Von Joachim Lienert ‒ 21. März 2025
Mittlerweile kommen drei Viertel der in der Schweiz neu zugelassenen Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland. Für viele Hausarztpraxen ist aber nicht nur die mangelnde Versorgung ein Problem, sondern auch die Nachfolge. Wie sehen das Ärztinnen und Ärzte aus Zollikon und Zumikon?
Tobias Niggli führt seine Hausarztpraxis in Zumikon. Mit 68 Jahren könnte er längst im Ruhestand sein. Doch sein Beruf gefällt ihm. Zudem sieht er sich in komfortabler Lage. Sein Sohn Fabian hat sich auf Allgemeine Innere Medizin spezialisiert und arbeitet seit letztem Jahr in seiner Praxis. Ende 2025 wird er sie übernehmen. Dann gab es noch eine glückliche Fügung: «Nadia Tabouring, die im Aargau praktiziert, stiess im Internet auf unsere Praxis und fragte, ob sie bei uns arbeiten dürfe. Sie passt fachlich und menschlich hervorragend zu uns und wird ab April eine Bereicherung für unser Team sein.» Zumikon bietet Ärztinnen und Ärzten viele Vorzüge – nahe an der Stadt, nahe an Spitälern, in die man Patienten im Notfall schicken kann. «Wir sind verwöhnt mit all den Spezialisten.» Hausarzt ist für ihn noch immer ein Traumberuf, faszinierend, weil die Leute mit allen möglichen Beschwerden kommen, er aber auch interessiert ist an deren psychosozialen Problemen. Administration und Qualitätskontrolle nehmen heute viel Zeit in Anspruch. Rund anderthalb Tage pro Woche, schätzt Tobias Niggli, auch samstags und sonntags. Viel zu oft verlangten Krankenkassen detaillierte Begründungen für Behandlungen. Er hofft, das Hausarztmodell wird nicht zum Auslaufmodell: «Oft kenne ich die ganze Familie, zum Teil drei, vier Generationen, das will ich nicht missen.»
Michael Bischofberger sieht keinen Kinderärztemangel am rechten Seeufer. Alle haben genug zu tun bei ihm und seiner Kollegin in der Praxis Zumimed. Dennoch nehmen sie auch neue Patientinnen und Patienten auf. Schwieriger beurteilt er die Nachfolge. Er wird im Sommer 59 und kann sich vorstellen, noch ein, zwei Jahre über das Pensionsalter hinaus zu arbeiten. «Doch es ist nicht einfach, jemanden zu finden.» Er nennt einen Kinderarzt in Zürich, der erfolglos einen Nachfolger gesucht hat – und schliesslich seine Praxis schloss. Generell seien die Leute ängstlicher geworden. Man gehe schneller zum Arzt. «Früher gab es die Regel: Geh nach drei Tagen Fieber zum Arzt. Heute kommen manche Leute schon nach zwei Stunden.» Natürlich habe das auch stark mit Halbwissen aus dem Internet zu tun. Als grösste Hürde für junge Ärztinnen und Ärzte beurteilt auch er den administrativen Aufwand. Für viele sei ein Spital attraktiver – mit geregelten Arbeitszeiten und Ferien. «Der Trend geht zu Gruppenpraxen. Dort arbeiten angestellte Mediziner zu einem fixen Lohn. Viele Junge stört das nicht, weil sie damit auf der sicheren Seite sind.»
Wer heute eine neue Praxis eröffne, müsse so viele Vorgaben erfüllen, das schrecke ab. Zudem will er mit einem Gerücht aufräumen: «Viele denken: Ihr Ärzte seid reich und braucht euch nicht zu beklagen. Das ist beim Kinderarzt definitiv nicht der Fall: Seit Einführung des Tarmed vor rund 25 Jahren gab es für uns keine Lohnerhöhung. Ich nehme immer noch gleich viel ein wie früher, habe aber weit mehr Ausgaben. Und es wird jedes Jahr teurer.» Er sieht heute zwei Arten von Patienten: Die einen unternehmen vier Wochen lang nichts, wenn sie etwas haben, aber eines Abends müssen sie sofort wissen, wie es um sie steht. Für diese ist eine Permanence der perfekte Ort. Dann gibt es die zweite Art: «Die Leute kommen zu mir – sie wollen den Doktor Bischofberger. Diese persönliche Bindung verlieren sie in Zukunft, wenn es nur noch Gruppenpraxen gibt und einer von 14 Ärzten kommt, dem man seine Geschichte zum wiederholten Mal erzählen muss.»
