Von Joachim Lienert ‒ 12. September 2025

«Aaand – Action!» Dutzende Male hallt das Kommando am Donnerstagnachmittag letzter Woche durch die Seebadi. Eine junge Frau steigt im Badekleid aus dem See, eine andere läuft über den Steg. Und dann kommt sie, das Gesicht energisch, stapft zur Badibeiz hoch, setzt sich zu ihrer Grossmutter an den Tisch. Sie, das ist Florence Hunt (18), bekannt aus der Netflix-Serie Bridgerton, im Film Lori. Ihre Grossmutter Ruth ist Judy Davis (70), Oscar-Nominierte mit einer Karriere, die von Reise nach India über Deconstructing Harry bis zu The Dressmaker reicht.
Die beiden bestellen bei der Zollikerin Amanda Canoska, die eine Kellnerin spielt, ihr Essen. Sie reicht es ihnen, die zwei diskutieren intensiv. Plötzlich springt Lori auf, stapft verärgert davon. Ruth seufzt, ruft der Kellnerin zu, ein Taxi zu bestellen … «Aaand Cut!», wird die Szene gestoppt. Eine der vielen Helferinnen und Helfer sprüht Lori Haarspray auf, zupft da und dort eine Strähne zurecht, Ruth wird ein Spiegel gereicht. Rund 30 Personen drängen sich in der Seebadi, an der langen Tonangel mit dem Richtmikrofon, an Monitoren für die Kontrolle von Licht und Farbe, an Kamera, Lichtreflektoren, Dolly und Tonreglern. In der Badiküche werden fleissig Pommes frittiert. An der Brüstung sitzt ein Statisten-Seniorenpärchen am Tisch und wird erst wieder zu einem Bissen ansetzen, wenn es heisst: «Aaand – Action!» Judy Davis vertritt sich die Beine, konzentriert, ernst, so, wie es ihre Rolle verlangt. Ansprechen darf man die beiden Filmstars nicht, wurde der Zolliker Zumiker Bote, der Wind vom Dreh gekriegt hatte, gewarnt. Fotografieren auch nicht. «Turn Over!», heisst es wenig später – die Szene noch einmal von vorne.
Die Zolliker Badi ist Filmschauplatz geworden. Zwei Seiten Drehbuch werden abgedreht. «Das sind rund zwei Minuten Szene», erklärt Michael Steiger (60), Produzent und Inhaber von Turnus Films aus Zürich (Tatort, Der Goalie bin ig, Wolkenbruch), der den Film in einer schweizerisch-englischen Co-Produktion mit Zephyr Films dreht. Der Berner ist entspannt, lacht, scherzt, setzt sich an einen Tisch auf dem Deck unterhalb der Badibeiz und erklärt: «Am 24. Juli haben wir in Manchester zu drehen begonnen. Am Samstag sind wir fertig, 28 Drehtage.» Seine Produktionsfirma übernimmt rund drei Millionen Franken, Zephyr Films eine Million. «An dem Projekt arbeiten wir seit sieben Jahren.» Die englische Autorin Jessica Townsend schrieb die erste Drehbuch-Fassung, vollendet haben es Regisseur Denis Rabaglia (59) und die britische Autorin Nat Luurtsema. Den Westschweizer Denis Rabaglia kennt man etwa von Marcello Marcello, Azzurro und der Serie Auf hoher See. Der Film entspringt einer Idee von Jessica Townsend. Sie wurde Michael Steiger während des Filmfestivals in Berlin angeboten. «Mich interessierte der internationale Aspekt des selbstbestimmten Lebens, das wir hier in der Schweiz stark pflegen, aber das man so im Ausland nicht kennt.»

Die Zolliker Badi, wie wurde sie zur Bühne des Films? Eines Films, der im Herbst nächsten Jahres in die Kinos in der Schweiz und in Grossbritannien kommen wird – und den Steiger auch an den grossen Filmfestivals wie Cannes und Berlin international vermarkten wird? «Wir wollten eine Restaurantszene in der Nähe von Zürich am See zeigen. Es war nicht einfach, die ideale Location zu finden.» Geholfen habe ihm der Gastronom Michel Péclard, der sehr offen für Filmprojekte sei, sowie der Goodwill der Gemeindebehörden. Und die Zolliker Badi sei einfach gerade die einzige gewesen, die erhältlich war. Der Journalist sagt: «Cut!» Der lokale Leser, die lokale Leserin wolle doch etwas anderes hören. Michael Steiger lacht: «Stimmt! Schreib: Zollikon war unsere Wunsch-Location, weil es so ein schöner Fleck ist.» Schliesslich betont er, dass es wirklich nicht geflunkert sei. Tatsächlich standen drei Orte zur Auswahl. Regie und Kamera gefielen bei der Drehort-Suche die Seebadi viel besser als das Fischer’s Fritz auf der anderen Seeseite. «Zollikon ist unsere Wunsch-Location.» Seit rund zwölf Wochen wusste die Crew, dass hier gefilmt wird. «Es ist eine wahnsinnig schöne Badi.» Zollikon werde im Film nicht genannt, aber es werde klar, dass die Badi ausserhalb von Zürich am See liegt. «Man wird sie erkennen.»
Von jedem «Aaand Action!» bis zum nächsten «Aaand Cut!» muss das Gespräch im Flüsterton geführt werden. Dann wird der Dreh unterbrochen. Vorbereitungen für die zweite Perspektive der Szene. Florence Hunt hat Pause, setzt sich auf eine Bank, blickt auf den See. Darf man vielleicht doch mit ihr reden? Man darf. Bezaubernd natürlich ist sie, Starallüren sind da keine. Wie ist der Dreh? «Es fühlt sich nicht an wie ein Job, weil es so schön ist hier», strahlt sie. Seit fünf Wochen ist sie in Zürich. «Ich bin in einem Flow, wenn ich auf diese herrliche Szenerie blicke.» In der Seebadi sei sie zwar nicht im Wasser gewesen, aber in Zürich, «manchmal gegen meinen Willen, manchmal freiwillig», lacht sie in Bezug auf den Dreh. «Es hat Spass gemacht, im Zürichsee zu schwimmen.» Für einen Ausflug ins Gebirge war keine Zeit, «aber den Uetliberg habe ich bestiegen, ich bin eine Frau der Natur.» Es sei aufregend, hier zu sein. «It feels very rewarding.» Ihr gefällt, wie nahe in Zürich alles ist, und besonders die Altstadt. Mit dem Team sei es eine Freude. «Marco Barberi ist ein sehr guter Kameramann. Er stellt sicher, dass alles wunderschön aussieht.» Ein Foto? «Sure!»

