Das Recht der Sterbenden, die Pflicht der Fürsorge

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 1. November 2024

Ein informativer Nachmittag rund um den Tod, organisiert von der Spitex Zollikon und der Fachstelle «Alter und Gesundheit». «Ob wir uns wirklich darauf vorbereiten können, wissen wir alle erst im entscheidenden Moment.»

Das Thema und die unterschiedlichen Aspekte stiessen auf grosse Resonanz. (Bild: bms)
Das Thema und die unterschiedlichen Aspekte stiessen auf grosse Resonanz. (Bild: bms)

Sterben ist ein intimer Moment. Es muss aber kein einsamer sein. Wie Menschen – alt aber auch jung – diesen Moment gestalten können, darum ging es vergangene Woche im Zolliker Gemeindesaal. Gleich sieben Referenten und Angehörige sprachen unterschiedliche Aspekte an.

Gabriela Scheidegger, Leiterin der Fachstelle «Alter und Gesundheit», begrüsste die zahlreichen Besucher und Besucherinnen – alt, aber auch jung. Gleich zu Beginn konfrontierte sie das Plenum mit den beiden Seiten: Da ist der Mensch, der sich einen sanften Tod – am besten im Schlaf – wünscht. Und da sind die Angehörigen, die mit Trauer und Fragen zurückbleiben. Für beide Seiten ginge es um eine gute Vorbereitung. Gabriela Scheidegger räumte aber auch ein: «Ob man sich wirklich darauf vorbereiten kann, wissen wir erst in dem entscheidenden Moment.»

Ethische Fragen

Den Anfang des informativen Nachmittags machte Jean-Daniel Strub, stellvertretender Leiter des Instituts Neumünster und beratendes Mitglied der Ethik-Kommission der Exit-Organisation. Er stellte die Frage «Was ist ein guter Tod?» in den Mittelpunkt. Die Antworten waren vielfältig: Keine Schmerzen, keine Angst. Friedvoll – und auf jeden Fall zu Hause. «Weniger als 20 Prozent können das erleben», wusste Jean-Daniel Strub. Doch nicht nur die Frage nach dem Ort sollte überlegt werden. «Die Wünsche und Vorstellungen zum eigenen Sterben sind sehr individuell. Die regelmässige Auseinandersetzung lohnt sich – mit sich selbst und mit Angehörigen.» Der Referent thematisierte zwei ethische Fragen des Sterbens. Zum einen müsse der Wunsch des Sterbenden respektiert werden, parallel aber sei die Pflicht der Fürsorge zu respektieren. Und immer sei die Frage zu klären, ob ein Patient noch selbstbestimmte Entscheidungen treffen kann. «Eine Frage der Urteilsfähigkeit.» Sei diese nicht mehr gegeben, komme entweder eine ­Patientenverfügung zum Zug oder nahestehende Personen. «Es ist nie ein Arzt, der solche Entscheidungen trifft.»

Das Bewusstsein richtet sich nach innen

Als Spitex-Mitarbeiterin erläuterte Patricia Horta die Arbeit der Pflegenden und die Phasen des Sterbeprozesses von der Rehabilitationsphase über die Pflegebedürftigkeit zur Präterminalphase, in der keine Heilung mehr in Sicht sei, bis zur Terminalphase. «Die Körperfunktionen erlöschen allmählich, das Bewusstsein des Sterbenden richtet sich nach innen.» Der Tod trete dann innert Stunden oder maximal weniger Tage ein.

