Von Joachim Lienert ‒ 28. März 2025
Pünktlich schreitet Ildiko Bende an einer Probe im März zum Klavier im Schulhaus Zumikon, wünscht den rund 30 Sängern einen schönen Abend – und legt sogleich los. Ihr zuzuschauen, wie sie die Männer anleitet, ist ein Vergnügen. Wieder kommt einem das Wort Leidenschaft in den Sinn. Die Mundmuskeln und Stimmbänder werden mit Zisch-, Summ- und Brummlauten gelockert, danach geht es diszipliniert ans Sangeswerk. Mit präzisen Schwüngen von Händen und Armen, mit feinem Kopfnicken, mit dem Heben der Augenbrauen kitzelt sie das Beste aus Tenor, Bariton und Bass.
Ildiko Bendes Augen strahlen. Sie erzählt von ihrer Arbeit und ihrem Leben – und davon, dass die beiden eigentlich eins sind. Was ursprünglich als Austauschsemester in Zumikon gedacht war, entwickelte sich zu einem 30-jährigen Abenteuer. Ein Abenteuer durchzogen von Musik. Aufgewachsen ist sie in der ungarischen Stadt Győr. Schon mit 13 wusste sie: «Es muss Musik sein.» Ihre Eltern hätten es lieber gesehen, wenn sie Ärztin geworden wäre. Doch ihr war klar: «Ich will ans Musikgymnasium, und es muss ein Blasinstrument sein. Der Klang der Querflöte hat mich einfach fasziniert.» Nach der Blockflöte begann sie mit neun Jahren Querflöte zu spielen. Das Wort «Leidenschaft» taucht auf: «Es ist das Schönste, wenn man einen Beruf wählen kann, der aus einem geliebten Hobby entstanden ist.»
Früher konnte man erst mit etwa neun Jahren Querflöte spielen, weil das Instrument für Kinderarme
zu kurz war. Heute gibt es für die Jüngsten eigens gebogene Kopfstücke oder Wellenflöten. Dadurch, sagt sie, könnten Mädchen heute viel früher mit dem Querflötenspiel beginnen, als sie es konnte. Nur Mädchen? «Zum grössten Teil. Es kommen tatsächlich nur sehr wenige Jungen zum Querflötenunterricht», bestätigt sie.
Dass Ildiko Bende nach Zumikon kam, war ein Zufall; ihre damalige Querflötenlehrerin in Ungarn hatte eine Bekannte in der Schweiz. Aus einem halben Jahr Austauschsemester während ihres Musikstudiums wurden dreissig Jahre. Die musikalischen Aussichten, die sich ihr hier eröffneten, waren zu verlockend. Bald spielte sie im Opernhaus Zürich. Sie schloss ihr Hochschulstudium ab und absolvierte an der Zürcher Hochschule der Künste eine Zusatzausbildung für Musikalische Grundausbildung sowie eine Ausbildung für Kirchenmusik-Chorleitung. «Ich wurde in Zumikon sehr wohlwollend aufgenommen», erinnert sie sich. «Ich habe einen tollen Freundeskreis und lebe sehr gerne hier.» Musik blieb immer ihre Berufung und Leidenschaft. Es gab Zeiten, da dirigierte sie vier Chöre gleichzeitig. Heute gönnt sie sich mehr Freizeit, tanzt gerne, vor allem Tango Argentino, reist, liest, kocht und schwimmt im Sommer im Zürichsee.
Seit Jahren unterrichtet sie an den Primarschulen Zumikon und Zollikon Erst- und Zweitklässler in Musikalischer Grundausbildung und erteilt Querflötenunterricht in der Musikschule. Sie selbst erlebte als Kind in Ungarn Drill in der Schule: «Leistung, Leistung, Leistung.» Sie dagegen möchte den Kindern den Spass nicht verderben: «Ich will immer Freude vermitteln, sei es beim Querflötenunterricht, in der Musikalischen Grundausbildung oder im Chor.» Sie vergleicht die Musik mit einer Sprache, bei der man erst die Grammatik kennenlernen und den Wortschatz beherrschen muss. Und das bedeutet dann eben doch auch: «Üben, üben, üben.»
Erfolgserlebnisse zu vermitteln, ist ihr wichtig. Es gibt Kinder, die in Schulfächern wie Mathematik schlecht sind, schulisch ein tiefes Selbstwertgefühl haben – und plötzlich merken sie, dass sie rhythmisch oder musikalisch talentiert sind. «Das sind enorm wertvolle Momente für ein Kind», sagt sie und fügt lachend an: «Für mich gibt es nur Begabte und noch Begabtere.» Eltern vermittelt sie, die Erwartung nicht zu hoch zu schrauben: Es brauche viel Zeit, ein Instrument zu erlernen.
Manch eine Querflötenschülerin begleitet sie seit deren ersten Primarklasse – mehr als ein Jahrzehnt also. Die Schülerinnen studieren mittlerweile, kommen aber noch immer zu ihr in den Unterricht und spielen zusammen mit anderen erwachsenen Schülerinnen in Kammermusik-Ensembles. Im Unterricht sei Fingerspitzengefühl gefordert: «Ich überlege mir immer, wie weit ich fördern kann, ohne zu überfordern.» Und das zahlt sich aus. Eine Jugendliche machte ihr ein Kompliment, das ihr unvergessen geblieben ist: «Ich habe nicht nur Flötenspielen gelernt bei Ihnen. Ich lernte auch Bühnenpräsenz zu zeigen, konnte mein Lampenfieber ablegen und dank der Auseinandersetzung mit der Querflöte für meine Karriere profitieren.»
Zu ihrer Tätigkeit mit Jungen gesellt sich diejenige mit lebenserfahrenen Menschen. Ildiko Bende dirigiert heute zwei Männerchöre, in Zumikon und in Kempten-Wetzikon. Als sie vor zwanzig Jahren das Dirigat des Männerchors Zumikon übernahm, herrschte zu Beginn Zurückhaltung – weil eine Frau vor ihnen stand, weil die Männer es gewohnt waren, nur deutschsprachige Lieder zu singen, weil sie nur ab Blatt singen wollten. Die Skepsis wich bald der neuen Sangesfreude. Heute sind Fremdsprachen kein Thema mehr, die Chöre singen in Deutsch, Englisch, Italienisch, Latein, Spanisch, Schwedisch – und auswendig. Auch am Abend des Chorprobenbesuchs in Zumikon springt der Funke von Ildiko Bendes Feuer für Musik sogleich auf die Männer über. Für das kommende Konzert «On the Road Again» hat sie ihre beiden Männerchöre zusammengeführt. «Da braucht man schon ein Dreivierteljahr Vorbereitung.» Sie freut sich, am 11. April im Gemeindesaal Zumikon zu dirigieren. Mit Leidenschaft, natürlich.
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