Von Joachim Lienert ‒ 7. Februar 2025
Ein freudiges «Grüezi Frau Gebs» schallt von 20 Kindern wie aus einer Kehle. Dann geht Brigitte Gebs zum Unterricht über. Yin und Yang sind das Thema. Ein Mädchen erklärt: «Wenn es helle Zeiten gibt, dann gibt es auch dunkle Zeiten. Und wenn es dunkle Zeiten gibt, gibt es auch etwas Helles.»
Ein treffendes Bild für den Mittwochmorgen. Denn plötzlich wird es dunkel, der Buddha auf dem Bildschirm erlischt, die Kinder sind still. Bis ein Junge ruft: «Wir haben keine Angst!» Immer mehr Gspänli pflichten ihm bei: «Wir haben keine Angst!» Brigitte Gebs unterrichtet gerade eine erste Primarklasse in der Schule Oescher, wo für den Mittwochmorgen ein Blackout Day geplant war. Doch das wussten die Schülerinnen und Schüler nicht – und ebenso ging es der einen oder anderen Lehrperson. Denn dass hier eine Übung stattfand, sollte so lange wie möglich geheim bleiben. Brigit Belser, Co-Schulleiterin der Schule Oescher, sagt aber auch: «Vor Lehrpersonen kann man fast nichts geheim halten.»
Brigit Belser erläutert den Hintergrund: «Die Idee hat ihren Ursprung bei engagierten Müttern im Elternrat.» Die Schule nahm das Anliegen auf und stiess auf die Organisation My Blue Planet, die mit Firmen und Schulen zusammenarbeitet. Letztes Jahr hat die Schule Oescher das Programm «Klimaschule» von My Blue Planet im Rahmen des Projekts «Nachhaltiges Oescher» begonnen.
In den Bereichen Energie, Mobilität, Biodiversität, Ernährung, Ressourcen und Abfall sollen Schülerinnen, Schüler, Lehrpersonen und Eltern sensibilisiert und zu nachhaltigem Handeln motiviert werden. Der Blackout Day machte als einer von mehreren Aktionstagen in den nächsten drei Jahren den Anfang. «Die Kinder sollen spüren, wie uns ein Stromausfall treffen kann», erklärt Brigit Belser. «Morgen werden sie in der Klasse das Erlebte reflektieren und sich auch fragen, wie wir alle dazu beitragen können, sorgsam mit den Ressourcen umzugehen.»
Rund 550 Schülerinnen und Schüler sind am Mittwoch in ihren Klassen, als um 8.30 Uhr der Strom ausgeht. Am stärksten trifft der Ausfall diejenigen, die gerade in der Turnhalle sind. Da verbreiten plötzlich nur noch drei Notlichter ihren Schein. Lehrerin Jolanda Flükiger sagt: «Das Licht ging mitten im Spiel aus. In der Garderobe und im WC war es dann wirklich dunkel. Da sind die Kinder ziemlich erschrocken.» Auch im Geräteraum war es stockdunkel, und so leuchteten die Lehrerinnen den Kindern mit der Handylampe den Weg.
Dass ein besonderer Tag anstünde, war im Vorfeld nicht bis zu den Kindern durchgedrungen. Entsprechend zahlreich waren ihre Fragen: «Wie lange dauert der Stromausfall?» «Wissen Sie, ob nur unser Schulhaus oder ganz Zollikon oder die ganze Schweiz betroffen ist?» Und ein aufgeweckter Junge: «Ich habe gesehen, dass es im Schulhaus Buechholz gegenüber Licht hat. Sind die nicht betroffen?»
Angst aber hatte niemand. Einige fanden es cool, lustig, andere machten sich ein kleines bisschen Sorgen. Nicht nur um sich selbst: «Mein Vater ist Informatiker. Wenn er jetzt keinen Strom hat, kann er ja nicht mehr arbeiten.» Einhellig finden alle, dass das WC im Dunkeln etwas vom Schlimmsten war. Nicht nur gruselig, sondern auch «gruusig». In der fünften Klasse hat man sich auch Gedanken darüber gemacht, wie schwer es den Leuten in Kriegsgebieten ergehen muss, die keinen Strom haben. Plötzlich merke man, was alles Strom brauche, meint ein Mädchen, die Uhr sei stehengeblieben, der Gong gehe nicht mehr. Ein Junge ergänzt: «Wenn ich nicht mehr warm duschen könnte, das fände ich nicht toll, ich dusche nicht gerne mit kaltem Wasser.»
