«Jetzt bin ich in Afrika. Jetzt ist alles anders.»

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 12. Juli 2024

Als Präsidentin des Vereins «Aktion Bujumbura» besucht Ursula Hartmann regelmässig Burundi, das aktuell ärmste Land der Welt, wo das Hilfswerk körperlich beeinträchtigte Kinder unterstützt.

Ursula Hartmann mit Kindern in Burundi. (Bild: zvg)
Ursula Hartmann mit Kindern in Burundi. (Bild: zvg)

Eigentlich sei sie wie die Jungfrau zum Kind gekommen, erzählt Ursula Hartmann. Die Zumikerin glaubt jedoch, dass jeder Mensch seine Bestimmung, seine besondere Aufgabe hat. Eine Bestimmung im Leben dieser engagierten Frau ist, Kindern im fernen Burundi zu helfen.

2001 beginnt mit einer Reise nach Madagaskar. Von der Mission Aktion Bujumbura ahnte sie noch nichts. Mit zwei Freundinnen war sie vier Wochen in dem Land unterwegs. «Mein Mann gönnte sich damals eine Velotour in den Rocky Mountains und ich mir diese ­Reise.» Schon da hatte sie ein Schlüssel­erlebnis. Mit Zelten und warmen Schlafsäcken waren die drei Frauen in den Bergen unterwegs. An einem Morgen hörte Ursula Hartmann ein Kind husten. Noch im warmen Schlafsack sitzend, öffnete sie den Reissverschluss des Zeltes. Davor stand ein kleines Mädchen, nur eingehüllt in ein dünnes Tuch.
Bereits vor der Rückkehr in die Schweiz war für Ursula Hartmann klar: Ich komme wieder, nicht als Touristin, sondern um mich nützlich zu machen. Die Möglichkeit bot sich schneller als gedacht. Kurze Zeit später erfuhr sie vom ehemaligen Präsidenten der Aktion Bujumbura, einem Bekannten ihres Mannes, dass ein Zyklon in einem Ausbildungszentrum des Vereins schlimme Schäden verursacht hatte. Einige Monate später, im Herbst 2002, besuchte sie im Auftrag der Aktion Bujumbura die zwei Ausbildungszentren.

Früher Kinderlähmung, jetzt Rachitis

Gemeinsam mit ihrem Mann und einigen Vereinsmitgliedern reiste sie 2006 zum ersten Mal in das Land, welches gerade 13 Jahre Bürgerkrieg überstanden hatte. «Trotzdem gab es noch nächtliche Schiessereien, eine schlimme Erfahrung.» Vor Ort konnten sie sich im Institut Saint Kizito ein Bild machen vom Engagement der Aktion Bujumbura. War es seinerzeit die Kinderlähmung, die Sorgen bereitete, ist es heute Rachitis, hervorgerufen durch die permanente Mangelernährung. Die Knochen werden nicht hart, sie verwachsen, es kommt zu Missbildungen und Schmerzen. «Die Kinder werden mangelernährt geboren, weil sich ihre Mütter, armutsbedingt, ebenfalls nur einseitig ernähren können. Wahrscheinlich sind verwandtschaftliche Verhältnisse zwischen den Eltern oder Gendefekte verantwortlich für die physischen Handicaps.»

In Saint Kizito wird versucht, die Beeinträchtigungen zu verbessern, wenn nötig mit chirurgischen Eingriffen. Anschliessend erhalten die Kinder die nötige Physiotherapie und orthopädische Hilfsmittel wie Gehhilfen, Prothesen und Rollstühle. Das Wichtigste ist jedoch die Schulbildung. 240 Mädchen und Jungen werden zurzeit unterrichtet. Fast alle wohnen auch in der Einrichtung.

Beeindruckt von diesem ersten Besuch kehrte Ursula Hartmann allein zurück. «Ich wollte nicht offiziell herumgeführt werden. Ich wollte hinter die Kulissen sehen.» Seitdem ist sie mit Leib und Seele dabei. Dank der Unterstützung ihrer Familie. Bevor sie Präsidentin wurde, ­signalisierten die vier Kinder und der Mann: Wir stemmen das hier zu Hause.

