«Mich interessiert einfach wahnsinnig viel»

Von Dörte Welti ‒ 16. Mai 2025

Fast 20 Laufmeter Bücherregale stehen bei Walter Letsch in seiner herrlichen Terrassenwohnung mit Blick auf den Zürichsee in Zollikon. Besuch bei einem, der sich leidenschaftlich gerne mit Wissen umgibt.

Wissen ist sein Leben: Walter Letsch fühlt sich umringt von Geschriebenem und Gedrucktem am wohlsten. (Bild: dwe)
Wissen ist sein Leben: Walter Letsch fühlt sich umringt von Geschriebenem und Gedrucktem am wohlsten. (Bild: dwe)

Man glaubt sich in einer Wohnbibliothek, wenn man die lichtdurchfluteten Räume in Walter Letschs Zuhause betritt. Der schnelle Augenschein bemerkt, dass die Unmengen an Büchern in den diversen Räumen nach Themen geordnet sind, von A wie ­Archäologie bis Z wie Zolliker ­Geschichte. Hat der 78-Jährige die alle gelesen? «So ziemlich», nickt Walter Letsch, «und ein paar davon selbst geschrieben».

Einer von hier

Walter Letsch ist in Zollikon geboren, ging im Dorf in die Primar­schule, später ans Realgymnasium in Zürich. Früh begeisterte er sich für geschichtliche Vorgänge, studierte aber Physik und Mathematik und schloss das Studium an der ETH in Zürich mit einem Diplom in Physik ab. Nach einem einjährigen Gastspiel als Gymilehrer begann Walter Letsch eine Karriere bei der Zürich Versicherung, die bis zu seiner ­Pensionierung dauerte. «Das Studium war anspruchsvoll», rekapituliert Walter Letsch, alles weitere in seinem Leben sei dagegen einfacher gewesen. In seinem Beruf interessierte ihn zunächst die Mathematik, er kümmerte sich um das Firmengeschäft in der Sparte Lebensversicherungen und diplomierte zudem als Pensionsversicherungs-Experte.

Auf Dauerreisen

1985 trat das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) in Kraft. Walter Letsch leitete den Bereich bei der Zürich Versicherung, der Produkte für diese zweite Säule des schweizerischen Dreisäulenkonzepts anbietet. Anfangs arbeitete er in leitender Funktion am Hauptsitz in Zürich, später weltweit in Geschäftsstellen, die unter seiner Ägide entstanden und wuchsen. Das bedeutete reisen, und zwar viel und ständig. Nach Japan und ­Taiwan zum Beispiel, in Südamerika war er beruflich um die zwanzigmal (wofür er Spanisch lernte), in den USA, Kanada und Mexiko über dreissigmal. Als Südengland auf der Agenda stand, dislozierte er mit seiner Frau und den ersten beiden Kindern für ein halbes Jahr auf die Insel, anschliessend folgte noch ein halbes Jahr samt Familie in ­Kanada. Im Laufe der Zeit wuchs die Familie auf drei Töchter und zwei Söhne an. Trotzdem reiste Walter Letsch unermüdlich um den Erdball, erzählt von viereinhalb Jahren Aufbau in Tokyo und beschreibt, wie er manchmal von Asien oder Australien nach Hause kam, den Koffer nur umpackte und weiter nach Kanada oder in die USA flog.

Im kreativen Unruhestand

2003 entwarf Walter Letsch für sich eine Wohnung in einem geplanten Terrassenhaus an bevorzugter Lage in Zollikon mit grossartigem Blick auf den Zürichsee. Von seinen Reisen hat Walter Letsch auch Eindrücke über die Kulturen der verschiedenen Länder mitgebracht, hat sich für die Sprachen (auch Chinesisch) und die Demografie interessiert und immer wieder auch für die geschichtlichen Vorgänge und Zusammenhänge, für Politik und Philosophie. Als er mit 62 Jahren pensioniert wurde, was für ein ­Direktionsmitglied der Zürich Versicherung normal sei, wie er bekräftigt, setzte sich der Belesene nicht etwa zur Ruhe. Er arbeitete teilzeitlich weitere acht Jahre in einer Firma, die sich mit Mikrofinanz und Mikroversicherungen in Mexiko und Kolumbien befasste, lebte sogar noch mal für drei ­Monate in Mexiko. Und er schrieb Bücher. Über die demografischen Aspekte der Frühen Neuzeit, wo er die ländliche Bevölkerung Zürichs als Beispiel aus europäischer Perspektive ­beschreibt (auf Englisch: «Demographic Aspects of the Early ­Modern Times – The Example of the Zurich Countryside in a European Perspective», Peter Lang Group) zum Beispiel, seine Doktorarbeit, nachdem er nach der Pensionierung noch ein Zweitstudium der Geschichte und Soziologie ­absolvierte, in vier statt in den ­üb­lichen fünf Jahren bis zum Master, gefolgt von eben jener Dissertation. Oder «Ein schön Kochbuch» (­Desertina), ein wunderbarer Fund aus dem Jahre 1559, das älteste deutschsprachige Kochbuch der Schweiz, genau genommen ein Dachbodenfund eines so gut erhaltenen Exemplars mit 515 Rezepten aus dem Bündnerland, dass er die alte Handschrift transkribieren und in heutiges Hochdeutsch übersetzen konnte. Das Buch ist sehr erfolgreich, er musste es nach kurzer Zeit nachdrucken lassen. Walter Letsch ist auch seit zehn Jahren Redaktor und regelmässiger Autor des Jahrbuchs für Familienforschung, hat ausserdem über die Jahre mehr als 40 Artikel für das Zolliker Jahrheft geschrieben. Die Liste seiner Publikationen ist (fast) endlos.

Voll das Leben

Wie kann man einen dermassen geistig agilen Menschen in einem kurzen Gespräch erfassen? Nur marginal. «Ich lerne gerne», ist vielleicht die beste Erklärung des neunfachen Grossvaters, den es besonders freut, dass wenigstens eine Enkelin sich im Gymnasium für alte Sprachen entschieden hat. «Mich interessiert einfach wahnsinnig viel», ist die simple Antwort auf die Frage, wie man so viele verschiedene Themen gleichzeitig und unermüdlich verfolgen und sich immer wieder neu damit beschäftigen kann. Bei einem Glas Roten oder einem Kaffee in irgendeinem Sessel im schönen Heim mit Blick auf den See, aber in Bücher vertieft, Zeit zu verbringen, ist sein Schönstes. Aber nicht nur: Im Sommerhalbjahr schwimmt der sportliche Gelehrte täglich bis über einen Kilometer, in der kälteren Jahreszeit kann man ihn auf langen Spaziergängen beobachten, und selbstverständlich dürfen Freiübungen zur Erhaltung der Vitalität des Körpers nicht fehlen. Wenn einer weiss, wie Longevity geht – auch ein Thema, das Walter Letsch intensiv verfolgt, und das nicht erst seit dem aktuellen Hype um diesen Begriff –, dann er. Fragen Sie ihn, wie lange glücklich leben zu bewerkstelligen ist. Walter Letsch gibt sicher gerne und ausführlich Antwort.

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