Ein Herz für Zahlen

Von Franziska Müller ‒ 11. Oktober 2024

Nina Stamenovic konnte ihre Leidenschaft für die Mathematik mit ihrem eigentlichen Berufswunsch als Ärztin verknüpfen. Auch wenn das Medizinstudium schliesslich keine Option war, bringt sie als Co-Geschäfts­führerin einer privaten Spitex­organisation beides unter einen Hut.

«Ich investiere viel Herzblut in meine Arbeit.» Die Zollikerin Nina Stamenovic lebt ihr Ideal mit Kindern und Karriere, Medizin 
und Zahlen. (Bild: frm)
«Ich investiere viel Herzblut in meine Arbeit.» Die Zollikerin Nina Stamenovic lebt ihr Ideal mit Kindern und Karriere, Medizin und Zahlen. (Bild: frm)

Als Kind gab es für sie zwei Optionen: Medizin oder Mathematik. «Ich hatte schon immer ein Faible für Zahlen», sagt Nina Stamenovic. Das Rechnen sei ihr von klein auf gelegen – «mit meinem Papi habe ich schon im Kindergarten addieren gelernt». In der Schule sei die Lehrerin dann aber «not very amused» gewesen, dass sie alles schon konnte. Dennoch gehörte die Mathematik zu ihren Lieblingsfächern, auch später, als sich die Lehrpersonen über ihre Begabung freuen konnten. Andererseits war da ihr Herzenswunsch, Ärztin zu werden.

Die Sache mit dem Blut

Sie schnupperte in verschiedenen medizinischen Berufen, merkte aber bald, dass die Realität mit ihrer Vorstellung nicht übereinstimmte. Ihr ging das Schicksal der einzelnen Patientinnen und Patienten viel zu nahe. Sie war von deren Leiden so berührt, dass es ihr aufs Gemüt schlug. «Ich bin zu empfindlich.» Und da war noch die Sache mit dem Blut, das sie nicht sehen konnte. Während der drei Tage in der Schnupperlehre als Arztgehilfin sei sie dreimal in Ohnmacht gefallen. Der Arzt meinte dann zu ihr: «Nina, ich glaube, dieser Beruf ist nicht der richtige für dich.»

«Natürlich hatte er recht. Ich hätte nie in jemanden hineinschneiden können.» Noch heute habe sie Mühe, Bilder von Operationen oder Krankheiten anzuschauen, früher sei ihr dies schier unerträglich gewesen.

Sie erinnert sich, dass sie an ihrer ersten Stelle als ausgebildete Controllerin im Rechnungswesen bei einer Krankenkasse Leistungsaufträge und Kostengutsprachen mit dem «Pschyrembel» überprüfen musste. «In diesem offiziellen Nachschlagewerk sind alle klinischen Krankheiten aufgeführt, beschrieben und abgebildet», erklärt sie. «Mit Hilfe des Pschyrembels wurde die Erstbeurteilung der medizinischen Indikation geprüft.» Das war eine Herausforderung. Sie habe jeweils mit der Hand das dazugehörige Foto abgedeckt, weil sie einige Abbildungen kaum ertragen habe.

Trotz dieser Schwierigkeiten hat sie sich von ihrem Traumberuf nie ganz verabschiedet; die Faszination für die Forschung und die ausgeklügelten Verfahren der Diagnostik ist nach wie vor da. Dies erklärt auch, weshalb sie ihre Diplomarbeit mit dem Pharmakonzern Pfizer zum Thema «Swiss DRG» schrieb. DRG – Diagnosis Related Groups steht für ein neuartiges Tarifsystem der Krankenkassen in der Schweiz, welches im Jahr 2012 eingeführt wurde. «Ich blieb immer nah an meinem Interessengebiet, hob es einfach auf eine abstraktere Ebene.»

«Zahlen geben mir Sicherheit»

Nach den Erlebnissen während der Berufswahl entschied sie sich, den Weg in die Welt der Zahlen einzuschlagen und bildete sich im Rechnungswesen aus. «Zahlen verleihen mir Sicherheit. Wenn ich Zahlen betrachte, sehe ich das Muster dahinter und erkenne, in welche Richtung es geht.» Sie absolvierte ein Betriebswirtschaftsstudium in Zürich und stieg mit dem Bachelor «Business Administration» in die Privatwirtschaft ein. Steuerberatung und Unternehmensberatung bei verschiedenen Ostschweizer Unternehmen folgten, dann Jobs im internationalen Umfeld, wo sie für einige Jahre in der Finanz­abteilung von General Electric arbeitete. Fast zwölf Jahre war sie Beraterin und Prüferin. Dann übernahm sie die Leitung des Controllings in den Stadtspitälern Waid und Triemli – «damit kam das Medizinische zurück in mein Leben».

Als sie zum zweiten Mal Mutter wurde, gab sie diese Stelle zugunsten einer interessanteren Position im kleineren Spital Zollikerberg auf. Warum interessanter? «Ich wollte mehr Verantwortung auf meinem Feld», erklärt sie. «In einem grossen Spital gibt es allein schon in der Buchhaltung verschiedene Abteilungen – und das Verbuchen der Rechnungen ist vom Controlling getrennt. Im Zollikerberg dagegen spielen die beiden Abteilungen direkter ineinander.» Diese Arbeit sei ganzheitlicher, weil es eben diese Teilbereiche nicht gibt. Den Überblick über das Ganze zu haben sei eindeutig spannender.

Dieses Jahr ist Nina Stamenovic vierzig geworden. Der Sohn ist eingeschult, die Tochter besucht den Kindergarten. Sie wechselte letztes Jahr noch einmal die Stelle und freut sich seit letztem Herbst über die Herausforderung als Co-Geschäftsführerin der privaten Spitex­organisation Carela. Die schweizweit aufgestellte Organisation stellt pflegende Angehörige an und unterstützt sie fachlich, finanziell und emotional. «Dieses Umfeld passt gut zu mir.» Sie bringe Erfahrung aus den Stationen ihres Berufs­lebens mit und sei wieder an der für sie interessantesten Schnittstelle: bei der Medizin und den Zahlen.

Fragt man Nina Stamenovic, was für sie das Wichtigste im Leben sei, so denkt sie keine Sekunde nach – es sind die Kinder, ihre Familie und die Zeit, die sie mit ihnen verbringt. «Genau deshalb bedeutet mir die Arbeit bei Carela so viel. Wir ermöglichen es Angehörigen so viel Zeit wie möglich mit ihren Liebsten zu verbringen.» Momentan arbeitet sie hundert Prozent – das sei aber absehbar und mit einer regulären Arbeit im Büro nicht zu vergleichen. «Klar, ich investiere viel Herzblut in den Aufbau unserer Organisation, die Tage sind lang. Aber ich teile mir diese selbst ein. Meine Situation erlaubt mir grosse Flexibilität.» Die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere ist ihr wichtig; sie lebt mit ihrem Mann ein Familienmodell ohne fixe Rollenzuteilung. Den klassischen Routinetag gebe es nicht. Sie steht zwar sehr früh auf, und es kann vorkommen, dass sie wichtige Mails erledigt, wenn die Kinder bereits wieder im Bett sind. Dafür ist sie da, wenn die Familie zum Zmittag heimkommt. Den Nachmittag verbringt sie je nach Stundenplan und Wetter mit den Kindern in der Badi, im Homeoffice oder im Fitnesscenter; sie hat eben ihr Abo verlängert und fixe Zeiten in der Agenda blockiert. «Man muss den eigenen Energiehaushalt genauso sorgfältig pflegen wie denjenigen der anderen.»

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