Zwei Mal im Jahr reist sie nach ­Afrika. In den ersten Jahren ging es via Frankfurt am Main über Addis Abeba nach Kigali und dann endlich nach Bujumbura. Mittlerweile sei sie so alt und gönne sich den Direktflug via Brüssel. Stehe sie nach der Landung mit beiden Füssen auf ­burundischem Boden, sage sie sich: Nun bin ich in Afrika, jetzt ist einfach alles anders. Auch wenn sie ­allein reise, habe sie nie Angst. Sie halte sich an bestimmte Regeln, zum Beispiel nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr draussen unterwegs zu sein. «Mir könnte ja genauso gut in Zürich etwas passieren.»

Benzin wird mit dem Velo geholt

Als Schweizerin ist sie Zuverlässigkeit gewohnt. In Afrika ticken die Uhren anders. Fast immer. Von einer Schweizer Entwicklungshelferin habe sie einen Taxifahrer «geerbt». «Wenn Dada sagt, er sei um neun Uhr morgens da, dann ist er um neun Uhr oder schon vorher da. Dada ist heute ein echter Freund, dem ich absolut vertrauen kann.»

Fehlendes Benzin ist seit Monaten das grösste Problem in Burundi. Der Staat hat keine Devisen und ist bank­rott. Armut und Hunger sind die Folgen. Es mangle nicht an Nahrungsmitteln. «Aber die Menschen haben schlichtweg kein Geld, etwas zu kaufen. Wasser, Strom und Internet fehlen oft. Der Alltag der Burundier ist extrem schwierig.»

Wichtig ist der Schweizerin und ihren Vorstandskollegen, dass sie nicht versuchen, eigene Ideen umzusetzen. «In Burundi habe ich gelernt zuzuhören und Fragen zu stellen. Die Verantwortlichen vor Ort präsentieren uns fundierte Projektideen, die wir unterstützen können.» Für das Zuhören muss man die Sprache verstehen. Die ­offizielle Sprache ist Französisch. «Ich bin heute meinem strengen Franzlehrer während der KV-Ausbildung dankbar», lacht sie. Ein kleines Kirundi-Vokabular hilft ihr, sich mit den Kindern in der Schule zu verständigen.

Rotes Blut in allen Adern

Am Anfang seien die Kinder sehr schüchtern gewesen und die Erwachsenen viel zu respektvoll. «Einmal sagte ich dem Direktor der Schule, dass in meinen Adern genauso rotes Blut fliesst wie in seinen.»
In den vielen Jahren ist die Zumikerin zahlreichen Mädchen und Jungen begegnet. Der beinamputierte Justin durfte die Schule nicht mehr besuchen, weil er für den Familienunterhalt auf dem Markt betteln musste. «Beim Einkaufen hat er mich gesehen und sich sofort versteckt.» Das war traurig. Aber es gibt auch die Geschichte von Thérence, der dank der Betreuung in Saint ­Kizito trotz schmerzhafter Knochen­tuberkulose seine Schulaus­bildung abschliessen und sogar das Unistudium beenden konnte. In ­einem Brief bedankt er sich bei ­Ursula Hartmann, «die mir auf meinem schwierigen Weg eine unschätzbare Motivation war».

Im November reist sie wieder nach Burundi. «Ich freue mich schon jetzt, die Kinder, das Team und viele Bekannte wiederzusehen. Wenn ich in die strahlenden Gesichter der Kinder schaue, ihr Lachen höre, sehe ich keine Beeinträchtigungen, sondern fröhliche, neugierige Kinder. Lebensfreude pur, nicht trotz, sondern mit Handicap.»

Werbung

Neuste Artikel

Newsletter

Dieses Feld wird benötigt.

ANMELDEN

Herzlich willkommen! Melden Sie sich mit Ihrem Konto an.