Von Franziska Müller ‒ 8. November 2024
«Wie wollen wir im Alter wohnen und leben?» Die Frage ist ein Schwerpunkt im laufenden Legislaturprogramm 2022 bis 2026 des Zolliker Gemeinderats. Dass die vorhandenen Wohnangebote kaum ausreichen werden, ist absehbar. Die Gemeinde befragte deshalb 3847 Personen über sechzig Jahre. Für die Mehrheit dieser Gruppe – 63 Prozent sind über siebzig, die meisten davon Frauen – ist das Wohnen im Alter bereits Realität. Der Rücklauf von gut 46 Prozent kann als eine umfassende Bedarfsabklärung gelten. Auch als Stimmungsbarometer, das zeigt, wie akzeptiert neue Wohnformen im Alter tatsächlich sind.
Über fünf Seiten trägt die Auswertung einen Berg an Zahlen zusammen. Sie sind nicht nur für diejenigen interessant, die sich mit Bevölkerungsentwicklung befassen. Die Befragten selbst sind Betroffene. 60 Prozent leben in Zollikon, 40 Prozent im Zollikerberg. Rund die Hälfte wohnt in Mietwohnungen, 45 Prozent besitzen Eigentum, vier Prozent leben in einer Pflegeeinrichtung. Das ist in vergleichbaren Gemeinden sehr ähnlich.
Bis zum Alter von 79 Jahren wohnen zwei Drittel der Befragten mit einem Partner oder einer Partnerin. Von den über 80-Jährigen leben 47 Prozent allein. Für die meisten ist die finanzielle Situation komfortabel oder ausreichend. Die Hälfte der Alleinlebenden nennt ihre finanzielle Lage knapp oder nicht ausreichend. Jede zwanzigste Person erhält finanzielle Unterstützung.
Fast alle Befragten sehen sich als selbstständig im Alltag. Dieser Wert sinkt mit zunehmendem Alter. Während die unter 65-Jährigen kaum Hilfe brauchen, freuen sich 13 Prozent der über 80-Jährigen über gelegentliche Unterstützung. Am Runden Tisch «Alter und Gesundheit» waren die Fachleute sich einig, dass die Befragten ihre Selbstständigkeit möglicherweise positiver bewerten, als sie tatsächlich ist. Manche betrachten sich auch mit bezahlter Unterstützung oder familiärer Hilfe als «selbstständig», weil sie ihre Unterstützung selbst organisieren und ihre Entscheidungen selbst treffen.
Falls ein Umzug nötig wird, wünscht sich die Mehrheit eine eigene Wohnung zur Miete oder im Eigentum. Altersgemischte und barrierefreie Siedlungen mit sozialem Engagement sind nur für sieben Prozent die bevorzugte Wohnform. 52 Prozent könnten es «sich vorstellen». Mit zunehmendem Alter sinkt die Zustimmung noch tiefer. Diese Zahlen bestätigen jene im «Age Report IV», dem Standardwerk aus dem Jahre 2018 über das «Wohnen in den späten Lebensjahren». François Höpflinger, Soziologieprofessor und pensionierter Altersforscher, erhob mit zwei Mitautoren die «Grundlagen und regionalen Unterschiede». Neue Wohnformen haben es schwer. Viele äussern sich zwar interessiert – aber entscheiden sich dann häufig gegen eine Alters-Wohngemeinschaft oder eine Mehrgenerationen-WG.
Die Erhebung in Zollikon zeigt: Betreutes Wohnen interessiert viele, während sich fast die Hälfte ein Pflegeheim noch nicht vorstellen kann. Die Akzeptanz steigt mit zunehmendem Alter. Die Beteiligten am Runden Tisch registrieren, dass ältere Menschen oft ungute Vorstellungen von Pflegeheimen haben, die sich bei einem Besuch aber oftmals ändern. Dennoch: Viele wünschen sich eine 2½- bis 3½-Zimmer-Wohnung. Und: Die Mehrheit möchte ihre private Wohnfläche nicht zugunsten von Gemeinschaftsräumen reduzieren, besonders mit zunehmendem Alter.
Warum dies so ist, erklärt der Bericht nicht – es ging ja um eine neutrale Erhebung.
Frau Fischer, hat das «Generationenwohnen» Zukunft?
Wie immer im Leben gibt es Präferenzen – auch bei den Wohnformen. Ich persönlich glaube, dass Generationenwohnen angesichts der demographischen Entwicklung und der Tatsache, dass immer mehr Menschen allein wohnen, an Bedeutung gewinnen wird.
Wie interpretieren Sie die sinkende Zustimmung mit zunehmendem Alter?
