«Fürchtet euch nicht!»

Von Zolliker Zumiker Bote ‒ 20. Dezember 2024

Was ist der Kern der Weihnachtsbotschaft? Das werde ich als reformierter Pfarrer oft gefragt. Ich antworte gerne mit den Worten des Engels an die Hirten in der Heiligen Nacht: «Fürchtet euch nicht!»

In der Haupthalle des Zürcher Hauptbahnhofs schwebt der Schutzengel von Niki de Saint Phalle und wacht Tag und Nacht über den Reisenden. (Bild: Zürich Tourismus)
In der Haupthalle des Zürcher Hauptbahnhofs schwebt der Schutzengel von Niki de Saint Phalle
und wacht Tag und Nacht über den Reisenden. (Bild: Zürich Tourismus)

Text: Pfarrer Martin Günthardt

Keine Angst haben: Dieser Zuspruch findet sich 366 Mal in der Bibel. Er ist damit die häufigste Botschaft. So ermutigt Gott den jungen Josua, als er die Nachfolge des grossen Moses antreten muss: «Hab keine Angst und fürchte dich nicht, denn der Herr, dein Gott, ist mit dir auf allen deinen Wegen.» In den Weihnachtsgeschichten der Evangelien von ­Lukas und Matthäus sind es Engel, welche als Gottes Boten diese Aufgabe übernehmen. Die überraschte Maria erfährt von ihrer Schwangerschaft, und der verdutzte Josef wird von einem Engel ­überzeugt, trotz der unklaren ­Vaterschaft mit seiner Verlobten zusammenzubleiben. Beiden rufen Engel in ihren Zweifeln und Ängsten zu: «Fürchte dich nicht!».

Angst haben ist menschlich

Jesus hat als Erwachsener diese Worte oft wiederholt. Durchaus auch provozierend, wie in der Erzählung der Bootsfahrt auf dem See Genezareth. Das Schiff, das er mit den Jüngern für eine Überfahrt bestiegen hat, gerät in einen heftigen Sturm und die Wellen schwappen bereits über Bord. Panik bricht aus und die Jünger rufen verzweifelt: «Meister, wir gehen unter!» Nachdem Jesus Wind und Wellen beruhigt und sich der Sturm gelegt hat, fragt er: «Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?»

Angst haben ist menschlich, be­sonders in Momenten, wenn uns das Leben überrollt. Oder wenn wir von lieben Menschen Abschied nehmen müssen und uns die Endlichkeit des menschlichen Lebens bewusst wird. Jesus aber spricht seinen Jüngern sogar vor dem eigenen Tod am Kreuz Trost zu: «In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.»

Wir leben in einer unruhigen Zeit, und die Welt scheint aus den Fugen geraten. Das spiegelt sich in Befragungen der Schweizer Bevölkerung. Besonders gilt das für die sogenannte Generation Z. Das aktuelle Jugendbarometer, für das über 1000 junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren in der Schweiz befragt wurden, hält fest: «In der Schweiz gab es seit Befragungsbeginn noch nie so wenige junge Menschen, die bezüglich ihrer eigenen Zukunft zuversichtlich waren.» Oben auf der Rangliste stehen wirtschaftliche Sorgen, aber auch Angst vor Krieg und dem Klimawandel. Die Anzahl Kinder und Jugendliche mit Angststörungen und Depressionen hat in den letzten Jahren ebenfalls markant zugenommen.

Zur Weihnachtsgeschichte gehört für uns Maria und Josef mit dem Christkind in der Krippe, umgeben von Ochs und Esel. Es ist warm und heimelig, gemütlich und idyllisch. Dieses verklärte Bild hat sich in unseren Köpfen kollektiv eingeprägt. Dabei war es im Stall sicher bitterkalt und das Stroh piekste das Neugeborene unangenehm. Wir vergessen gerne: Die junge Familie war nicht freiwillig im Stall, sondern weil sie niemand beherbergen wollte.

Das Leben setzt sich durch

Weihnachten ist daher auch eine subversive Geschichte, die Mut macht: Das Leben setzt sich durch – trotz widrigen Umständen. Gott sagt «Ja» zu jedem Menschen und gibt ihm seinen Segen. Das Evangelium, die «Gute Nachricht», ist eine Botschaft der Hoffnung gegen alle Widrigkeiten der Welt.

Gott möchte uns Mut machen, so wie den Hirten damals. «Lasst uns nach Bethlehem gehen und die Geschichte sehen», sagen sie zueinander. «Eine Geschichte sehen» – das ist eine ungewöhnliche Formulierung. Sie bedeutet, in die Realität des anderen einzutauchen. Es ist wichtig, mit ganz unterschiedlichen Menschen ins Gespräch zu kommen, ihre Sorgen und Nöte zu verstehen. Die Überwindung der Angst ist dabei der erste notwendige Schritt. Vertrauen kann entstehen und eine Gemeinschaft stärken. Das befreit zum Handeln. Miteinander können wir kreative Lösungen suchen und die Herausforderungen und Probleme anpacken.

Von Engeln begleitet

Im Zürcher Hauptbahnhof schwebt der Schutzengel von Niki de Saint Phalle. Es ist eine weibliche Figur, ganze elf Meter hoch und von der französischen Künstlerin liebevoll als «Nana» bezeichnet. Trotz ihren 1,2 Tonnen schwebt sie in der grossen Halle und wacht Tag und Nacht über den Reisenden. «L’ange protecteur» kam 1997 als Geschenk der Securitas zum 150-jährigen Jubiläum der SBB in drei Teilen aus den USA per Schiff über Rotterdam und Basel nach Zürich. Oft stelle ich mir vor, dass auch sie uns allen zuruft: «Fürchte dich nicht!»

Ich wünsche Ihnen von Herzen frohe Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr 2025. Seien sie mutig und zuversichtlich!

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Eine Antwort

  1. Es ist sehr schön dass der Zolliker Zumiker Bote grosszügig Platz für einen Weihnachtsartikel zur Verfügung gestellt hat und ein Pfarrer den Inhalt dazu. Heutzutage braucht es schon Mut sich über religiöse Themen zu äussern aber der Titel sagt es bereits: „Fürchtet euch nicht“.

    Der Artikel gibt nur annähernd Antwort auf die Frage, was der Kern der Weihnachtsbotschaft ist. Um beim Titel zu bleiben, wurde die Frage, wovor sich eigentlich jeder Mensch am meisten fürchten müsste, nicht gestellt.

    Im Artikel schreibt Martin Günthardt: „Gott sagt ‚Ja‘ zu jedem Menschen und gibt ihm seinen Segen.“ Das heisst, Gott vergibt jedem Menschen seine Schuld und öffnet seine Türen. Und dies wird nur durch Jesus, dessen Geburt wir feiern, ermöglicht. Leider wurde aber nicht darauf eingegangen, dass der Mensch ebenfalls seinen Teil dazu beitragen muss, indem auch er „Ja“ zu Jesus sagt und durch die stets offene Türe tritt. Tut er dies zu Lebzeiten nicht, ist jede andere Furcht bedeutungslos.

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