll und erstaunlich abgeklärt für eine 40-Jährige. Und wo ihre Worte enden, beginnt ihre Filmsprache.
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