Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 18. Oktober 2024
Rund drei Jahrzehnte ist es her, dass Katharina Gattiker einen Kurs über Kunstgeschichte und Geomantie im französischen Bourges besucht hat. Thema war die Kathedrale von Bourges und die altüberlieferte sakrale harmonikale Architektur. Während einer Führung schwärmte der Kursleiter von Jacques Cœur, Finanzgenie, Grosshandelskaufmann, Finanzberater des Königs, Münzner von Bourges, Paris und ganz Frankreich. «Und plötzlich hatte ich das Gefühl, dieser Jacques Cœur sitzt auf meiner Schulter und flüstert mir zu, ich solle ein Buch über ihn schreiben», erinnert sich die Zollikerin. Lange schob sie diesen «Auftrag» vor sich hin. Nun aber liegt es da, das Buch. Drei Jahre hat sie an dem historischen Roman geschrieben. Vier Bücher und Dokumentsammlungen, die es über den realen Jacques Cœur gibt, hat sie auf deutsch und englisch studiert, auch die lateinischen und französischen Quellen. Auf fast 400 Seiten erzählt sie die Geschichte eines Mannes, der ein unglaubliches Talent hatte, neue Geldquellen zu erschliessen und der beste Berater und ein enger Vertrauter des Königs wurde. Diesem verhalf er immer wieder zu dringendst benötigten monetären Mitteln; der König seinerseits revanchierte sich mit besonderen Privilegien wie Ausnahme-Handelsbewilligungen und Aufträgen. Neudeutsch eine Win-Win-Situation.
«Doch damals galt schon, was heute gilt: Hat ein Mann zu viel Macht, zu viel Geld, verliert er das Mass», so die Autorin. Jacques Cœur wurde zu mächtig, hatte immer mehr Neider, stürzte, wurde inhaftiert, anschliessend spektakulär befreit und verstarb auf einem Schiff, das ihn nach Konstantinopel bringen sollte. Auf einer griechischen Insel erhielt er schliesslich ein Staatsbegräbnis. «Kurz vor seinem Tod betete er noch für seine Feinde», verrät Katharina Gattiker. Und fügt mit einem Schmunzeln an, dieser Finanzmagier habe sie manchmal an Geschäftsleute erinnert, die sie seinerzeit in Hongkong kennengelernt hat. «Alle waren immer auf der Suche nach einem guten Deal, einem einträglichen Geschäft.»
Sechs Jahre hat sie mit ihrem ersten Mann in der chinesischen Metropole gelebt – nach einer unbefriedigenden Zeit in Zürich. Nach Schulzeit und Handelsmittelschule landete sie im Büro. «Und wir Frauen mussten zusehen, wie die Männer aufstiegen – und wir sassen immer weiter hinter der Schreibmaschine.» Sie kehrte der Schweiz den Rücken zu und ging nach England. In London fand sie eine Anstellung im Rohstoffhandel. Dort habe sie auch eine andere Form der Gleichstellung kennengelernt – und ihren ersten Ehemann. Als Expats ging das Paar nach Hongkong, sie bekam zwei Söhne, er machte Karriere. Es war ein ganz anderes Leben, mit Hausangestellten am Tag und einer Nanny für die Kinder am Abend. Doch Katharina Gattiker wurde es zu viel. «Dieses Leben war mir zu kapitalistisch.» Nach der Trennung zog sie mit den Kindern zurück nach Zürich, heiratete wieder und bekam eine Tochter. «An Berufstätigkeit war nicht zu denken. Mein Mann war Arzt, da standen mir Kitaplätze einfach nicht zu.»
Aber sie begnügte sich nicht mit dem Mutterdasein und startete als Journalistin. Sie schrieb für unterschiedlichste Publikationen – bis ihr Hauptauftraggeber verkauft und sie nicht mehr gebraucht wurde. Da machte Katharina Gattiker einfach die nächste Tür auf. Schon lange hatte sie sich für Yoga und Meditation interessiert und entdeckte nun die Kinesiologie für sich. «Mir gefiel der positive Ansatz, die Ausrichtung auf die Zukunft. Es wird nicht wie in anderen Therapien in der Vergangenheit gewühlt. Und es braucht auch keine zwanzig Sitzungen, um positive Ergebnisse zu erzielen.» Es würden keine Kindheitserinnerungen in die Gegenwart gezerrt, keine Traumata nochmals neu durchlebt. Bei der Methode werde gelacht, selten geweint.
Sie liess sich ausbilden und arbeitete als Kinesiologie-Therapeutin. In einer eigenen Publikation – erschienen im Urania-Verlag – erklärt sie anschaulich die Anwendung dieser Heilmethode im Alltag, in Schule und Beruf. Dabei bleibt sie nicht theoretisch, sondern bietet praktische Übungen. Interessierte können lernen, ihr Potenzial zu entfalten oder auch den eigenen Weg zu finden. Fast schüchtern liegt neben diesem Buch ein Büchlein auf dem Esstisch. Ein Gedichtband, den die Zollikerin geschrieben hat. «Es war so eine Phase», lacht sie. Die Zeilen seien ihr einfach morgens um fünf Uhr in den Sinn gekommen. «Ich habe sie als Geschenk empfunden und musste sie aufschreiben.»
Wenn Katharina Gattiker sich für etwas interessiert oder begeistert, dann mit ganzer Seele. So lebt sie auch ihren christlichen Glauben. Sie besuchte einst einen Kurs über christliches Gedankengut. «Aber mir fehlten einige Themen», erinnert sie sich. Kurzerhand brachte sie das nächste Buch auf den Markt, in dem sie Texte christlicher Autoren von der Antike bis zur Gegenwart, ergänzt mit Meditationen und Übungen zusammengetragen hat.
Ihre Gegenwart ist nun der neue Roman über Jacques Cœur im wahrsten Sinne eine Herzensangelegenheit. Sie weiss natürlich, dass die Konkurrenz auf dem Buchmarkt immens ist. Und dass es überhaupt schwierig ist, sich mit Büchern gegen die digitale Welt zu behaupten. Doch wenn sie mit der Bahn unterwegs ist, zum Beispiel um Sohn und Enkelkinder in Frankfurt zu besuchen, sehe sie immer häufiger auch Reisende, die in einem Buch lesen. Das lässt hoffen. Und hoffen darf man immer.
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