Von Dörte Welti ‒ 10. Oktober 2025

Katja Faber muss überlegen, wenn man sie nach ihrem Alter fragt. In ihrem Leben fehlen zehn Jahre, sie sei jetzt in ihren 60ern, habe aber das Gefühl, um zehn Jahre betrogen worden zu sein und in ihren 50ern stehengeblieben zu sein. Bis dahin war das Leben dieser strahlenden Frau ein kunterbuntes. Katja Faber kam in Zürich als Kind einer spanischen Balletttänzerin und eines Schweizer Orthopäden zur Welt – man ahnt die Lovestory, die dahintersteckt. Der Seite der Mutter – Grossvater Argenta war ein berühmter spanischer Dirigent, Grossmutter Argenta eine Pianistin – verdankt Katja Faber ihre verträumte künstlerische Seite, ihrem Vater eher die wissenschaftliche Natur: «Als Kind habe ich es geliebt, ihn in seiner Praxis zu besuchen. Eines meiner Hobbys ist heute noch medizinische Forschungsberichte zu lesen.»
Katja Faber schlug weder die eine noch die andere familiengeschichtliche Laufbahn ein. Bis sie zehn Jahre alt war, pendelten Fabers zwischen dem Engadin und Zürich. In der Folge ging Katja Faber nicht regelmässig in eine Schule, sondern hörte dem Privatunterricht zu, der ihrer älteren Schwester zuteil kam. Katja Faber erinnert sich: «Ich war sehr frei in den Jahren, war hauptsächlich draussen in der Natur, viel barfuss unterwegs, fuhr Ski im Winter und hab nur gelernt, was ich lernen wollte.» Dieses an Pippi Langstrumpf erinnernde Leben wendete sich um 180 Grad, als die Mutter mit ihr und der Schwester nach England zog: «Plötzlich musste ich eine Schuluniform tragen und mich Regeln unterwerfen.»
Drei Jahre versuchte sie, sich anzupassen, dann durfte Katja Faber auf eine progressive Schule wechseln: «Es gab viel Theater, Musik, alle spielten verschiedene Instrumente. Ich habe Klavier, Gitarre, Geige gelernt.» Sie beendete die High School und ging direkt an die Universität in Wales, um English Literature zu studieren. Journalismus war das Ziel, aber das Studienprogramm passte der unabhängigen Studentin nicht. Jura hingegen schon, sie wechselte in das damals noch von Männern dominierte Fach und schloss das Jurastudium ab. «Meine Mutter hatte immer gesagt, ich solle doch Journalismus oder Jura studieren», erinnert sich Katja Faber. «Als ich wissen wollte, warum ausgerechnet diese Fächer, sagte sie, weil ich immer so viele Fragen stellen würde.»
Im Anschluss erlangte Katja Faber in England die Berechtigung, als Rechtsanwältin zu arbeiten. Sie entwickelte eine Leidenschaft dafür, Menschen im Gericht zu vertreten, in vollem Ornat, mit Perücke und Umhang: «Man wird darauf trainiert, wie man einen Fall präsentiert, wie man argumentiert. Das Strafrecht hat mir zugesagt.» Und an noch einen Aspekt erinnert sie sich: «Ich mochte es, zu den Menschen in die Gefängniszellen zu gehen. Hier spielte sich das echte, das rohe Leben ab. Herauszufinden, warum jemand in ein Haus eingebrochen war oder warum ein Mann seine Frau verprügelt hat.» Kriminalität und Gewalt, das sei zu dem Zeitpunkt ihre Welt gewesen. Nach vier Jahren aber war Katja Faber von dieser Welt desillusioniert. Sie sah, was alles schief lief, wo das System so überhaupt nicht und vor allem nicht für die Opfer der Straftaten funktionierte. «Ich fragte mich, was ich hier eigentlich tue», rekapituliert sie und erzählt von einem Fall, in dessen Rahmen sie eine Kaution für eine Frau erwirkte, die versucht hatte, den Vergewaltiger ihrer Tochter zu ermorden. Ein Sieg für die Rechtsanwältin, aber auch der Moment, in dem sie beschloss, der Juristerei den Rücken zu kehren.
Sie ergatterte einen Job bei der englischen Fernsehgesellschaft BBC, reiste viel, war für Produktionen von Dokumentarfilmen verantwortlich und schrieb parallel Sportberichte für «Time Out». In dieser Zeit lernte sie ihren Mann kennen, bekam einen Sohn, Alex, rund zwei Jahre später eine Tochter. Mit der jungen Familie kamen logischerweise auch mehr Aufgaben, Katja Faber organisierte sich beruflich als freischaffende Journalistin. Weil sie auch fliessend Spanisch sprach, konnte sie beispielsweise Berlitz-Ausgaben auf Spanisch herausgeben. Dazu schrieb sie diverse Artikel zu Themen wie Reisen oder Recht, verfasste Restaurant-Kritiken und vieles mehr für diverse Magazine.