Die Lehrpersonen seien praktisch alle hinter dem kleinen Abenteuer gestanden, sagt Brigit Belser. Eine von ihnen ist Flavia Triet, die eine vierte Primarklasse unterrichtet. Sie freut sich: «Wir haben das perfekte Thema gewählt.» Im Fach Natur, Mensch und Gesellschaft arbeiten ihre Schülerinnen und Schüler zurzeit an einem Stromquiz mit jeweils vier Antworten pro Frage. Jede Antwort hat einen Kontaktpol. Nur wenn man denjenigen der richtigen Antwort über ein Kabel mit dem anderen Pol der Batterie verbindet, leuchtet ein Lämpchen auf. Ein Junge fragt: «Wissen Sie es? Was hat ein Zebra für Streifen? Ist es schwarz mit weissen Streifen oder weiss mit schwarzen Streifen?» Ob er recht hatte oder nicht, das sagte dem Befragten das Licht.
In den höheren Klassen zwingt ein Stromausfall längst nicht immer zu analoger Arbeit. Dank Akku funktionieren die Laptops, die Hauptinstrumente der Kinder, problemlos weiter. Das ist bei Brigitte Gebs noch anders. Ihr Instrument ist die Gitarre, die Kinder stimmen enthusiastisch mit ein. Für Jolanda Flükiger ist das Analoge eine schöne Erfahrung: «Es war wie eine Rückkehr zu alten Zeiten. Ich habe den Kindern wieder Aufgaben
an der Wandtafel erklärt, statt wie üblich am Visualizer.»
Es ist kurz vor halb zwölf. Das Licht geht wieder an. Brigit Belser macht eine Durchsage. Mit Strom, über Lautsprecher, im ganzen Schulhaus. Sie bittet alle Schülerinnen und Schüler mit ihren Lehrpersonen auf den Pausenplatz. Eine Klasse nach der anderen trifft ein, bis sich alle Kinder versammelt haben. Es herrscht Gewimmel, Aufregung – und Stolz, etwas Besonderes erlebt zu haben. Brigit Belser ruft: «Es war ein Test, habt ihr das gewusst?» «Ja!», schallt es aus vielen Kehlen, auch einige «Nein!» sind auszumachen.
Es sei eine Übung gewesen, die zum Nachdenken darüber anregen solle, wie es wäre, wenn es plötzlich keinen Strom mehr gäbe. Tanja Staub, Programmleiterin Klimaschule von My Blue Planet erklärt den Kindern, dass sich alle am Donnerstag im Unterricht noch einmal Gedanken darüber machen werden, wie es ihnen ergangen sei und wie sie Strom sparen können. Eine Idee hatte ein Junge am Morgen bereits geliefert: «Wir könnten eine Pyjamaparty machen!» Worauf eine Banknachbarin trocken entgegnete: «Wir haben gar kein Pyjama dabei.»
Der Blackout Day ist Teil einer vierjährigen Zusammenarbeit mit dem Bildungs- und Klimaschutzprogramm der Organisation My Blue Planet. Deren Team Klimaschule unterstützt die Primarschule Oescher dabei, ein Bewusstsein für die Bedeutung natürlicher Ressourcen zu schaffen und nachhaltiges Handeln
zu fördern. Der Blackout Day war der erste Aktionstag der Kampagne «Jede Schule zählt – Nachhaltiges Oescher!». An weiteren Tagen in diesem und nächsten Jahr werden die Schülerinnen und Schüler unter anderem mithelfen, Solaranlagen auf den Dächern des Schulhauses zu montieren. Zudem könnten für das Thema Biodiversität geteerte Flächen auf dem Schulareal aufgebrochen und entsiegelt werden, um der Natur zum Durchbruch zu verhelfen.
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