Von Franziska Müller ‒ 5. Juli 2024
Lucas Roos ist passionierter Schwimmer, Sportjournalist, Texter, Schriftsteller. Zu all diesen Disziplinen kam er jedoch spät, über Umwege und per Zufall. Oder er musste warten, weil die Zeit noch nicht reif war. Die Schule sei eher zäh dahingeflossen, genauso wie die Ausbildung am Lehrerseminar in Küsnacht. «Eine Pflichtübung», erzählt er. Nicht aber der Eintritt in den Schwimmklub Zollikon. Das Wasser war sein Element. Als das Schwimmbad Fohrbach 1972 eröffnete, war er gerade 18 Jahre alt. Von diesem Moment an schwamm er. Und er war schnell. So zog er die Aufmerksamkeit der Trainer auf sich, holte den Trainingsrückstand auf und lancierte einen unverhofft erfolgreichen Einstieg in die Spitzenklasse. «Eigentlich war ich mit 18 Jahren schon zu alt, um eine Karriere als Schwimmer zu starten.» Es habe lange gedauert, bis er sein Talent überhaupt entdeckte, denn es gab schlicht kein Schwimmbad in der Umgebung. Wenn er zweifelte oder mit seiner Leistung haderte, vergegenwärtigte er sich Hans Schmid, den einbeinigen Langstreckenschwimmer, mit dem er zusammen trainierte. Wenn dieser es geschafft hat, dachte Lucas Roos, kann ich das auch. Im Herbst 1974 wechselte er in den professionell geführten Zürcher Schwimmklub Zürileu und wurde bereits im Sommer 1975 als vierter Mann der 4×200-Meter-Freistil-Staffel in die Schweizer Nationalmannschaft aufgenommen. 1978 siegte er an den nationalen Meisterschaften über 200 Meter Freistil und krönte sich zum Schweizer Meister. Nur Monate später wurde der Höhenflug jäh gestoppt: Der Bänderriss im Kniegelenk beim Ballspiel im Trainingscamp läutete das Karriereende ein.
Lucas Roos kam als Siebenjähriger mit seiner Familie via Basel und Teheran nach Zollikon. «Der Schweizbezug hat mit der Geschichte meines Vaters zu tun, der ursprünglich Holländer war», erzählt er. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei sein Vater mehr tot als lebendig, lungenkrank und abgemagert im November 1945 nach Davos in ein Sanatorium gebracht worden. Als Widerstandskämpfer gegen das Naziregime in den Niederlanden hatte er die Inhaftierung knapp überlebt. Wäre die Befreiung durch die Alliierten nur wenig später erfolgt, gäbe es den Familienzweig mit Lucas und seiner Familie nicht. Dank dem Klinikaufenthalt in den Bergen konnte der Vater als gesunder Mann nach Amsterdam zurückreisen, liess sich jedoch schon ein paar Monate später in Basel nieder. Als Angestellter einer Versicherungsgesellschaft reiste er, machte Karriere und zog mit seiner Familie 1961 nach Zollikon. Lucas war noch ein Schulkind. «Ich vermute, mein Vater brauchte ein neues Umfeld, um die belastenden Erinnerungen des Krieges hinter sich zu lassen. Er sprach kaum über die Erlebnisse während der Besatzung. Aus heutiger Sicht würde man von einer posttraumatischen Belastungsstörung sprechen. Damals gab es keine psychologische Care-Arbeit für die Opfer.» Und doch, ergänzt er, müsse der Vater eine hohe Resilienz gehabt haben. Ein kraftvolles seelisches Fundament, wohl dank der liebevollen Familie, in der er aufgewachsen sei.
Diesen prägenden Teil der Familienchronik hat Lucas Roos’ Vater im Rahmen seines Lebenslaufs auf fünf Seiten festgehalten. Eine dramatische, leider aber auch lückenhafte Geschichte mit einigen Ungereimtheiten und offenen Fragen. Keimte hier in Lucas Roos die Idee, ein Buch über die Erlebnisse des Vaters im Widerstand zu schreiben? Die Zeit sei noch nicht reif gewesen, sagt er. Unmittelbar nach der Pensionierung wollte er eine Struktur haben. «Ich brauchte eine Aufgabe und suchte den Austausch mit Menschen.» Er engagierte sich in ehrenamtlichen Tätigkeiten und unterstützte beim Roten Kreuz Menschen bei der Stellensuche oder schrieb beim Zürcher Schreibdienst Bewerbungen und Lebensläufe. Erst 2021 nahm er den Faden zum Buchprojekt wieder auf. Ausschlaggebend war eine spezielle Fügung nach dem Tod des Vaters. Ein unbekannter Holländer kontaktierte ihn; die Todesanzeige des Vaters, online in der NZZ erschienen, hatte eine digitale Spur hinterlassen.
Der Holländer war ein entfernter Verwandter eines Mitglieds der Widerstandsgruppe, in der auch Lucas Roos’ Vater mitgewirkt hatte. Überraschenderweise kamen durch diesen Mann aus Amsterdam viele entscheidende Informationen zusammen; es gab Widersprüche zur väterlichen Version, aber auch Ergänzungen. «Auf diesen Moment hatte ich gewartet. Jetzt war ich motiviert, die Geschichte kam endlich ins Rollen.» Und so tat er, was er sehr gut konnte; er recherchierte, sammelte, glich ab … und schrieb. Und verwob im Buch «Der Untertaucher» die Geschichte seines Vaters mit der Zeitgeschichte von damals zu einem Roman von beunruhigender Aktualität. Dieser Bezug ist ihm wichtig. «Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt sich 2025 zum achtzigsten Mal. Wieder gibt es nationalistische Bewegungen in Europa, totalitäre Regimes und Kriege weltweit, die nur Opfer fordern.» Mehrere Gründe brachten ihn dazu, dieses Buch zu schreiben. «Einerseits wollte ich etwas erschaffen, das über meine Reichweite als Werbetexter von damals hinausgeht – etwas das bleibt.» Denn die unzähligen Texte, die er in all den Jahren für verschiedenste Unternehmen und Organisationen geschrieben habe, hatten keinen Bestand. Andererseits habe er das Buch als eine Art Vermächtnis für seine Familie geschrieben. «Ich wollte meinen Töchtern etwas Wichtiges hinterlassen. Die Geschichte des Grossvaters könnte diese Botschaft sein, die bleibt.»
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