Hochkultur für lesende Wandervögel

Von Franziska Müller ‒ 24. Januar 2025

Literaturwissenschaftlerin Barbara Naumann begab sich zusammen mit Schauspieler Hanspeter Müller-Drossaart auf Goethes Spuren. Sie kommentierte, er las – das Vorhaben gelang. Ein inspirierender Abend.

Ernteten viele Lacher: Autorin Barbara Naumann und Schauspieler Hanspeter Müller-Drossaart (Bild: frm)
Ernteten viele Lacher: Autorin Barbara Naumann und Schauspieler Hanspeter Müller-Drossaart (Bild: frm)

Es könnte passender nicht sein. Die Idee für diesen Abend «auf Goethes Spuren» im Kirchgemeindesaal von Zumikon hatte ihren Ursprung auf einer Wanderung – genauer, auf einer Pilgerreise. Pfarrerin Adelheid ­Jewanski und Literaturwissenschaftlerin ­Barbara Naumann wanderten zusammen mit anderen auf dem Camino del Norte und lernten sich kennen. Das von Barbara Naumann als Mitautorin verfasste Werk über Goethes Reisen in der Schweiz ist ein zweibändiges Kompendium mit Originaltexten, Kommentaren und Wanderrouten. Das eine ergab das andere. Mit Yvonne Peter, ­Präsidentin Zumiker Kulturkreis, und Yvonne Rüegg, Leiterin der ­Gemeinde- und Schulbibliothek, fand die Pfarrerin zwei begeisterte Mit­organisatorinnen für die Lesung vom letzten Mittwoch. Der Saal war ­brechend voll. Die Kommentare der ­Autorin und die Darbietung des Schauspielers ernteten immer wieder Lacher, zum Schluss frenetischen Applaus.

Liebes- und Lebenskrisen

«Ach», fängt Hanspeter Müller-Drossaart an; er liest aus einem Brief, den der junge Johann Wolfgang auf seiner ersten Schweizer Reise 1775 an seine damalige Verlobte Lili Schönemann schrieb. «Ach», ein eher unglücklicher Liebesbrief also. Es zeichnete sich nämlich ab, dass aus der Verbindung nichts wird; Goethe war Lilis Eltern nicht standesgemäss genug. Der junge Goethe, «zwar schwerverliebt», so Barbara Naumann, «war sich des unglücklichen Ausgangs seiner Beziehungsgeschichte wohl bewusst».

Alle drei Schweizer Reisen waren begleitet von verschiedenen Liebes- und Lebenskrisen – also von der Auseinandersetzung mit sich selbst. Sein Gefühl der Zerrissen- und Unentschlossenheit manifestierte sich bildhaft im Gebirge und literarisch in seinem Schreiben. Seine literarische Leistung war in Anbetracht der physischen Anstrengung des damaligen Bergwanderns enorm. Auf seiner zweiten Schweizreise 1779 war es Spätherbst, als er und seine Begleiter kilometerweit über die Furka durch den teils hüfthohen Schnee stapften. Sie trugen schwere Wollmäntel, Nagelschuhe und Beinkleider, die sich mit Nässe vollsogen. «Kein Vergleich zu den Trekkingkleidern und Wanderschuhen mit Profilsohlen von heute», sagte die Literaturwissenschaftlerin. «Man muss ihm und seiner Reisegruppe eine bewundernswerte körperliche Fitness attestieren.»

Nachlesen und Nachwandern

Womit der Bogen ins Jetzt geschlagen ist. «Mit ‹Goethes Schweizer Reisen› möchten wir diejenigen, die gerne lesen, zum Wandern verführen – und Wanderer in den Lesesessel locken.» Im ersten Band lassen sich anhand der Briefe, Tagebücher und Notizen die Eindrücke und Erlebnisse des Dichters verfolgen und verstehen. Band Zwei widmet sich der Praxis. Dank den 25 genau recherchierten Routen inklusive modernen Kartenausschnitten lässt es sich bequem auf Goethes Spuren wandern.

Spätestens seit 1775 ist klar: Reisen schärft den Blick. Nach aussen auf die Welt, nach innen in die Seele. Was für ein Abenteuer. Nichts wie los, Nachlesen und Nachwandern.

Werbung

Neuste Artikel

Newsletter

Dieses Feld wird benötigt.

ANMELDEN

Herzlich willkommen! Melden Sie sich mit Ihrem Konto an.