Von Franziska Müller ‒ 4. April 2025
«Seidenmalen bietet sich an; man muss nicht so genau sein. Die Farben haben einen fliessenden Charakter. Selbst wenn die Hand zittert, bekommt das Bild eine besondere Linie und damit einen eigenen Reiz», erklärt Uta Krammer. Sie zeigt auf ihrem Mobiltelefon Fotos der bunten Werke, gestaltet von Gästen der Seniorenresidenz Zumipark.
Die Gäste sind die betagten Bewohner der Residenz. Hotelmässig sei das hier, stilvoll, klein und fein, mit nur 36 Betten. Uta Krammer, Fachfrau für Aktivierung, bringt Farbe und Leben in deren Alltag. Ihr Steckenpferd ist die Seidenmalerei. «Wir malen Bilder. Keine Schals, Foulards oder Schlipse.» Die Bilder werden gerahmt und im Haus ausgestellt; die Ausstellung ist für Besucher und Gäste ein Highlight. Die alten Menschen seien sehr stolz auf das, was sie erschaffen. Anfangs seien manche skeptisch, doch wer einmal einen Workshop mitgemacht habe, ermutige die Neulinge. «Wenn sie sich gegenseitig loben, ist das schön mitanzusehen.»
«Mit dem Malen wird nicht nur die Feinmotorik trainiert, auch Seele und Geist werden aktiviert. Mit den Händen etwas zu erschaffen, tut dem Menschen gut.» Leider, ergänzt sie, kämen viele sehr spät in eine solche Einrichtung, oft hochbetagt und unsicher. Es brauche dann Mut, nochmals etwas Neues zu versuchen, «aber genau dafür bin ich da; ich erstelle Vorlagen, leite an, unterstütze.» Ihre Arbeit geht über das Anleiten und Malen auf Seidentücher hinaus. Ihr Feld als Aktivierungstherapeutin ist breit. Gedächtnistraining, Gesprächsrunden und Lesungen gehören dazu. Sogar Sport – «was halt noch geht: Wir machen Sitztänze und bewegen uns mit Musik.» Sie organisiert Lesezirkel und Ausflüge, kocht und backt mit den Leuten. Guetzle im Advent sei beliebt und stets mit viel Lachen begleitet. «Man muss flexibel sein in meinem Beruf, alles mit Herz und Humor nehmen.» Damit ist schon viel gesagt, was ihre Arbeit, auch ihre Persönlichkeit ausmacht: Uta Krammer hat ein besonderes Gespür für Menschen.
Aufgewachsen in einer Pfarrersfamilie in einer Kleinstadt in Deutschland, zog sie siebzehnjährig von zuhause weg. Doch, doch, sie habe eine glückliche Kindheit mit ihren vier Geschwistern verbracht. Das Haus sei immer voll gewesen, Nachbarskinder und Freundinnen gingen ein und aus. Die Eltern, «nicht wahnsinnig fromm», lebten aber die christlichen Werte Nächstenliebe und Verzeihen können. «Sozusagen philanthropisch», sagt sie und lächelt. Der frühe Wegzug entsprach ihrem Autonomiestreben und ihrer Überzeugungskraft, mit der sie vieles erreicht hat.
Ihre berufliche Laufbahn war ungewöhnlich. Die erste Ausbildung als Kindergärtnerin brach sie zwar ab, nur um wenig später zur kreativen Allrounderin zu werden. Als Zwanzigjährige trat sie 1980 der legendären UFA-Fabrik bei. Im Juni 1979 wurden von einer Gruppe junger Leute die leerstehenden UFA-Kopierwerke besetzt; ein grosses Gelände mitten in Berlin, das zum Kulturzentrum umgestaltet wurde. Es war die erste Kommune Berlins. «Da haben wir ein unglaubliches Leben geführt», erzählt sie und blättert in ihrem Fundus: Flyer, Plakate, Bilder und eine Zeitung, deren Layout sie mitgestaltet hat. «In den heftigsten Zeiten wohnte ich mit knapp achtzig Leuten zusammen. «Viele waren für ein, zwei Jahre dabei. Es hat sich dann bei etwa vierzig Mitbewohnenden eingependelt.» Die vielfältigen Aktivitäten in der neuen Wohnform beflügelten sie. Sie arbeitete als Handwerkerin und Künstlerin, Zirkusartistin und Köchin in der Grossküche. Sie gründete ihre Cateringfirma, die «fliegende Pfanne». Mit der Sambaband der UFA «Terra Brasilis» reiste sie bis nach Japan an Festivals. «Es war Idealismus pur – sehr intensiv. Wir hatten keine Chefs, alles wurde basisdemokratisch entschieden. Dabei habe ich schmerzlich gelernt: Es braucht eine gewisse Hierarchie. Sonst züchtest du dir Schmarotzer.» Sie möchte jedoch diese prägende Zeit nicht missen. «Wir haben mit nichts angefangen, mussten ständig improvisieren. Geld hatten wir nie genug, aber immer Ideen. Not macht erfinderisch.»
Nach 22 Jahren Kommune folgte der Kulturschock: 2002 die Ankunft in der Schweiz, die Liebe, die «Zweierkiste». «Ich dachte, wenn ich die drei Monate ab November aushalte, wenn alles so richtig scheusslich ist, in einer kleinen Wohnung, bettelarm, dann ist es das Richtige für mich.» Es war das Richtige. Nach einem Job in der Pflege bildete sie sich zur Fachfrau Aktivierung aus, baute die Aktivierung im Zumipark aus und wurde zur geschätzten Allrounderin.
Es sei ein grosses Glück gewesen, 2010 hier anzufangen. «Meine Ideen kamen supergut an; die Leute rannten mir die Bude ein.» Das liegt an den attraktiven Inhalten wie an ihrem empathischen Wesen. «Jeder Mensch braucht eine andere Art von Umgang», sagt sie. «Manche wollen kumpelhaft behandelt werden, andere erwarten Respekt und Distanz.» Das müsse man spüren. Dass sie dabei fast immer den Zugang findet, liegt wohl an ihrem Leitsatz: «Humor ist das Allerwichtigste.»
Ihre Tätigkeit zwischen Kunst, Handwerk und Therapie macht ihr auch mit fast 66 noch «wahnsinnig Spass». Dass sie nur noch 50 Prozent arbeitet, findet sie nicht schlecht. So hat sie mehr Zeit für ihren Mann, für Katze, Hund und Dachterrasse, die sie gerade instand setzt.
Statt Seidenbilder wird Uta Krammer demnächst bunte Papiermaché-Vögel mit ihren Gästen gestalten. Zwei dieser lustigen Kreationen stehen bereits im Aufenthaltsraum. «Die Vögel haben schon eine riesige Fangemeinde», lacht sie. «Mit diesen Figuren kann ich jeden und jede begeistern.»
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