Von Joachim Lienert ‒ 7. Februar 2025
Da sitzt der Tausendsassa, wie er sich selbst bezeichnet, im Dachgeschoss seines Hauses mit dem heimeligen Gebälk: quirlig, sprühend, gestikulierend. Die Leidenschaft für sein Leben und seinen Beruf wird spürbar. Wobei Beruf eine Untertreibung ist. Markus Buehlmann war schon Balletttänzer, Lehrer, Pädagoge für Hörgeschädigte, Schweizer Meister, Choreograph, Regisseur, Musicaldarsteller, Autor. Da jongliert einer mit vielen Bällen.
Den ersten warf seine Cousine dem gebürtigen Basler zu. Die Berufstänzerin schleppte den Handelsschüler in seinen Ferien ins Training mit. «Stell doch deinen Cousin an die Stange», sagte die Ballettlehrerin. Sie war hingerissen von Markus’ erstem Plié – und gab ihm die Nummer eines Ballettlehrers in Basel, der schon mit Heinz Spoerli auf der Bühne gestanden war. «Ich machte immer, was man mir sagte; so rief ich ihn eben an.» Er ging hin, zweimal pro Woche. Seine Eltern, beide gehörlos und ohne Bezug zu Ballett, waren nicht begeistert. Markus, der einzige Junge in der Gruppe, langweilte sich nach drei Monaten, wollte aufhören und teilte dem Ballettlehrer mit, seine Eltern könnten die Ausbildung nicht bezahlen. Als dieser ihm für 24 Franken monatlich eine Ausbildung anbot, willigte er zerknirscht ein. Es wurden vier Jahre Ballettunterricht. Jede freie Minute ging er hin, über Mittag, nach der Schule, sechsmal die Woche, absolvierte parallel dazu die Matura – und es machte ihm Spass.
19-jährig war er, als Heinz Spoerli ihn anrief. Der Ballettdirektor brauchte kurzfristig einen Ersatz für eine Premiere im Theater Basel. «Ich starb tausend Tode, plötzlich stand ich im Ballettsaal mit all meinen Idolen, darunter Martin Schläpfer.» Es blieb nicht bei dem einen Stück. Fünf Jahre lang tanzte er auf verschiedenen Bühnen. Doch es war nicht das, was er wirklich wollte.
Er absolvierte das Lehrerseminar, arbeitete als Primarlehrer. «Es war so toll mit der Klasse, dass ich mir nicht vorstellen konnte, es könnte noch besser werden.» Er kündigte nach einem Klassenzug, studierte Hörgeschädigten-Pädagogik und arbeitete an der Gehörlosen- und Sprachheilschule Riehen. An die Stange stand er nicht mehr. Doch für sich übte er weiter, Jazztanz, Modern Dance, nahm Steptanz-, Gesangs- und Schauspielunterricht. «Ohne Ziel, einfach, weil ich Lust hatte.» Mit 29 Jahren wurde er sogar Schweizer Meister im Lateinamerikanischen Turniertanz.
London 1992. Markus Buehlmann sitzt im Publikum, seine Augen glänzen. Er erlebt sein erstes Musical. «Da wusste ich: Das ist es! Das ist der Grund, warum ich all das machen möchte: Schauspiel, Tanzen, Singen – alles zusammen!» Er kehrt in die Schweiz zurück mit dem Plan, Musicaldarsteller zu werden. Nach seiner ersten Jazztanzstunde sagt die Lehrerin zu ihm: «Ich suche einen männlichen Tänzer für die Sendung Benissimo.» Ein ganzes Jahr lang lebt Markus Buehlmann von seinen Auftritten in der Show.
Jetzt wird er zum Triple Threat – zu einem Musicaldarsteller, der singt, tanzt und spielt. Ein Auftritt in «Evita» in Schwäbisch Hall lanciert seine Karriere. Man reicht ihn von Engagement zu Engagement weiter. Er tritt in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf. Und wieder wird jemand auf ihn aufmerksam: Dominik Flaschka, Schweizer Regisseur, aufgehender Stern in Zürich, fragt ihn, ob er kurzfristig eine Choreographie übernehmen könne. «Und weil ich immer Ja sage, sagte ich zu.»
Zehn Jahre wirkt er als Choreograph aller Musicalproduktionen von Dominik Flaschka, auch von «Ewigi Liebi». Für Stefan Huber choreographiert er die Welturaufführung des Heidi-Musicals. Er wird zum Regisseur, leitet Musicalabende im Seehotel Waldstätterhof in Brunnen und schreibt eigene Stücke. Anfang der Nullerjahre wird er sesshafter. Abgesehen von Abstechern nach Deutschland tourt er mit den originalen DinnerKrimis von Peter Denlo durch die Schweiz und sitzt für die Sendung «Darf ich bitten?» von SRF in der Expertenjury.
Die Bälle fliegen noch immer. «Ich hatte das grosse Glück, dass die Menschen mein Leben lang Vertrauen in mich hatten.» 2024 choreographierte er das Musical «Addams Family» in Baden-Baden, diesen Sommer ein neues Marvel-Musical in Saarbrücken, und für das Careum Zürich trainiert er Profis, Laiendarstellerinnen und -darsteller, die Patienten für die Ausbildung der Studierenden mimen.
Bei so vielen Bällen darf man einem 63-Jährigen die Frage stellen: «Wie sieht es mit der Pensionierung aus?» Er kann sie sich nicht vorstellen. Er spürt aber, dass er seinen Körper über 40 Jahre lang stark gefordert hat. Deshalb macht er jetzt ab und zu etwas, das er nie zuvor tat: «Ich sage Nein und lehne auch mal ein Engagement ab.»
Seit 18 Jahren ist Markus Buehlmann mit Ajit Singh zusammen. Der Facharzt mit einer Praxis für Angiologie in Zürich ist halb Schweizer, halb Inder und verbrachte einen Teil seiner Kindheit in Zollikon. Vor neun Jahren stand das Paar vor einem Haus an der Höhestrasse in Zollikon. Sie blickten den Hang hoch – und waren verzaubert. Die beiden erhielten den Zuschlag. Sie liessen das 1911 erbaute Haus mit seinem charakteristischen Erker sorgfältig restaurieren. Zuoberst, im Reich von Markus Buehlmann, müssen Gäste beim Betreten des Erkers den Kopf einziehen. Dann tut sich eine hohe Kuppel auf, der Blick schweift über den See. Hier ist sein Arbeitsplatz. Und unten breitet sich ihr Märchengarten aus: «Im Garten vergesse ich die Zeit. Es ist wie beim Tanzen: Ich stecke mittendrin und kann an nichts anderes denken.»
Dieser Tage heiratet eine Cousine von Ajit Singh in Indien. Markus Buehlmann fliegt mit seinem Mann hin. Die indischen Gewänder im Haus verraten es: Zwei Wochen hat er für einen Auftritt von dreieinhalb Minuten geprobt. Einmal mehr hat er Ja gesagt – für ein Paar, das sich das Jawort gibt.
ANMELDEN
Herzlich willkommen! Melden Sie sich mit Ihrem Konto an.