Von Franziska Müller ‒ 22. November 2024
Noch ist das Licht an diesem Sonntagmorgen grau. Das Thermometer zeigt zwei Grad. Der Boden ist nass vom Tau, der Zumiker Dorfplatz glänzt. Zwei ehrwürdige Feuerwehrautos flankieren Rednerpult und Transportanhänger. Blumenverziert, auf einem Polster aus gelben und weissen Blüten steht die neue Glocke.
Es sind gleich zwei Jubiläen, die die Katholische Kirche Zollikon-Zumikon an diesem Sonntag feierlich begeht. Vor sechzig Jahren wurde der Grundstein für die Kirche St. Michael gelegt, vor fünfzig Jahren die Pfarrei gegründet.
Neben der Segnung und Salbung der Glocke «Bruder Klaus» sind eine Prozession, sieben Reden an zwei Standorten, ein Gottesdienst und ein Plauschanlass für die Drittklässler und die Kinder des Religionsunterrichts der Pfarrei programmiert: Mit dem Aufziehen der Glocke durch die Kinder wird der dritte offizielle Teil des Fests am Nachmittag vorbei sein.
Auf dem Dorfplatz trudeln Menschen ein. Hinter dem Gemeindehaus parkieren neben dem Polizeiauto von Gemeindepolizist Ryser zwei weitere Oldtimer. Die beiden Postautos bringen die geladenen Gäste aus dem Zollikerberg sowie die Vertreterinnen der Katholischen Gemeinde, der Kirchenpflege und Seelsorge. Joseph Maria Bonnemain mit Bischofsstab blinzelt in Richtung Wolkendecke, begleitet von Pfarrer Pascal Marquard und siebzehn Ministrantinnen und Ministranten. «Schaut mal, die Sonne kommt. So gut. Wunderbar», freut sich der Pfarrer. Tatsächlich, je länger der Morgen, desto freundlicher wird der Himmel.
Der grosse Tag für die Katholische Gemeinde ist minutiös geplant.
Das Geläut der Reformierten Kirche von gegenüber macht nicht nur symbolisch den Anfang; Glocken und deren Bedeutung stehen zuoberst auf dem Programm. Als sie schweigen, singt der Männerchor. Es folgen Reden – und die Wolken brechen auf.
«Eine Glocke ist ein wundervolles Instrument zur Kommunikation,» ruft Bischof Joseph Maria Bonnemain ins Mikrofon. Er dreht den Kopf nach links, lächelt, winkt in Richtung der geschmückten Glocke. «Die Kommunikation macht aus uns Einzelnen eine Gemeinschaft; wir Menschen entfalten uns erst im Wir.» Der Klang der Glocke erinnere uns daran. «Er ist eine wirkungsvolle Medizin gegen übertriebenen Individualismus und Egoismus, ein Weckruf zur Sorge für das Allgemeinwohl.» Auch später am Tag, nach der Prozession mit der Glocke zum Zollikerberg, ist seine Predigt in St. Michael leidenschaftlich und herzlich.
In den vier Ansprachen auf dem Dorfplatz geht es in erster Linie darum, die neue Glocke willkommen zu heissen. Nebst Bischof und Pfarrer reden der Zolliker Kirchenpflegepräsident Vedran Zrno und der Zumiker Gemeindepräsident Stefan Bührer – eine Lektorin trägt eine biblische Lesung vor. Der Höhepunkt: Der Bischof schreitet um die Glocke, besprengt sie mit Weihwasser und beräuchert sie – es duftet über den ganzen Platz. Gesalbt wird sie schliesslich mit einer Tinktur aus Olivenöl und wohlriechenden Balsamen, dem sogenannten Chrisam. Der Bischof streicht je ein Kreuz für jede Himmelsrichtung auf. Dann wird sie ein erstes Mal symbolisch mit einem kleinen Hammer angeschlagen. Die Freude ist dem Bischof und dem Pfarrer von weitem anzusehen. Zwei ministrierende Kinder dürfen den Hammer auch noch schwingen. Der Dorfplatz strahlt: Die ersten Töne entfalten bereits ihre Wirkung. Bruder Klaus ist bereit.
Im Schritttempo wird die Glocke von Zumikon zum Zollikerberg überführt. Ein langer Tross mit gelbblinkendem Polizeifahrzeug an der Spitze, Feuerwehrautos, Nostalgie-Postautos und der Menschenmenge. Dazwischen der Wagen mit Glocke, zwei gut gelaunte Würdenträger, die Ministrantenkinder. Bergauf und bergab, durch Dorf und Gewerbezone, Tobel und Wiese. Ursprünglich war eine Pferdekutsche für den Glockentransport vorgesehen. Aber die fast 500 Kilogramm schwere Last wäre bei Schneeglätte zur Gefahr für Tiere und Mensch geworden. Deshalb tuckert ein Landwirtschaftsfahrzeug mit Benzinantrieb und Motorenbremse.
Die Kirche St. Michael mit ihrem fünfeckigen Turm und Platz bis fünfhundert Personen hat Architekt Karl Higi 1964 gebaut. Heute ist sie voll. Trompeten schmettern, drei Schweizergardisten stehen in leuchtenden Farben ernst und stramm, mit Fahne und mächtigen Schwertern. Auch Menschen ohne religiös geprägten Hintergrund wird klar: Diese Messe ist besonders. Derweil gebetet und gesungen, gepriesen und auch gelacht wird, bereiten die Mitarbeiter der Glockengiesserei Rüetschi den Aufzug in den Kirchturm vor. Ein sechsfacher Flaschenzug ist eingerichtet und ein armdickes Seil der Strasse entlang ausgelegt. Die Drittklässler werden ein Gewicht von geschätzten 80 Kilos spüren und rund hundert Meter Seil ziehen, bis die Glocke auf 32 Meter Höhe im Glockenstuhl angekommen ist.
Bevor aber Jan Podzorski, technischer Mitarbeiter der Glockengiesserei, die Kinder anweisen kann, kommen die letzten drei Redner zu Wort: Raphael Meyer, Synodalratspräsident der Katholischen Kirche im Kanton Zürich, Regierungsrat Mario Fehr und Sascha Ullmann, Gemeindepräsident von Zollikon. «Kirchenglocken sind kein beliebiges Gebimmel wie auf einer Kuhweide», sagt er, und nimmt damit noch einmal den Gedanken vom frühen Morgen auf. Dem Geläute liege eine breite symbolische Sprache zugrunde. Jede Kirche habe zudem eine festgelegte Läutordnung, die mit der Umgebung harmoniere. «Wie, wann und mit welchen Glocken geläutet wird ist von Bedeutung. Sie sprechen auch, wenn sie schweigen. Zwischen Gründonnerstag und Ostern stehen sie nämlich still.»
Ein letztes Foto der Glocke – die kommenden fünfzig Jahre wird sie niemand mehr zu Gesicht bekommen. Die Kinder ziehen, rufen, hüpfen. Zum Schluss gibt es Suppe und Brot – und Schokoladetafeln in Glockenform.
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