«Es lohnt sich immer, alte und rare Sorten anzubauen»

Von Joël J. Meyer ‒ 15. März 2024

Die Tage werden länger und wärmer, der Garten lockt. Mira Oberer, Leiterin der Samen­bibliothek von «ProSpecie­Rara», spricht über den Anbau alter Pflanzensorten im modernen Garten.

Die Etagenzwiebel ist vermutlich aus der Kreuzung einer Küchen- und Lauchzwiebel hervorgegangen. Sie wächst in die Höhe und eignet sich auch gut für den Gemüseanbau auf dem Balkon. (Bild: zvg)
Die Etagenzwiebel ist vermutlich aus der Kreuzung einer Küchen- und Lauchzwiebel hervorgegangen. Sie wächst in die Höhe und eignet sich auch gut für den Gemüseanbau auf dem Balkon. (Bild: zvg)

Frau Oberer, der Frühling naht und viele freuen sich bereits auf das Gärtnern. Was raten Sie den Leuten bei der Auswahl der Saat?

Wichtig ist, die Platzverhältnisse und die Sonneneinstrahlung zu berücksichtigen. Beim Gemüse bevorzugen die meisten Arten ein sonniges Plätzchen. Bei der Sortenwahl sollte man die Jahreszeit berücksichtigen. Zum Beispiel beim Salat gibt es solche, die für den Frühling, den Sommer oder gar Herbst und Winter geeignet sind.

Spielt es für die Gesundheit des Gartens eine Rolle, wenn jedes Jahr dasselbe angepflanzt wird?

Im Gemüsebeet sollte man eine Fruchtfolge einhalten. Am besten macht man eine kleine Zeichnung der Beete und trägt jeweils ein, was man pflanzen möchte. Zwischen den jeweiligen Pflanzenfamilien sollte man eine Pause von etwa vier Jahren einhalten. Für die sonnenhungrigen und wärmeliebenden Sorten gibt es im Garten meist nur einen idealen Platz. Dann muss man darauf achten, dass kranke Pflanzen möglichst rasch entfernt werden, damit sich Keime an dieser Stelle nicht ansammeln können.

Lohnt es sich bei einem bereits vielfältigen Garten, alte oder seltene Pflanzen auszusäen?

Es lohnt sich immer, alte und rare Sorten anzubauen, damit diese Pflanzen nicht in Vergessenheit geraten und verschwinden. Der beste Schutz für rare Sorten ist, dass sie angebaut und genutzt werden. Es geht dabei nicht nur um ihr vielleicht spezielles Aussehen oder ihren besonderen Geschmack, sondern auch um den Erhalt ihrer Genetik. Stirbt sie aus, ist sie für immer verloren.

Trägt es dem Erhalt seltener Pflanzenarten bei, wenn Privatpersonen sie im kleinen Rahmen kultivieren?

Ja unbedingt, jeder Beitrag – und sei er noch so klein – ist wichtig!

Sind diese Pflanzen schwieriger anzubauen?

Nein, nicht unbedingt. Wenn wir zum Beispiel von alten Tomatensorten sprechen, so unterscheidet sich deren Anbau nicht von modernen Sorten. Tomaten möchten grundsätzlich nicht im Regen stehen, aber gewisse moderne Sorten haben vielleicht Resistenzen, die man ihnen angezüchtet hat. Es gibt aber auch besonders robuste alte Sorten, deren Genetik wieder für die Züchtung neuer Sorten verwendet werden kann.

Ist es nicht anders als natürlich, wenn gewisse Pflanzenarten aussterben?

Wir müssen unterscheiden zwischen Arten und Sorten. Wir sollten alles versuchen, dem Artensterben entgegenzuwirken, da jede Art ihre Funktion im ganzen System hat. Bei den Sorten, den Untergruppen der Art, sieht es etwas anders aus. Tatsächlich sind Sorten nicht nur wegen der Agrarrevolution oder Globalisierung verschwunden, sondern manchmal auch, weil sie zu wenig gute Eigenschaften hatten, den Umwelteinflüssen nicht standhalten konnten oder ganz einfach zu wenig vital waren. Trotzdem ist es wichtig, möglichst viele Sorten und damit einen möglichst breiten Genpool zu erhalten, auf den bei Bedarf züchterisch zurückgegriffen werden kann – sozusagen als Rückversicherung für die Zukunft.

Ist das Saatgut alter Pflanzen den neueren Sorten genetisch überlegen?

Ich würde nicht zwischen besser und schlechter unterscheiden, es sind unsere Bedürfnisse und Lebensformen, die sich geändert haben und damit auch die Sorten, die wir verwenden. Früher wurde Gemüse viel kleinräumiger und von Hand, dafür in grosser Vielfalt angebaut. Mit der Agrarrevolution und der maschinellen Bearbeitung der Felder haben sich die Ansprüche geändert. Es wurde wichtig, dass in wenigen Erntedurchgängen geerntet werden kann, die Früchte Transporte überstehen und auch im Laden noch eine Weile gut aussehen.

Schmecken alte, urtümliche Gemüse­sorten besser als die kommerziell erhältlichen?

Bei Degustationen vergleichen wir jährlich alte mit neuen Sorten aus dem Handel. Oft fällt auf, dass der moderne Geschmack stark verallgemeinert wurde, damit er für möglichst viele Menschen passt. Es macht auch einen Unterschied, ob Gemüse im Gewächshaus reift oder unter freiem Himmel an der Sonne. Auch die Menge an Wasser und Dünger hat einen Einfluss auf den Geschmack.

Gibt es eine seltene Pflanze, die unbedingt die Rückkehr in den Garten verdient?

Durchaus, zum Beispiel die Haferwurzel, eine Verwandte des Wiesenbocksbarts. Mitte des letzten Jahrhunderts diente die «Weisswurzel» unter anderem als Salat, Gemüse- und Suppenpflanze und als Kaffeeersatz. Sie kann auch gekocht werden; der Geschmack ist wunderbar artischockenähnlich. Mit dem Aufkommen der Schwarzwurzel wurde sie verdrängt und fast vergessen.

Wo erhalten Interessierte seltene Samen?

Im Online-Sortenfinder unserer Stiftung, in welchem über 3800 Sorten aufgeführt sind, findet man bei vielen Sorten eine Bezugsquelle. In der Schweiz gibt es verschiedene Anbieter und Produzenten. «Sativa Rheinau» bietet ein breites Sortiment an, aber auch «Artha ­Samen» oder «Zollinger Bio» haben ein schönes Sortiment an alten und ­raren Sorten. Auch in grösseren Coop-Verkaufsstellen und bei ­Jumbo findet man eine Auswahl.

Gibt es eine seltene Pflanzensorte, die Ihnen besonders ans Herz gewachsen ist?

Die Etagenzwiebel hat es mir seit jeher angetan. Ich habe sie in meiner Jugend entdeckt und war fasziniert von dieser besonderen, skurrilen Wuchsform. Seither begleitet sie mich und liefert mir schon früh im Jahr frisches Grün. Ich habe schon an unzählige Menschen Brutzwiebelchen abgegeben, auf dass sie sich ebenfalls an diesem besonderen Gewächs erfreuen.

Mira Oberer vom Zollikerberg hat Umwelttechnologiewesen studiert und arbeitet seit 13 Jahren bei «ProSpecieRara», der Schweizerischen Stiftung für die kulturhistorische und genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren. Als Samenbibliothekarin und Saatgutexpertin kümmert sie sich um die Vielfalt von Garten-, Acker- und Zierpflanzen und hilft so, seltene Sorten vor dem Aussterben zu bewahren.

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