Soundtrack des Sommers

Von Franziska Müller ‒ 30. August 2024

Auch im Siedlungsgebiet gehören Heuschreckenkonzerte zu einem warmen Sommer. Wer da alles singt und zirpt und wozu dies dient, erklärt der Biologe Vincent Sohni auf einem lauschigen Abendspaziergang, der wie ein Käferfest anmutet.

Links: Jagdszene in der Abendsonne: Die Gruppe schwärmt aus und sammelt, was da hüpft, Beine, Flügel und Fühler hat. Die Ausbeute ist beachtlich, wurden doch zwei neue Arten für Zumikon gesichtet. Rechts: Die Larve des grünen Heupferds, eine der grössten einheimischen Heuschreckenarten. (Bilder: frm)
Links: Jagdszene in der Abendsonne: Die Gruppe schwärmt aus und sammelt, was da hüpft, Beine, Flügel und Fühler hat. Die Ausbeute ist beachtlich, wurden doch zwei neue Arten für Zumikon gesichtet. Rechts: Die Larve des grünen Heupferds, eine der grössten einheimischen Heuschreckenarten. (Bilder: frm)

Wohlklingende Namen haben sie, die Hüpfer. Und nicht alle machen Geräusche, die das menschliche Ohr wahrnehmen kann. Die Langflügelige Schwertschrecke zum Beispiel raspelt, raschelt, knackt im Ultraschallbereich, sodass sie nur von ihresgleichen oder vielleicht von einer Fledermaus gehört wird. Auf der Suche nach ihr behilft man sich mit Technik. Vincent Sohni hat eine «Batbox», konstruiert, um Fledermäuse zu hören. Heute Abend dient das schwarze Gerät, das aussieht wie ein Walkman und Ultraschallfrequenzen übersetzt, den Heuschrecken-Fans. Was man mit menschlichen Ohren gut in der Wiese wahrnehmen kann, sind die Klänge, die zum Beispiel der Nachtigall-Grashüpfer und der gemeine Grashüpfer produzieren. Diese Heuschrecken sind weit verbreitet. Aber auch bei selteneren Arten kann Vincent Sohni allein an Dauer und Klangfarbe bestimmen, wer da gerade konzertiert.

«Optisch lassen sich manche Heuschrecken weniger gut unterscheiden», erklärt er. «Sie verändern mit Standort und Alter manchmal ihre Farbpigmentierung und sehen sich grundsätzlich sehr ähnlich. Aber am Gesang sind sie leicht zu erkennen». Am «metallischen Rauschen» in der Böschung erkennt er die Nachtigall-Heuschrecke. «Keine Ahnung, weshalb sie diesen Namen trägt. Es gibt viel schönere Gesänge.» Der Gemeine Grashüpfer hingegen singe «kurz und knackig». Produziert werden die Töne auf verschiedene Art. Die Männchen reiben zum Beispiel ihre Beine an den Flügeln mit seitlichen Zacken. Oder sie reiben ihre Flügel übereinander, deren Schrillleiste dann zu singen beginnt. Ein Mechanismus, den man sich auch als eine Art Geigenbogen auf einer Saite vorstellen kann. Diese Streich- oder Schabbewegung erzeugt dank dem Resonanzkörper, den die Flügel zwischen sich und dem Leib bilden, eine eindrückliche Lautstärke. Bis zu hundert Meter weit sind diese kurzen Schallwellen auch von Menschenohren zu hören. Übrigens hören die Langfühler-Heuschrecken mit Ohren in den Vorderbeinen; Kurzfühler-Heuschrecken haben an den Seiten ihr Gehörorgan. «Diese Anordnung macht Sinn», meint der Biologe, «sie würden sich ja sonst selbst im Weg sein».

Links: Expeditionsführer Vincent  Sohni zeigt der Gruppe ein frisch gefangenes Exemplar. Rechts: Ist es eine Lauchschrecke?  
Oder eine gepunktete Zartschrecke, eine Gemeine Heuschrecke?
Links: Expeditionsführer Vincent Sohni zeigt der Gruppe ein frisch gefangenes Exemplar. Rechts: Ist es eine Lauchschrecke? Oder eine gepunktete Zartschrecke, eine Gemeine Heuschrecke?

In der Regel singen die Männchen und locken damit die Weibchen an – oder vertreiben Geschlechtsgenossen aus ihrem Revier. «Ist ein Weibchen da, ruft es bei einigen Arten zurück mit knackigem «trrt» – dann haben sie sich gefunden.»

Wie es weitergeht? Sie paaren sich. Dann legt das Weibchen seine Eier in hohle Grasrispen oder in den Boden, wo sie überwintern und im Frühling als Larven ausschlüpfen. Dies erklärt, weshalb es so wichtig ist, Teile der Wiese oder des Rieds stehen zu lassen. Nicht nur die Samen der Pflanzen können reifen und im Frühling die Wiese verjüngen, sondern auch die Grashüpfer und Heupferde.

Sind sie geschlüpft, haben sie bis zu sieben Häutungen vor sich. Sie streifen jeweils nach einigen Tagen oder Wochen ihre alte Hülle ab und werden damit grösser, grüner oder brauner und natürlich schöner. Der Name Heuschrecke kommt jedenfalls nicht von «Schrecken», sondern aus dem Altdeutschen; das Wort «Scricken» meint «Springen». In der Schweiz gehen wir von einem momentanen Bestand von 106 Heuschreckenarten aus. Sechzig siedeln im Kanton Zürich, in der Gemeinde Zumikon sind aber gerade mal fünf Arten gemeldet. Diese erschreckend kleine Zahl habe mehr mit der Zählmethode zu tun, zum Glück nicht mit ihrem realen Vorkommen, erklärt Vincent Sohni. Heuschrecken-Sichtungen werden von registrierten Einzelpersonen gezählt, bestimmt und einem Forum gemeldet. Diese Daten werden dann wie die anderer Wildtiere auch, in die Statistik des nationalen Datenzentrums für die Beobachtung von Tieren (Infofauna) eingespiesen. «Vielleicht können wir heute Abend als Gruppe die Zahl der gesichteten Arten von Zumikon verdoppeln, ruft Vincent Sohni halb scherzhaft, halb hoffnungsfroh in die Runde der 22 begeisterten Spaziergänger.

Leider ist die Luft heute Abend schon ein bisschen kühl, das Licht weniger intensiv. Richtig laut ist es nicht in den Wiesen um uns. Die Ausbeute in zwölf kleinen Beobachtungsbehältern nach etwa zehn Minuten Heuschreckenjagd ist dennoch beachtlich. Finden wir nun mehr als fünf Arten? Tatsächlich; Über den ganzen Spaziergang konnten doch sieben Arten nachgewiesen werden, wovon vier bisher noch nicht für Zumikon gemeldet wurden, ein schöner Erfolg. Der eine oder andere Nachtfalter wurde ebenfalls für kurze Zeit geschnappt, verkorkt, bestimmt, bewundert und wieder freigelassen.

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