«Ihr dürft sogar aus Liebe heiraten»

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 27. September 2024

Warum am heimischen Schreibtisch sitzen? Mit dem Laptop kann Svenja Staubli an jedem Ort arbeiten – auch in Sansibar. (Bild: zvg)

Svenja Staubli zog es während der Pandemie nach Sansibar. Mittlerweile leitet sie einen gemeinnützigen Verein, der sich für Gesundheit und Nachhaltigkeit engagiert.

Viele Sachen waren während der Pandemie sehr schwierig. Reisen zum Beispiel. Manche Orte waren allerdings leichter zu erreichen als andere. Sansibar war so ein Ort. Und so machte sich die Zumikerin Svenja Staubli nach ihrem Bachelor-Abschluss im Psychologie-Studium an der Uni Zürich auf, um die Inselgruppe vor Tansania zu besuchen. Sie hatte einen Praktikumsplatz in einer psychiatrischen Klinik ergattert. Schon am Flughafen wurden ihre Schweizer Tugenden auf eine harte Probe gestellt. Der Mitarbeiter, der sie abholen sollte, kam nicht. Internet gab es auch nicht. Sie wusste nicht wohin. «Da hatte ich wohl meine erste Krise», lacht sie rückblickend. Doch irgendwann trudelte jemand ein, zeigte ihr die Klinik und brachte sie zu der Gastfamilie, bei der sie lebte. Es begann eine aufregende Zeit ­voller Überraschungen. Eigentlich – so hatte es geheissen – würde in dem Krankenhaus Englisch gesprochen. An der Tagesordnung war aber die Landessprache Suaheli. «So richtig für mich zuständig war eigentlich niemand», erinnert sich die 27-Jährige. Sie erkundete Klinik und Alltag auf eigene Faust. «Ich habe allein durch das Beobachten viel gelernt.» Eine Frage, die ihr oft gestellt worden sei: Was willst Du denn mit Psychologie in der Schweiz? Euch geht es doch gut. Ihr habt alles. Ihr dürft sogar aus Liebe heiraten.

Die richtige Telefonnummer

Svenja Staubli wollte mehr über das Land, das für seine Traumstrände bekannt ist, erfahren. Sie machte sich auf Richtung Süden, wo weniger Touristen sind. Dort lernte sie Hilali kennen. Schon zuvor hatten sie nicht wenige einheimische Männer nach ihrer Telefonnummer gefragt. «Hilali war so respektvoll und interessiert an meiner Kultur, dass ich ihm sogar die richtige Nummer gab.» Im Nachhinein sollte sich zeigen, dass das eine gute Idee war.

Nach fünf intensiven Wochen kam sie zurück in die Schweiz, nahm ihr Masterstudium nun in Bern auf. «Mir ist wirklich klar geworden, in welchem Paradies wir hier leben. Wie dankbar wir sein müssten», unterstreicht sie. Immer mal wieder schrieben Hilali und die Zumikerin sich. «Er hatte so viele Ideen für Projekte. Er wollte Imker werden, eine Gewürzfarm aufbauen, wollte seinem Land helfen.» Dann verstarb Svenjas Grossvater, hinterliess Geld und die Aufforderung, dass dieses für ein sinnvolles Projekt gespendet werden soll. «Nur einen Tag vorher hatte ich mit Hilali telefoniert und ich wusste sofort, wofür ich dieses Geld nutzen wollte», erinnert sich die Noch-Studentin. Die Familie gab ihren Segen und der Grundstein für die «Zanzibar EcoHealth Organization» war gelegt.

Bevor Svenja Staubli nach Sansibar zurückkehrte, war sie zunächst in Asien unterwegs. «Wir hatten nur Online-Vorlesungen, und die konnte ich von überall auf der Welt verfolgen – sogar günstiger als in Bern.» Sie besuchte Thailand und Bali als Hilali sie erneut nach Sansibar einlud. «Ich hatte noch acht Wochen Zeit und flog kurzerhand hin.» Schon während des Flugs wurde sie krank. So krank, dass ein Arzt zu ihr ins Hotel kam. Lange Gespräche mit ihm – während ihre Infusion lief – zeigten ihr auf, wie bedürftig das Gesundheitssystem in dem Land ist, das grundlegendes Wissen nicht verbreitet ist. Auch der Doktor gehört mittlerweile zum Team der Organisation. Der neu gegründete Verein will sich aber nicht nur für die Verbesserung von Gesundheit und Lebensqualität in den Dörfern von Sansibar einsetzen, sondern ganz intensiv auch für die Umwelt engagieren. «Mit den Touristen kam auch der Plastikmüll ins Land – ein Material, das die Einheimischen zuvor kaum kannten und dessen Auswirkungen ihnen niemand erklärte», weiss Svenja Staubli. Wurden zuvor die Bananenblätter, die als Teller genutzt wurden, einfach in die ­Natur geworfen, landen da genauso die Plastikverpackungen. «Wir haben mit dem Einsatz von relativ wenig Geld erreicht, dass nun grosse Müllsäcke in die Dörfer gelangen und der Abfall vernünftig getrennt und entsorgt wird. «Aber noch wichtiger ist es, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Müll nicht einfach verschwindet – er bleibt und hat schwerwiegende Folgen für die ­Umwelt und die Gesundheit der Menschen».

Gemeinsame Hilfe vor Ort

Was der jungen Frau besonders am Herzen liegt: Sie will nicht als die grosse Gönnerin erscheinen, die das westliche Geld ins Land bringt. «Nur in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung lernen wir, was überhaupt notwendig und auch machbar ist.» Sie habe zu viele Brunnen gesehen, auf denen gross der Spendername prangte. «Sie ­waren alle kaputt.» Ihre Organisation legt daher grossen Wert auf Ganzheitlichkeit: Es geht nicht nur darum, Symptome zu lindern, sondern die Ursachen von Gesundheits- und Umweltproblemen an der Wurzel zu packen und nachhaltige Lösungen zu schaffen.

Dass die Organisation grosse Ziele hat, die viel Zeit brauchen, weiss die Zumikerin. «Das Verhalten muss sich ändern und das dauert immer. Das habe ich wirklich während des Studiums gelernt.» Was sie aber in dem Land gelernt hat: wie gross Herzen sein können. «Ich wurde oft in Familien eingeladen, die kaum etwas besassen, mir aber immer das Beste gaben. Obwohl viele nur zerrissene Kleider trugen, beschenkten sie mich mit den schönsten Stoffen. Ich habe sechs Wochen den Alltag mit ihnen geteilt, ihre Probleme miterlebt und gleichzeitig die Wärme und Grosszügigkeit gespürt».

Was ihr immer wieder Mut macht und Kraft gibt, sind die Kinder, die nach und nach verstehen. Auf Bildern zeigt der Verein den Mädchen und Jungen wie das Plastik im Meer landet, wie es von Fischen aufgenommen wird und schliesslich auf dem Teller serviert wird. «So begreift die Generation die Zusammenhänge und wird sensibilisiert.» Die Zumikerin ist dabei keine Träumerin. «Ich weiss, dass ich nicht die ganze Welt retten kann. Aber ein bisschen kann ich schon erreichen.» Und noch ein bisschen mehr, wenn der Verein tatkräftig unterstützt wird.

www.zanzibarecohealth.org
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