Von Joachim Lienert ‒ 16. Mai 2025
Die Zolliker waren rebellisch vor 500 Jahren. Zumindest einige der damals rund 400 Einwohnerinnen und Einwohner. Sie stürmten die Kirche, sie weigerten sich, ihre Kinder taufen zu lassen, sie rissen die Bilder von den Wänden – und sie klauten den Taufstein. Es herrschte Aufruhr. Der Stadtrat von Zürich als Obrigkeit reagierte. Am 18. Januar 1525 erklärte er die Kindertaufe per Ratsentscheid zur Pflicht: «Und söllent ouch die von Zollicken iren touffstein wider machen.»
500 Jahre später erinnert ein Projekt des Ortsmuseums und der Reformierten Kirche Zollikon-Zumikon an die Ereignisse. Am Samstag führten der Leiter des Ortsmuseums Bruno Heller und die Pfarrer Simon Gebs und Martin Günthardt durch ein reiches Programm. Urs Leu, Leiter Abteilung Alte Drucke und Rara der Zentralbibliothek Zürich, begeisterte in der Kirche die rund 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einer kenntnisreichen, bunt ausgemalten Geschichte der Täuferbewegung. Der Theologe Peter Dettwiler schlug den Bogen über den Atlantik und erzählte von Begegnungen mit Nachfahren der Schweizer Täufer in Pennsylvania und Ohio. Denn was damals in Zollikon passiert war, hatte Auswirkungen auf die ganze Schweiz – und die Welt. Wer hat’s erfunden? Der Zolliker Maturand Laurent Casagrande drückte es so aus: «Man kann sagen, das Konzept der Freikirche in der Schweiz wurde in Zollikon erfunden.»
Denn die Täufer um Felix Manz, Konrad Gebel und Jörg Blaurock weigerten sich, Kinder zu taufen. Für sie war nur die Erwachsenentaufe gültig. Zuerst noch im Gespräch mit Huldrych Zwingli, versuchten sie den Spagat zwischen Kirche und Obrigkeit, ohne Letztere zu stark zu verärgern.
Simon Gebs und Martin Günthardt diskutierten mit Riki Neufeld, Pastor der Evangelischen Mennonitengemeinde Schänzli in Basel. Der Ausdruck Mennoniten, wie die Täufer auch genannt werden, geht auf den niederländischen Theologen Menno Simons zurück. Ein Raunen weht durch das Kirchenschiff, als Riki Neufeld erzählt, dass an ihrem Gottesdienst am Sonntagmorgen jeweils 100 bis 150 Menschen teilnehmen. Das entspricht nicht ganz der Zahl, die man sich in Zollikon und Zumikon gewohnt ist. Die Mennoniten als Nachfolger der Täuferbewegung halten an der Erwachsenentaufe fest. Auch sie spüren den Zeitgeist. «Früher herrschte viel Druck. Meine Grossmutter sagte mir mit 16, Ricki, willst du dich nicht langsam taufen lassen?» Heute lade die Gemeinde eher zu Tauffesten ein und frage, wer sich taufen lassen möchte.
Zurück zu Laurent Casagrande. Den 18-Jährigen fasziniert die Geschichte. Er führte am Nachmittag eine der zwei Gruppen mit je rund 25 Person auf einem Rundgang zu den fünf Tafeln, die bis im Oktober an für die Täufer relevanten Orte in Zollikon stehen werden. Die Texte hat er im Rahmen seiner Maturarbeit verfasst.
Die erste Tafel steht bei der Kirche, die zweite beim damaligen Haus von Rudi Thomann an der Gstadstrasse 23/25. Dort laden am 25. Januar 1525 vom Stadtrat verbannte Täufer zu einem Essen ein. Sie beten – und tun Verbotenes. Sie halten eine Bibelstunde, feiern gar das Abendmahl und taufen zwei Bauern. Die neue Form der Freikirche ist begründet. Der heutige Brunnen an diesem Ort wurde gar in den USA nachgebaut (Zolliker Zumiker Bote vom 25. April 2025). Noch immer leben dort Nachfahren eines Bauern, der 1525 hier getauft wurde.
Am dritten Ort an der Bahnhofstrasse 3 stand das Wohnhaus von Hans Murer. Auch hier werden rund 35 Menschen getauft. Doch die Obrigkeit ist alarmiert, nachdem Jörg Blaurock, ein weiterer Mitstreiter, den Gottesdienst in Zollikon stört. Nur acht Tage nach der Gründung der Täufergemeinde werden rund 25 Zollikerinnen und Zolliker verhaftet und eingesperrt. Auch am vierten Plakatstandort, an der Rütistrasse 43, im damaligen Wohnhaus von Felix Kienast, finden geheime Täufertreffen statt. Kaum frei, tauft Blaurock weitere Menschen in der Kirche und in anderen Häusern des Dorfs. Doch unter dem Druck der Obrigkeit beschliesst man im August 1525, das Taufen aufzugeben «und einfach christlich zusammenzuleben». Felix Manz wird 1527 durch Ertränken hingerichtet, Konrad Grebel stirbt 1526 an der Pest in Maienfeld, wohin er geflüchtet war, Jörg Blaurock wird 1529 im Südtirol auf dem Scheiterhaufen hingerichtet. Die Täufergemeinde in Zollikon zerbricht. Doch die Täuferbewegung ist angestossen. Das fünfte Plakat beim Ortsmuseum erzählt von ihrer Geschichte. Ergänzend zu den Plakaten ist dort auch eine Ausstellung mit Objekten und Hintergrundinformationen zu sehen.
Nach der Auflösung der Täufergemeinde ziehen einige Zolliker in die USA und führen dort die Bewegung weiter, einige kehren zu Zwinglis Kirche zurück. Im Kanton Zürich gibt es keine Mennonitische Gemeinde mehr. Was bleibt, ist die Geburtsstunde der Freikirchen. In Zollikon beschliesst man den Tag der Erinnerung an die geschichtsträchtigen Ereignisse mit einem Gottesdienst. In der Kirche – wo der Taufstein für die Kindertaufe steht.
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