Welche Beweggründe hinter den Antworten stehen, könnten wir im besten Fall in einer qualitativen Befragung erfahren. Eine solche ist nicht vorgesehen. Wir stützen uns deshalb auf Erfahrungswerte von Fachleuten. Im Gespräch mit ihnen habe ich erfahren, diese Haltung lasse sich auch damit erklären, dass bei älteren Personen die Ressourcen zur sozialen Teilnahme abnehmen. «Nicht zur Last zu fallen» ist ein häufig geäussertes Bedürfnis. Ich vermute zudem, dass die Zustimmung auch deshalb zurückhaltend ist, weil die genauen Parameter noch nicht definiert sind.
Der Bericht behandelt auch die Idee einer «Siedlungsassistenz». Wie konkret ist diese?
Eine Siedlungsassistenz kann verschieden organisiert werden. Denkbar ist, dass gemeindeeigene Mitarbeitende oder eine externe Anbieterin diese übernehmen. Welche Lösungen sich für Zollikon eignen würden, ist noch Gegenstand weiterer Diskussionen.
Die Bereitschaft, Privatbesitz zugunsten von Gemeinschaftsfläche aufzugeben, sinkt mit zunehmendem Alter auf einen Tiefpunkt. Die Verknappung des Wohnraumes hingegen steigt. Wie interpretieren Sie dies?
Das sind eher wohnbaupolitische Themen. In diesem Bereich kenne ich mich zu wenig aus. Und nach der Bereitschaft, Privatbesitz aufzugeben, wurde nicht gefragt, sondern nach der Bereitschaft, auf Privatfläche zu verzichten zugunsten von Gemeinschaftsräumen. Hier zeigte sich, dass zirka zwei Drittel dies klar verneint haben. Das müssen wir berücksichtigen. Auch, dass ein Drittel sich das vorstellen kann. Es ist für uns als Gemeinde wichtig, diese Vorlieben zu kennen. Ich persönlich nehme an – auch im Hinblick auf die zunehmende Einsamkeit – dass sich die Wünsche ändern werden, wenn Modelle wie Generationenwohnen, bei denen gemeinschaftlicher Raum zentral ist, sich etabliert haben. Es ist auch in Ordnung, solche Wohnformen auszuschliessen. Wir wollten erfahren, was sich die Zolliker und Zollikerinnen wünschen, ohne zu werten, ob diese Wünsche gut oder schlecht sind.
Welche Alterswohnform ist für Sie persönlich gut?
Auch ich habe eine eigene Vorstellung, wie ich mir mein gutes Wohnen im Alter einrichten möchte. Aber weil es nicht relevant ist, was ich persönlich darunter verstehe, sondern vielmehr, was die Bevölkerung für Vorstellungen und Bedürfnisse hat, habe ich als Ressortvorsteherin diese Befragung in Auftrag gegeben. Und mich sehr über den ausserordentlichen Rücklauf gefreut. Er zeigt, wie wichtig unserer älteren Bevölkerung gutes Wohnen ist.
So verschieden die Menschen sind, so verschieden sind die Vorstellungen über das Wohnen im Alter. Grundsätzlich möchten viele gerne lange in den eigenen vier Wänden bleiben, möglichst mit Balkon oder Aussensitzplatz. Bezahlbar. Gut angebunden an öV und mit Einkaufsmöglichkeiten. Und sicher in ruhiger, nachbarfreundlicher Umgebung.
Ich war im Frühjahr in Kopenhagen und habe mir in Nordhavn den 10-Minuten-Stadtteil angeschaut: Alles ist in zehn Minuten von einer Wohnung aus erreichbar. Die Läden, Post, ärztliche Versorgung und so weiter. Begegnungsorte. Die Fassaden teilweise als Grünfläche eingekleidet. Velowege sind ohnehin normal. Diese neuen Stadtquartiere finde ich spannend und anziehend.
Wie geht es nun weiter?
Gemeinsam mit meiner Abteilung werde ich zuhanden des Gemeinderats Lösungsansätze und Ideen entwickeln. Wichtig ist mir, dass das Ressort Gesellschaft die Themen kontinuierlich in andere Projekte des Gemeinderats einfliessen lässt. In die Ortskernentwicklung Zollikerberg beispielsweise. Es gilt die unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Anspruchsgruppen zu berücksichtigten und realistische gut austarierte Lösungen zu finden. Kurzfristig und langfristig.
Sandra Fischer, Ressortvorsteherin Gesellschaft: «Wir wollten wissen, was sich die Zollikerinnen und Zolliker wünschen.» (Bild: zvg)
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