Von adminZoZuBo ‒ 20. Februar 2015
André Semenza, im Zollikerberg aufgewachsen, ist leidenschaftlicher Filmemacher. Der in London lebende Regisseur arbeitet vor allem an experimentellen Filmen, welche Tanz und Poesie verbinden. Dabei lässt er sich gerne von der Magie des Drehorts und der Darbietung der Künstler überraschen. So zum Beispiel beim Drehen des Tanzspielfilms «Ashes of God» in Brasilien.
Wenn André Semenza vom Filmemachen spricht, dann kommt er ins Schwärmen. Er erzählt von wunderbaren und magischen Drehorten, vom Eintauchen in die Geschichte und die Seele einer Umgebung, von der Arbeit trotz widrigen Umständen, von hervorragenden Künstlern und einem engagierten Team. Semenza will Unbekanntes entdecken, Neues kreieren und unkonventionelle Ideen umsetzen. Er schaut über den Tellerrand hinaus und zwingt sich, aus seiner Komfortzone auszubrechen. Denn die Erfahrung zeigt ihm: Dann entstehen die faszinierendsten Begegnungen, die fesselnden Momente, die plötzlichen Inspirationen.
So erlebte der Filmemacher dies beim Drehen des brasilianisch-europäischen Films «Ashes of God / As Cinzas de Deus». «Ashes of God» feierte seine Premiere in 2003 und wurde nun nach zehn Jahren in einer Jubiläums-DVD speziell mit einem zusätzlichen Dokumentarfilm aufbereitet. «Der Film ‹Ashes of God› ist der erste seiner Art. Es ist ein Spielfilm zu zeitgenössischem Tanz», erklärt Semenza. Es sei kein konventioneller Film. In einer Welt voller Erinnerungen, Gefühle und gefangener Seelen sucht die Protagonistin nach Antworten. Kein Wort wird gesprochen, keine lineare Handlung erzählt; das «physische Theater» vermittelt die Geschichte durch Tanz, Bewegung und Körpersprache der Künstler. Der Film berührt durch das Licht, den Tanz und spricht die Emotionen der Zuschauer an. «Ashes of God» basiert frei auf dem klassischen Gedichtsepos «Metamorphosen» des römischen Dichters Ovid. «Gedichte sprechen einen auf dem Level der Intuition an. Sie berühren die Gefühle und Sinne», so Semenza.
Der Film wurde in einer brasilianischen Stadt mit einem Team aus brasilianischen Tänzern nach der Choreographie seiner Frau Fernanda Lippi gedreht. Einst ein blühender Ort, berühmt für seine Karnevals, gleicht Ribeirão Vermelho heute einer Geisterstadt. Der Ort ist verlassen und vergessen, voller Ruinen Staub undalter Karnevalsmasken. Umgeben von dieser gespenstischen Stimmung erscheinen die Tänze der Darsteller wie Facetten verschiedener Götter – daher auch der Titel, die Asche Gottes. Der Film schaffte es an viele Festivals und Arthouse-Kinos in Brasilien und Europa und wurde – dank der Co-Produktion mit dem Schweizer Fernsehen – vor einigen Jahren auch hier im öffentlichen Fernsehen gezeigt.
Dass er Filmemacher werden wollte, wusste André Semenza seit seinen Kindertagen im Zollikerberg wohnte. «Mein Vater unterstützte mich sehr. Ich ging mit ihm im Kino Filmklassiker schauen, ans Filmpodium, war Mitglied in Filmclubs.» Schon als zehnjähriger Junge begann er, eigene Filme zu drehen. Mit 18 feierte er seinen ersten Erfolg: Der einstündige Film «Totem», in dem er als Co-Regisseur mitwirkte, wurde im Kino Xenix gezeigt. Als 21-Jährigen zog es ihn nach London, um an der «London International Film School» Film und später Theater zu studieren. «Das war 1987. Damals gab es in der Schweiz keine Filmschulen», erklärt er seinen Entscheid.
London ist seither zu seiner Wahlheimat geworden. Er schätzt die Internationalität, das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen. Dies wurde ihm in die Wiege gelegt: Sein Vater kommt aus Italien, seine verstorbene Mutter aus Schweden; er ist im Zollikerberg aufgewachsen. Seine Frau Fernanda Lippi, ebenfalls in der Filmindustrie tätig, ist Brasilianerin. Sein zweiter Arbeitsort und ein Stück Heimat liegen deshalb in diesem südamerikanischen Land. Doch reist er auch fast monatlich zurück in den Zollikerberg, um seinen Vater zu besuchen. «Vielleicht ist das ein bisschen naiv, aber aus London kommend, erscheint mir der Zollikerberg immer sehr idyllisch.» Die Nachbarn kennen ihn, seit er ein kleiner Junge war. Noch heute geht er gerne im Wald joggen.
London und das Filmbusiness sind harte Pflaster, vor allem damals als junger Filmstudent. Die Hürden sind zahlreich, die Konkurrenz gross, die Arbeit oft frustrierend. «Es ist eine unglückliche Ehe zwischen Kunst und Geld», meint er bedauernd über das Filmgeschäft. Mittlerweile hat er sich als unabhängiger Filmemacher einen Namen gemacht und ein Netzwerk aufgebaut. Er gründete die Filmproduktionsfirma «Maverick Motion» in London, später mit seiner Frau die anglo-brasilianische Tanzgruppe «Zikzira Physical Theatre» und 2006 das Kulturzentrum «Zikzira Action Space» in Belo Horizonte, Brasilien. Im Februar wird sein neuester Film «Sea Without Shore» am Glasgow Film Festival gezeigt. Auch dieses Werk, gedreht in Schweden, kombiniert Tanz und Poesie und erzählt die Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen.
«Ich bin nur interessiert an Dingen, die noch nie zuvor gemacht wurden», betont André Semenza. Das ist ehrgeizig, erfordert Kreativität – und spornt ihn an. Dabei lässt er sich gerne von seinen Künstlern und Drehorten überraschen. Er nennt dies den poetischen Ansatz, der ihn und sein Team veranlassen, ohne komplett vorgefertigtes Skript an den Drehort zu reisen und zu filmen. «Das ist das Gefühl des Abenteuers: Etwas zu kreieren, von dem man nicht einmal geträumt hatte.» Dies sei die «Essenz der Poesie»: Dem Instinkt und der Intuition hinterherzujagen, die Antwort nicht zu kennen, bis man sie schlagartig vor sich sieht.
Dass sein experimenteller Stil nicht alle anspricht, ist ihm klar. «Die Zuschauer tauchen in den Filmen in ein Universum ein. Entweder sie rennen weg, weil sie es nicht ertragen. Oder sie werden davon verschluckt, mitsamt Körper, Geist, Gefühlen und Sinnen.» Es sei eine allumfassende Erfahrung, welche den Zuschauern zuteil wird, erzählt André Semenza. «Das ist es, was wir erzielen wollen.» (sb)
ANMELDEN
Herzlich willkommen! Melden Sie sich mit Ihrem Konto an.