«Das Festival ist wie eine gute Zeitung»

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 4. Oktober 2024

Roger Crotti ist neuer Verwaltungsratspräsident des Zurich Film Festivals. Der gebürtige Zolliker im Interview über die Bedeutung des Kinos, der Stars und der Fast-Karriere als Fussballer.

Gestern Abend startete das Film Festival – erstmals mit dem gebürtigen Zolliker Roger Crotti als Präsident. (Foto: zvg)
Gestern Abend startete das Film Festival – erstmals mit dem gebürtigen Zolliker Roger Crotti als Präsident. (Foto: zvg)


Herr Crotti, Sie haben als Kind und in Ihrer Jugend lange beim SC Zollikon gespielt. Gab es da nicht auch die Träume von einer Fussballerkarriere?

Die gab es wirklich. Ich bin zweimal in die zweite Liga aufgestiegen, das erste Mal war ich gerade knapp 18 Jahre alt. Ich hatte wohl durchaus Talent. Aber ich war mir nicht sicher, ob es wirklich reicht. Ausserdem muss man für eine solche Sportlerkarriere auch viel opfern.

Was verbinden Sie heute noch mit Zollikon?

Heimat und Kindheit. Auch wenn ich schon lange nicht mehr dort lebe, habe ich immer noch heimatliche Gefühle, wenn ich da bin. Meine Schwester lebt wieder im Zollikerberg, somit habe ich noch einen Bezug. Die Kindheit in Zollikon war wunderschön. Mein zweites Zuhause war die Seebadi. Ich war ein richtiger Seebueb.

Sie waren mehrere Jahrzehnte als Manager für Disney im deutschsprachigen Raum unterwegs. Disney steht auch ein bisschen für heile Welt. Brauchen wir nicht gerade alle den Traum von einer solchen?

Natürlich denkt man bei Disney an Märchen und Feenstaub. Doch die Welt hat sich verändert, und auch Disney hat viel mehr Seiten. Aber nicht nur bei diesen Filmen kann man sich ein bisschen von der Realität erholen, sich einen Kurzurlaub für den Kopf gönnen. Das gilt für alle Filme. Und jeder kann sich das Genre aussuchen, das er mag: Action, Romanze oder Fantasy.

Wie kann sich das Kino gegen Streamingdienste und Netflix behaupten?

Das Kino wurde schon oft totgesprochen. Zunächst als das Fernsehen in die Wohnzimmer zog, dann als die Videokassetten kamen. Schliesslich konnte plötzlich gestreamt werden. Das war zunächst im Bildungsbürgertum etwas verpönt und wurde erst durch die Corona-Zeit gesellschaftlich akzeptiert. Wir wissen aber: Leute, die gerne Filme streamen, gehen auch mehr ins Kino. Das Kino hat eben noch das besondere Etwas. Es ist ein Gemeinschaftserlebnis. Und es liegt am jeweiligen Kinobetreiber, den Besuch zu einem schönen Erlebnis zu machen. Er muss sich als Gastgeber verstehen. Wenn überall Popcorn rumliegt, wird es kein schöner Abend. Wenn man sich aber wohl fühlt, vielleicht danach gemeinsam etwas trinken geht oder es im Anschluss an den Film ein Podiumsgespräch gibt, geht man gerne wieder ins Kino.

Aber muss zu dem Erlebnis auch so viel Werbung gehören?

Leider ja. Und grosse Filme wie der neue Bond bekommen sogar noch mehr Werbezeit. Aber ich glaube, das darf nicht ausgereizt werden. Vielleicht sollten ganz andere Wege des Marketings gefunden werden. Überdies haben wir in der Schweiz ja noch eine weltweite Besonderheit: die Pause mitten im Film. Das gibt es nirgendwo anders. Und da kann der Kinobetreiber nochmals etwas verdienen.

Gibt es Kinoerlebnisse, an die Sie sich besonders erinnern?

Mehrere. Einmal haben wir «Sister Act» an einem Heiligabend in einer Zürcher Kirche gezeigt. Zuerst gab es den Gottesdienst mit Pfarrer Sieber, im Anschluss den Film. Wir waren damit auch mal zu Gast in einem Frauenkloster. Die Nonnen waren zwischen 65 und 85 Jahre alt, einige von ihnen waren noch nie in einem Kino gewesen. «Aladdin» konnten wir mal auf einem Gletscher in Laax vorführen. Das waren besondere Momente.

Welches werden die besonderen Momente beim Zurich Film Festival 2024 sein? Freuen Sie sich mehr auf Jude Law, auf Kate Winslet oder auf Emil Steinberger?

Ich will nicht überheblich klingen, aber in den 30 Jahren bei Disney habe ich viele Stars getroffen. Ich mag niemanden besonders hervorheben. Ich freue mich nämlich genauso auf die Stars von morgen. Auf Schauspieler oder Regisseure, die noch in den Anfängen stehen. Ich freue mich auf die Vielfältigkeit. Das Programm in diesem Jahr ist wie eine gute Zeitung, bei der es auf jeder Seite einen interessanten Artikel gibt, den man gerne liest.

Der Film «Russia at War» wurde aus dem öffentlichen Programm genommen. Wie politisch darf ein solches Festival sein?

Wir haben den Film aus Sicherheitsüberlegungen aus dem öffentlichen Programm genommen. Die Sicherheit des Publikums, der Gäste, Partner und Mitarbeitenden steht für das ZFF an oberster Stelle. Der Film bleibt aber im Wettbewerb, damit die Jury ihn sichten und beurteilen kann. Wir stehen für kulturellen Austausch, Inklusion und Vielfalt.

Was nervt Sie selbst so richtig im Kinosaal?

Wenn gequatscht wird. Oder Leute die ganze Zeit auf ihr Handy schauen. Das ist respektlos gegenüber dem Film und dem Publikum. Am anderen Ende der Skala stehen die besonders guten Momente. Wenn die Spannung greifbar in der Luft liegt und alle ganz still sind. Oder wenn spontan applaudiert wird. Das ist dann grosses Kino.

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