Auf die körperlichen Symptome in den unterschiedlichen Phasen ging die Hausärztin Verena Broger ein. Entgegen der weitverbreiteten Meinung sei es nicht notwendig, den Sterbenden zum Trinken zu animieren. «Wichtig ist eine gute Mundpflege, damit die Schleimhäute nicht austrocknen.» Gegen Unruhe und Schmerzen gebe es eine gute medikamentöse Behandlung. «Auch wenn die Sterbenden in den letzten Stunden nicht mehr wirklich bei Bewusstsein sind, spüren sie die Anwesenheit von Angehörigen. Sprechen Sie mit dem Sterbenden», ermunterte sie. Konfrontiert wurde sie auch mit der offenbar verbreiteten Angst, zu früh für tot erklärt zu werden. «Es gibt eindeutige Indizien für den Tod. Kein Arzt stellt einen Totenschein aus, nur weil er keinen Atem mehr wahrnehmen kann.»

Zum Tod gehören die Trauer und die Trauernden. Aber oft bleibt Angehörigen in den ersten Tagen nach dem Sterbefall keine Zeit zum Trauern. Es gibt viel zu tun. Das war das Thema von Christa Konstantakis, Leiterin der Einwohnerkontrolle, und Thomas Hottinger, Leiter der Friedhöfe.

Für den organisatorischen Ablauf nach einem Todesfall gibt es einen Leitfaden der Gemeinde. Zudem kann das Formular für den Bestattungswunsch ausgefüllt werden. «Wissen die Hinterbliebenen nicht, was der Wunsch des Verstorbenen war, kann dies zu unschönen Diskussionen führen», weiss Christa Konstantakis aus Erfahrung. Es gebe viele Fragen zu beantworten: Gemeinschafts- oder Familiengrab? ­Urnen- oder Erdbestattung? Grabstein oder Holzkreuz? Ist eine Abdankung erwünscht? Oder soll die Asche verstreut werden? Erdbestattungen sind rückläufig. «Wir verzeichnen nur noch rund zwölf Prozent Erdbestattungen», sagt Thomas Hottinger. Gleichzeitig lud er die Anwesenden ein, doch mal über einen Friedhof zu spazieren. Das seien Orte mit sehr friedvollem Charakter.

Zum Schluss hatte Christa Kon­stantakis noch eine besondere Bitte: Oft gäben die Angehörigen dem Bestatter Kleidung mit für ihre Verstorbenen. Ein besonderes Kleid, ein schöner Anzug, Schmuck. «Vergessen Sie die Socken nicht.» Nackte Füsse in schönen Schuhen sähen beim Abschied des Aufgebahrten befremdlich aus.

«Macht reinen Tisch»

Im anschliessenden grossen Podium beleuchteten Vertreter der Kirchen die christlichen Aspekte des Sterbens und der Sterbebegleitung. «Wir können mit der Kranken­salbung auch Kraft und Zuversicht vermitteln», betonte der katho­lische Pfarrer Pascal Marquard. ­Simon Gebs, Pfarrer der reformierten Kirche Zollikon-Zumikon ermunterte: «Räumt Baustellen auf, macht reinen Tisch. Klärt Ungeklärtes.» Es gebe zwar auch die Diktatur der Sterbenden. Menschen, die ihren Angehörigen noch in den letzten Stunden ihren Willen aufzwingen wollen.

Immer wieder standen die Angehörigen im Fokus. «Die Bezugspersonen müssen die Situation aushalten können», betonte Patricia Horta. ­Gerade für die Terminalphase könnten Begleitpersonen aufgeboten werden. Aus dem Plenum wurde auf die Organisation «Wabe» verwiesen, in der sich Menschen ehrenamtlich für eine solche Begleitung zur Verfügung stellen. Besonders leise wurde es im Gemeindesaal, als schliesslich eine pflegende Angehörige von ­ihren Erfahrungen berichtete. Die Arbeit der Spitex sei natürlich sehr wichtig. «Aber ich als Ehefrau war 24 Stunden da. Ich habe meinen Mann gefüttert, gewaschen, gewickelt und das Bett neu bezogen, während er darin lag.» Sie habe ­ihrem Mann versprochen, dass er zu Hause sterben dürfe. «Ich habe mich an das Versprechen gehalten. Aber ich bin froh, dass ich vorher nicht wusste, was das bedeutet.»

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