Sandra Ohle teilt sich mit ihrer Kollegin Lena Hommerich eine Hausarztpraxis in Zollikon. Sie beurteilt die Situation so: «Wir haben sehr viele Anfragen und können den Ansturm kaum bewältigen.» Neue Patienten nehmen sie nur noch auf, wenn sie Angehörige von Patienten sind oder von Kolleginnen und Kollegen überwiesen wurden. Lena Hommerich fügt hinzu: «Die Neuaufnahme von Patienten ist aufgrund der wachsenden administrativen Aufgaben eine zunehmende Herausforderung. Die Flut an E-Mails, Rezeptanfragen und Überweisungen steigt und wird dem Arbeitsaufwand nicht entsprechend vergütet. Verglichen mit den Spezialisten ist der Hausarztberuf unattraktiv. Das Wichtigste, nämlich dass wir uns für das Gespräch mit dem Patenten viel Zeit nehmen möchten, wird nicht genügend honoriert.»
Die beiden wünschen sich bessere Anreize für die Hausarztmedizin, damit auch in Zukunft eine gute Versorgung gewährleistet ist. Auch wenn ihre Nachfolgeregelung noch in der Ferne liegt, beurteilen sie
sie als schwierig. Sandra Ohle: «Die Führung einer Hausarztpraxis ist schwieriger geworden. Wir werden für unsere Arbeit zu wenig bezahlt und können den unterschiedlichen Ansprüchen von Patienten und Krankenkassen kaum gerecht werden.» Beiden ist aber wichtig zu betonen, dass die Arbeit sie erfüllt. Lena Hommerich sagt: «Wir arbeiten mit Freude und Elan, auch wenn es immer anspruchsvoller wird.» Sandra Ohle pflichtet ihr bei: «Wir haben tolle Patienten und Patientinnen. Trotz Herausforderungen bei den Arbeitsbedingungen macht uns die Arbeit grosse Freude.»
Verena Broger Ribi ist seit 25 Jahren Hausärztin mit Praxis in Zollikon. Sie nimmt nur noch neue Patientinnen und Patienten aus Zollikon an. «Sonst wären wir überlaufen. Das ist keine neue Entwicklung, das handhaben wir schon länger so.» Mehr Ärzte einzustellen könnte eine Lösung sein. «Wenn man denn jemanden findet.» Dabei sei Zollikon attraktiv für junge Hausärzte, stadtnah und trotzdem keine Stadt. Die Lösung sähe sie darin, Hausärzte in Bezug auf Vergütung und Tarife mit Spezialisten gleichzusetzen. «Es gibt heute einige wenige Idealisten, die noch Hausarzt werden wollen, aber für die meisten ist das Geld wichtiger.» Sie macht sich keine Illusionen. Eine Tarifanpassung sei nicht realistisch. Die Krankenkassenprämien sind schon heute für viele eine finanzielle Last. Könne man diese nicht erhöhen, müsste man den Spezialisten etwas wegnehmen, um die Hausärzte besser zu bezahlen. «Das funktioniert auch nicht.» Eine Patenlösung sieht auch sie nicht. «Man sollte den Nachwuchs auf verschiedenen Ebenen fördern und ihm zeigen, dass es ein schöner Beruf ist.»
Das Fazit unserer Pulsmessung lässt sich so zusammenfassen: Hausarzt und Hausärztin, Kinderarzt und Kinderärztin sind schöne Berufe, die Freude machen. Doch Vorschriften und Auflagen erschweren die Arbeit zunehmend, zudem wird sie gegenüber der Tätigkeit von Fachspezialisten vergleichsweise tief vergütet. All das macht es schwierig, angehende Medizinerinnen und Mediziner für eine klassische Arztpraxis zu begeistern. In Bezug auf die hausärztliche Versorgung wiederum darf die Lage in Zollikon und Zumikon im Vergleich zur Gesamtschweiz als privilegiert bezeichnet werden.
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