Zur Jahrtausendwende kam es zum Bruch, Katja Faber liess sich scheiden und zog mit ihren Kindern zurück in die Schweiz. «Ich wollte nicht, dass die Kinder in London aufwachsen», erklärt sie. Sie fand in Küsnacht ein Haus, das ihr gefiel und zog dorthin. Ein weiteres Argument, das für die Goldküste sprach: Ihr Bruder Alex, nach dem sie ihren ersten Sohn benannt hatte, lebte und arbeitete als Anwalt in Zollikon. Die kleine Familie gewöhnte sich ein, die Kinder besuchten Schulen, machten Abschlüsse, Katja Faber bekam noch ein drittes Kind, einen Sohn. Sie reiste auch ab und an zu ihrer Familie nach Spanien.
«Ich bin eine echte Umweltaktivistin», erzählt Katja Faber von noch einem anderen Aspekt in ihrem Leben. «Ich habe immer davon geträumt, ein Stück Land zu besitzen, wollte mich darum kümmern, weil überall auf der Erde Land zerstört wird.» Sie fand ein Grundstück in Andalusien, das sie kaufen konnte, und wandelte es in eine Farm um, ein Ferienparadies für sie und die Kinder entstand. In der Schweiz zog sie in eine Wohnung in Zollikon um, als die beiden grösseren Kinder auf die Uni wechselten. In den folgenden zwei Jahren musste Katja Faber Verluste verkraften, ihre beste Freundin und mehrere Familienmitglieder starben. Keine einfache Zeit.
Im Dezember 2014 verbachte Katja Faber ein paar Tage in Madrid, als sie die furchtbarste aller Nachrichten erhielt: Ihr Sohn Alex, 23 Jahre alt damals, war auf brutale Weise von einem Freund im Drogenrausch ermordet worden. Wie überlebt man so etwas? «Ich habe drei Jahre nicht geschlafen», erinnert sich Katja Faber. «Wenn dein Kind Opfer eines Mordes ist, musst du zusätzlich mit der Gewissheit leben, dass seine letzten Momente mit Angst und Schmerzen erfüllt waren. Ich fiel anfangs in eine Art Depression, wurde krank, entwickelte Posttraumatische Stresssymptome.» Es folgte ein kräftezehrender Kampf mit der Schweizer Justiz, die den Mord als Totschlag und nicht als vorsätzliche Tötung einstufte. «Man bekommt die Gerechtigkeit, die man sich leisten kann», lernte die studierte Juristin. Unterstützung bekam sie vom «Team A», wie sie es nennt, Familie und Freunde, die Alex nahegestanden hatten, ihrem Bruder, dem Anwalt, und einer weiteren privaten Anwältin, die auf Kriminalrecht spezialisiert ist. Katja Faber erreichte schliesslich nach acht Jahren, dass der Mörder ihres Sohnes rechtskräftig verurteilt wurde, der Fall beschäftigte über Wochen die Presse.
Nach den ersten Verhandlungen begann Katja Faber wieder zu schreiben: «Ich hatte seit Alex Tod nichts zu Papier bringen können. Mich beschäftigte aber nicht nur meine Geschichte, sondern wie es vor allem Frauen geht, die ein Kind verloren haben. Wie sie behandelt werden, wie sie in unserem Rechtssystem behandelt werden.» Sie schrieb für ein Magazin, das sich mit Trauer beschäftigt, und begann ausserdem, sich persönlich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sie machte in den USA eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin, weil sie jeder Geschichte, mit der sie konfrontiert wird, auch mit Fachwissen begegnen will. Zwar hat sie nicht im Sinn als Trauerbegleiterin zu arbeiten, aber sie will gegen die Trauer und die Posttraumatische Belastungsstörung, die der gewaltsame Verlust eines Kindes auslöst, anschreiben und öffentlich sprechen.
Sie nimmt eine sechsteilige Podcast-Reihe auf, «(In)Justice: Killer Privilege», in der sie minutiös den Mord ihres Sohnes erzählt, Fakten, die sie recherchiert hat, darlegt und von ihrem Kampf für Gerechtigkeit für Alex erzählt. Sie lebt weiter, funktioniert, freut sich über die Geschwister von Alex und wie sie ihr Leben meistern, verbringt Zeit in der Natur im Engadin und auf ihrer Farm. Die Arbeit auf der Farm ist auch Trauerarbeit, körperliche: «Trauma bleibt nicht nur in deinem Kopf. Nur darüber reden, hilft nicht, du musst es in dir bewegen und aus dir herausarbeiten. Tust du es nicht, macht es dich krank.» Katja Faber hat dem Schicksal die Stirn geboten und lässt es nicht zu, daran zu zerbrechen. Vielleicht veröffentlicht sie irgendwann ein Buch über ihre und all die Geschichten, die ihr zugetragen wurden. Auf jeden Fall hat sie eine Botschaft an alle Menschen: «Macht das Beste aus jeder einzelnen Sekunde eures Lebens.» Versprochen.
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