Ich bin dann mal weg

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 22. November 2024

Nach 34 Jahren verlässt ­Sigristin Franziska Hirschi Zollikerberg. Die neue Heimat wird das Berner Oberland.

Die Kugelbahn gibt es seit 14 Jahren, Franziska Hirschi ist Sigristin seit 34 Jahren. Nun endet ihre Zeit. (Bild: bms)
Die Kugelbahn gibt es seit 14 Jahren, Franziska Hirschi ist Sigristin seit 34 Jahren. Nun endet ihre Zeit. (Bild: bms)

Vorne im Café am Puls sitzen eher Gäste mit grauem Haar. Es wird gespielt, geredet gelacht. Es ist angenehm ruhig. Im Saal dahinter ist es laut. Viel lauter. Mütter, ein paar Väter und Grosseltern sind mit ihren kleinen Kindern gekommen. Diese klettern, turnen, bauen. Die Eisenbahn fährt. Mittendrin sitzt Franziska Hirschi und lässt sich von dem Trubel nicht aus der Ruhe bringen. Mehr noch: Sie strahlt pure Vorfreude aus und verkörpert Hesses berühmte Zeile «Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne». Ende des Monats verlässt sie nach 34 Jahren ihre Position als Sigristin der reformierten Kirche im Zollikerberg.

Kritischer Vorgänger

34 Jahre hat sie in dem kleinen Haus am Rand des Kirchplatzes gewohnt. Jetzt wird gepackt. Vor ein paar Jahren haben Franziska Hirschi und ihr Mann eine Wohnung in Frutigen im Berner Oberland gekauft – ihre neue Heimat.

Seit zwanzig Jahren fastet die Sigristin regelmässig. Auch dieses Frühjahr. «In dieser Zeit habe ich mich gefragt, wohin mein Weg noch gehen soll. Ich habe genau in meinen Rucksack geschaut und beschlossen, dass ich aufbrechen will.» Nicht, weil sie ihre Arbeit nicht mag. Im Gegenteil – 34 Jahre hat sie diese mit Engagement, Liebe und Unterstützung der Familie gemacht. «Aber nun soll etwas ganz Neues anfangen. Und ich weiss, dass es schön wird», betont sie. Einen Fehler will sie nicht machen – und genau schauen, wie der Nachfolger oder die Nachfolgerin das Amt ausfüllen wird. Das war ihr selbst nicht gegönnt. Als sie 1990 als erst zweite Person das Amt übernahm, war ihr Vorgänger sehr kritisch. Schon, dass eine Frau diese Aufgabe übernehmen könne, traf nicht seine Vorstellung. Franziska Hirschi hingegen hat besonders gereizt, dass es nicht nur diese eine Aufgabe ist. «Man muss ein Allrounder sein.» Da sind die Reinigungsarbeiten, die technischen Herausforderungen, der Rasen will gemäht sein. Die Gottesdienste, Abdankungen, Konfirmationen gilt es vorzubereiten. Dazu kommen vielfältige Projekte. Sie hat den Suppen-Zmittag übernommen und ausgebaut, sie hat den Rock-Gottesdienst mit ins Leben gerufen, unzählige Apéros ausgerichtet. Als das Café am Puls dazu kam, wurde es noch intensiver. «Ich
bin so dankbar für die freiwilligen Helfer und Helferinnen. Ohne sie könnten wir hier viele Angebote nicht machen.» Franziska Hirschi sieht aber, dass nicht nur sie selbst älter wird – ebenso die Ehrenamtlichen altern. «Wenn ich gehe, hört eine 96-jährige Helferin aus meinem Team auf. Eine andere ist seit sechzig Jahren dabei und mittlerweile 87.» Es werde eine der Heraus­forderungen für die Kirche sein, jüngere Mitglieder zu begeistern. Die Kirche sei ja mit diesen Sorgen nicht allein. «Auch viele Vereine leiden darunter. Es bleibt oft kein Raum, sich in der Freizeit zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen. Dazu kommt die Schnelllebigkeit unserer Zeit.»

Echte Kerzen am Baum

Franziska Hirschi hat den Prozess der Fusion der reformierten Kirchen Zollikon und Zumikon begleitet. «Ich war von Anfang an dafür, aber vielleicht ist dieses Zusammenwachsen doch etwas anstrengender als wir alle gedacht haben.» So müsse in den Köpfen einiges passieren, bis es gefühlt eine einzige Gemeinde sei. Sie hofft, dass es gelingt, alle drei Kirchenhäuser zu betreiben und erinnert sich an einstige Pläne, die Kirche im Zollikerberg abzureissen, um dort ein Altersheim zu bauen.

Wenn in einer Woche die Adventszeit beginnt, kann sie diese ganz für sich geniessen. «Ich freue mich darauf, obwohl gerade diese Zeit immer auch geprägt war von schönen und intensiven Momenten.» Dazu zählte, dass im Zollikerberg noch echte Kerzen am Weihnachtsbaum brennen. «Ich bekam jetzt schon einige Anrufe, ob diese Tradition fortgesetzt wird», lacht sie. Sie hat offenbar keine Probleme, ihre bisherige Berufung loszulassen. «Jeder und jede ist ersetzlich. Wenn ich es nicht mache, macht es jemand anderer, und er oder sie wird es prima machen. Dem Leben tun Veränderungen gut.» Für die Zeit danach hat sie vorgesorgt: Alle Arbeiten und Aufgaben sind dokumentiert, damit es nahtlos weitergehen kann.

Franziska Hirschi klammert nicht. Vielmehr winkt sie dem neuen ­Leben freudig entgegen. Sie wird wandern gehen, sich auf das E-Bike setzen, mit dem Dackel Arthus unterwegs sein – auch wenn dieser nicht wie sein Vorgänger im Velokorb Platz nehmen will. Noch ist sie mit Jahrgang 1963 nicht im Pensionsalter. Die Gastronomie würde sie reizen, aber zuerst möchte sie Raum und Zeit für sich haben.

Franziska Hirschi liebt neue Notizbücher. «Ich mag die leeren Blätter. Da können Geschichten entstehen. Vielleicht gibt ihr die nächste ­Fastenkur im Frühling eine neue Inspiration.

Zurzeit ist sie auf Abschiedstour. Mit engen Freiwilligen hat sie einen Bus-Ausflug gemacht. «Aber ich werde es nicht schaffen, mich von allen persönlich zu verabschieden.» Am liebsten würde sie mit dem Worten von Hape Kerkeling gehen: Ich bin dann mal weg.

Werbung

Neuste Artikel

Newsletter

Dieses Feld wird benötigt.

ANMELDEN

Herzlich willkommen! Melden Sie sich mit Ihrem Konto an.