Von Franca Siegfried ‒ 21. Juni 2024
Das Zunftabzeichen am blauen Sakko sitzt Felix Huber im Zürcher Kongresshaus mit Blick auf den Sechseläutenplatz. Heute trägt er weder Schuhmacherschürze noch Zipfelmütze – sein Kostüm der Vereinigten Zünfte zur Gerwe und zur Schuhmachern. Der Jurist amtiert derzeit als Zunftmeister der «ledrigen» Zürcher Zünfte. Diese sind im Hotel Savoy am Paradeplatz seit 100 Jahren zu Gast. Die Inneneinrichtung des Zunftzimmers mit Wappentafeln, farbigen Glasscheiben und Zürcher Wellenschrank gehört der Zunft. Wie kam es, dass sich die Zürcher Handwerkszünfte der Gerber und Schuhmacher 1877 zusammenschlossen und heute kein eigenes Haus mehr haben? Das Haus der Gerber versank in der Limmat. Der «Neumarkt», das Haus der Schuhmacher ging an die Stadt. Felix Huber erzählt Details aus dem Jahr 1789, als wäre er dabei gewesen: «Napoleonische Truppen erzwangen das Ende der Zunftherrschaft, und das heutige Sechseläuten hat den Ursprung in der geistigen, wie auch gesellschaftlichen Neuorientierung des städtischen Bürgertums.»
Am Sechseläuten vom 15. April war er als Zunftmeister mit Landammann Yves Noël Balmer, dem Ehrengast des Gastkantons Appenzell Ausserrhoden, an der Umzugsspitze unterwegs. Der Landammann sollte um 18 Uhr den Böögg auf dem Sechsläutenplatz anzünden. Starke Winde sabotierten das Zürcher Ritual, das Verbrennen des Winters in Gestalt eines Schneemannes aus Stroh, der eine Fliege mit dem Appenzeller Bären trägt. Yves Noël Balmer versprach vor laufender Kamera, der Böögg werde noch dieses Jahr in seinem Kanton brennen. Die Ausserrhoder Regierung bestimmte Ort und Datum: Am 22. Juni um 18 Uhr wird in Heiden der Stoss aus Zürcher Holz angezündet. «Voraussichtlich werden 1000 Zünfter mit Kindern in Kostümen und Trachten zu einem Zürcher-Appenzeller Volksfest anreisen.»
Auch Zunftmeister Huber wird sich die Handwerkerschürze überziehen. «Endlich können wir den Winter verabschieden», sagt er, und spricht für Viele, die den nassen Frühling satthaben. «Dieses Ritual war nicht als Prognose für einen guten Sommer gedacht. Im Jahr 2021 wurde der Böögg im Kanton Uri bei der Teufelsbrücke gegen «Corona-Viren» verbrannt. Sonst ist er noch nie über Zürichs Grenzen gereist.» Felix Huber erzählt, wie bei einem indischen Volksfest mit Freude Dämonenkönige aus Stroh verbrannt werden. Egal in welcher Kultur, das Erlebnis eines Volksfestes als kleine Flucht aus dem Alltag gehöre zum Menschsein. «Das gesellige Zusammensein fasziniert mich auch am Zunftleben.»
Wie kommt ein Jurist zur Zunft der Schuhmacher und Gerber? «Dank meinem Schwiegervater und meiner Frau Antoinette. In unserer Zunft gibt es seit Jahrzehnten keine Gerber und Schuhmacher mehr.» Im Mittelalter gab es Frauen als Zunftmitglieder, dank ihrem Witwenrecht am Zunftschein – das galt aber nur, bis die Witwe wieder einen Mann ehelichte. «Die Diskussion ‹Frauen in unserer Zunft› ist fortgeschritten; aktuell setzt sich eine Arbeitsgruppe mit den rechtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen auseinander, damit Zünfterstöchter Mitglieder werden könnten, die nötigen Beschlüsse und Akzeptanz vorausgesetzt.» Der Zunftmeister selber hat zwei Söhne, Tobias ist Betriebswirtschafter (29) und Cyrill Arzt (26). 1993 zog er mit seiner Frau Antoinette erst nach Zollikon, dann mit den Kindern in den Zollikerberg. Nach der Kinderpause engagierte sich Antoinette Huber im Betreuungshaus Rüterwis – sowie als Trachten- und Kostümdame der Zunft.
Felix Huber ist kein alter Zürcher, sondern in Winterthur und Elgg aufgewachsen. Nach der Matura studierte er Jurisprudenz an der Universität Zürich und fand Gefallen an der Stadt mit ihren unterschiedlichen Zünften. Während des Studiums zog es ihn nach Florenz, wo er Kunstgeschichte «schnupperte». Zurück in Zürich und nach Abschluss der Universität wirkte er zwölf Jahre lang als Kapitalmarktjurist bei der UBS Investment Bank, dann 18 Jahre als Rechtsberater bei PricewaterhouseCoopers und nun bei Grant Thornton. Neben seiner juristischen Tätigkeit leistete er Militärdienst als Kommandant bis zum Oberst im Generalstab, mit insgesamt 2000 Diensttagen. Das Leben des 63-Jährigen ist vielseitig bepackt, zumal das Engagement für die Zunft in seiner Freizeit geschieht. Er liebt es auch, mit seiner Frau und Familie in die Berge zu fahren, oft nach Klosters und ins Engadin. Mit dem Zürichsee verbindet ihn die Seeüberquerung, schwimmend natürlich. «Meine Badesaison war bisher im Oktober zu Ende. Das soll sich nun ändern. Ein Zunftfreund habe ihn zum «Chlausschwimmen» angemeldet», erzählt er lachend.
Während des erzwungenen Corona-Rückzugs in die Privatheit entdeckte er das Briefmarkensammeln wieder. Die Geschichte der Marken, die in Zürich mit den wertvollen «Züri 4» und «Züri 6» begann, verbunden mit der Gründung des Bundesstaates fünf Jahre später, fasziniert ihn. Schon kennt er einige Sammler und hat erste Auktionen besucht. «Es geht immer und überall um das Gleiche – um eine eindrückliche und sozial nachhaltige Zusammenkunft von Gleichgesinnten mit Freude, Spass und der aktiven Pflege von Traditionen und gemeinsamen Werten. Darum freuen wir uns auch, am Samstag in den Gastkanton Appenzell Ausserrhoden zu fahren, um dort den «wahrlich höchsten Zürcher» zu verbrennen. Die Reise unseres Bööggs wird sich bestimmt lohnen.»
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