Michael Steiger betont, wie wichtig ein gutes Team ist. «Man sucht sich genau aus, mit wem man zusammenarbeitet, auch damit Budget und Zeitplan eingehalten werden. Die Kombination aller Leute muss stimmen. Das ist hier gelungen, mit einem tollen Team und Judy Davis als Glücksfall.» Nach zweieinhalb Stunden verkündet der Regisseur: «Thank you all!» Klatschen. Das Seniorenpärchen verputzt seelenruhig das Essen, in dem es bis dahin nur stochern durfte. Die Karawane zieht weiter; am selben Abend wird in Zürich in einem Apartment gedreht. Zwanzig Minuten später deutet nichts mehr darauf hin, dass die Seebadibretter zu Brettern wurden, die die Welt bedeuten. Für einen kurzen Moment, festgehalten für die Ewigkeit. Anruf bei Michael Steiger am Montag: «Am Samstag war alles abgedreht, vielleicht sieht man sich an der Premiere wieder.» Ein bisschen Wehmut schwingt mit: «Wir waren für einen Monat eine eingeschworene Gemeinschaft, wie eine Art Pfadilager, und dann gehen alle wieder ihres Weges.» Judy Davis flog am Mittag nach Australien zurück. Für ihn selbst folgt jetzt der Schnitt. Ab Herbst nächsten Jahres kann man sich dann in den Schweizer Kinos in den Sessel fallen lassen – und sich einen Hauch von Zollikino zu Gemüte führen.

Die Zollikerin im Film
Amanda Canoska wohnt seit drei Monaten in Zollikon. Die Lehrerin, die an der Schule Küsnacht Deutsch als Zweitsprache unterrichtet, übernimmt von Zeit zu Zeit Rollen als Statistin. Sie spielte in mehreren Schweizer Produktionen mit, darunter Behind the Glass. Dass sie so zentral im Bild sein würde – sie bringt Ruth und Lori das Essen an den Tisch – wusste sie erst am Drehtag. «Man teilte mir am Vorabend per E-Mail nur mit, dass ich vermutlich eine Rolle als Kellnerin oder Badegast übernehmen werde.» Dass sie dabei sein darf, irgendwo in der Region Zürich, wusste sie seit Wochen. «Aber dass es gerade die Seebadi sein würde, erfuhr ich erst gestern Abend.» Es sei eine schöne Abwechslung zum Alltag. «Es hat Spass gemacht. Ich durfte Essen reichen – immer wieder. Im Film sind es dann ein paar Sekunden», lacht sie. Ganz sicher werde sie sich zusammen mit der Crew den Film bei einer Vorpremiere anschauen.
Butterfly Stroke
Butterfly Stroke – Schmetterlings-Schwimmstil – ist eine emotionale Geschichte zwischen einer Grossmutter (Judy Davis) und ihrer Enkeltochter (Florence Hunt). Die ehemalige Schwimmmeisterin, an einem Hirntumor erkrankt, möchte mit begleiteter Sterbehilfe (Sterbehelfer: Samuel Streiff, der Bestatter) aus dem Leben scheiden. Sie teilt ihrer Enkelin, um die sie sich nie richtig gekümmert hat, in Manchester nur mit, sie werde zum Sterben ins Ausland reisen, ihr Erbe sei geregelt. Die entfremdete Enkelin ist wütend, dass ihre Grossmutter sie verlassen will, findet heraus, wo diese in Zürich wohnt, und reist ihr nach. Es gibt Tage am See, Tage der Ausflüge, Tage des Näherkommens. Und in Zollikon das Gespräch in der Badi. Die beiden geraten sich in die Haare, die aufgewühlte Lori wirft ihrer Grossmutter vor, nie für sie geschaut zu haben, und flüchtet aus der Seebadi. «Aaaand – Cut!» Wie es ausgeht? Nächstes Jahr im Kino.
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