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13/2019 Stich um Stich um Stich

Von adminZoZuBo ‒ 29. März 2019

Stich um Stich um Stich

Andrea Wolf-Simone bietet als Gegentrend zur schnelllebigen digitalisierten Gesellschaft einen Stickkurs an – dabei geht es auch um Entspannung.

Jetzt geht es um jenes Handwerk, in dem im späten Mittelalter die Frauen von den Männern verdrängt wurden, die dann in sieben bis neun Jahren Lehrzeit von der Pike auf die Kunst erlernten. Genau. Sie werden es schon ahnen. Wir sprechen vom Sticken. Das wurde nämlich nicht erfunden, um Mädchen und Buben im Handarbeitsunterricht zu ärgern. Schon vor mehr als 3000 Jahren wurde gestickt. Es gab Tiermotive und geometrische Figuren. Und es kommt wieder. «Sticken ist eine Trendbewegung. Eine Gegenbewegung zur alles beherrschenden Technologie und zur Schnelllebigkeit», unterstreicht Andrea Wolf-Simone. Sie bietet neu im Zumiker Freizeitzentrum einen Stickkurs an, und zwar nicht nur für Menschen, die sich für Handarbeit erwärmen können, sondern für alle, die auch Entspannung suchen. «Sie können Yoga lernen oder Sticken. Das Ergebnis ist ähnlich.» Durch die Konzentration und die permanente Wiederholung finde der Geist Ruhe. Dabei kommt die Dozentin nicht aus der esoterischen Ecke. Überhaupt nicht.

Gelernte Modedesignerin

Andrea Wolf-Simone lebt die Mode. Die 38-Jährige wurde in Brasilien geboren. Und als Tochter einer sehr musikalischen Mutter und eines italienischen Vaters mit einem Faible für Opern wurde ihr die Begeisterung für das Schöngeistige in die Wiege gelegt. Sie schloss im Jahr 2002 die Modehochschule in Sao Paolo ab. Brasilien ist bunt und lebendig, aber das Modeherz schlägt nun mal in Frankreich und so ging die junge Absolventin dorthin, um 2005 die Mode-Hochschule in Lyon erfolgreich zu beenden. Zurück in Brasilien arbeitete sie als Designerin für grosse Modelabels wie unter anderem Cris Barros.

Dann kam die Liebe ins Spiel in Gestalt eines Schweizers und so lebt die Designerin seit sechs Jahren in Zürich und konzentriert sich vermehrt auf ihre Leidenschaft, die Handstickerei. Das tut sie auch im Rahmen ihrer Masterarbeit, die sie aktuell an der Zürcher Hochschule der Künste schreibt. Darin geht es eben um Trends. «Da ist der grosse Trend des Hightech. Ganz klar. Aber jeder Trend hat auch Gegentrends. Und das ist das Do-it-yourself, das Selbstgemachte wie eben die Stickerei», erläutert die Frau, die deutsch, englisch, spanisch, französisch und italienisch fliessend spricht. Während der Arbeit fokussiere man sich extrem und ­entschleunige. «Das bringt die ­Entspannung, die wir doch alle suchen.»

Sticken hat nicht nur für manche noch einen altmodischen Touch, es stand auch lange für Luxus. Die Kirche leistete sich bestickte Altardecken, Töchter aus reichem Haus bekamen Bettwäsche mit Stickereien als Mitgift und noch heute lassen Männer, die ihre Hemden massschneidern lassen (müssen), ihre Initialen aufsticken, um den Preis zu unterstreichen. Für Andrea Wolf-Simone, die auch schon als Kostüm-Assistenz am Opernhaus Zürich arbeiten durfte, liegt die Faszination des Stickens aber in der Verbindung von Tradition und Moderne. So experimentiert sie gerne mit Materialien. Sie bindet Steine, Muscheln, Quarz oder Perlen in ihre Arbeiten mit ein und bestickt auch mal Neopren. «Ich war erst kürzlich in Paris und habe mich darüber mit dem Kunstdirektor des ältesten Stickhauses Frankreichs ausgetauscht. Es geht um die Bewahrung und die Weiterentwicklung gleichermassen.» Immer wieder ist sie in Frankreich, um sich für ihre Arbeit Inspirationen zu holen, eben den Austausch zu suchen. Ihre Heimat, ihr Zuhause ist jetzt aber die Schweiz. «Ich liebe dieses Land einfach», lacht sie. Es sei vielfältig. So wie die Stickkunst.

Vielfältigkeit und Tradition

Natürlich gebe es ganz komplizierte Techniken, aber auch schon mit Basics könnten schöne Motive entstehen, die einer Jacke oder einem Mantel einen Hingucker verliehen. «Jeder kann so kleine, individuelle Kunststücke entstehen lassen.» Doch sie betont auch, dass der Weg dahin ebenso bereichernd sei. Die Kunst sei eben auch, sich die Zeit zu nehmen, sich ganz auf den Moment einzulassen. Rechts und links mal ausblenden, am besten auch das Handy ignorieren – auch wenn es summt und piept und blinkt – und nichts anderes im Sinn zu haben. Und Stich für Stich für Stich zu versinken.(bms)

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