40/2015 Kunst zum Durchschauen

Von adminZoZuBo ‒ 1. Oktober 2015

Kunst zum Durchschauen

Der freischaffende Künstler und gebürtige Zolliker André Rämi liebt die Dimensionen. Seine Drahtfiguren entstehen aus einem Stück Maschendraht, aus dem er Menschen und Tiere formt, lebensnah und in Bewegung, transparent und leicht. André Rämi arbeitet mit vielen Materialien und es entstehen Skulpturen aus Stein, Zement, Eisen und Draht.

«Die hier finde ich toll», sagt André Rämi und packt eine seiner Drahtfiguren am Sockel. Er schreitet zwischen seinen kleinen und grossen Kunstwerken umher, um ihnen ab und zu einen Stupser zu geben und die sanften Bewegungen der flexiblen Drahtkonstruktionen zu verfolgen. Seine Kindheit und Jugend hat André Rämi im Zollikerberg verbracht. Der gelernte Maurer ist der zweite von vier in Bau und Architektur tätigen Brüdern. Seinen Beschreibungen nach scheint der anfängliche Hang und schliessliche Drang zur Kunst ein Pfad der Entdeckung gewesen zu sein. Nach der Lehre hatte der heute 62-Jährige die Möglichkeit, mehrere Jahre in einem Zürcher Auktionshaus tätig zu sein. Oder wie er selber so schön sagt: «Ich durfte Qualität in der Hand halten und streicheln, unter anderem Skulpturen von Rodin und Giacometti.» Auch Maler wie Renoir, Monet und Picasso haben einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen.

Materialien mit Geschichte

Vor etwa 20 Jahren entstanden seine ersten Steinskulpturen. Die Materialien, mit welchen André Rämi arbeitet, verraten dabei unerwartet viel über seinen Werdegang als Künstler. Bei einem Aushub auf einer Baustelle purzelte ein Naturstein die Böschung herunter. «Ich sah einen Engel!», so beschreibt der Künstler die Form, welche er im drehenden Stein erkannte. Ganze acht Jahre verharrte der Stein im Atelier, bevor ihn der Künstler schliesslich wirklich in einen Engel ummeisselte, um ihn seiner Frau Lisa zu schenken. Erst eine Schulterverletzung veranlasste ihn dazu, mit dem Modellieren zu beginnen. Er gipste eine Frauenfigur, doch das stützende Drahtgerüst gefiel seiner Frau viel besser als die Gipsfigur. Dies war die Geburtsstunde der Drahtfigur. Mit ruhigen Händen, aber schweifendem Blick meint André Rämi kurz: «Meine heutige Kunst ist nicht alleine auf meinem Mist gewachsen, den ersten Anstoss gab meine Frau.» Den Draht für die aktuellen Figuren kauft der Künstler nicht einfach ein. Die Drahtstücke finden auf lebendige Art und Weise den Weg zu ihm ins Atelier. Einmal ist die Zumiker Recyclingstelle eine gute Quelle, ein anderes Mal befreit er bei einem Waldspaziergang ausgewachsene Bäume von ihren früheren Schutzgittern.

Autodidakt mit Gefühl

Man schreitet durch seinen naturnahen Garten und sieht: Gegenstände. Und genau dieser Charakterzug macht seine Skulpturen aus. Leicht übersehbar und delikat in ihrem Erscheinen sind bei genauem Hinschauen nach und nach mehr gegenständliche Figuren im Schnittlauchbeet zu erkennen. Je mehr Zeit man mit ihnen verbringt, desto spannender werden sie. Die Welt aus Draht beginnt sich in vielschichtige Dimensionen zu entfalten. Komprimiert in kleine und grosse Lebewesen sind meist Frauen zu erkennen. «Ihre nackten Körper sind am einfachsten abzubilden», meint der Künstler schlicht. Auch Tiere verstecken sich in den Gebüschen – Krähen und Katzen schmücken den Garten. Die Formen und Darstellungen verraten viel über die Person André Rämi selber: Mit einem festen, kompakten Torso scheinen den Haarformen keine Grenzen gesetzt. Auch er scheint mit beiden Beinen fest am Boden zu stehen, jedoch ohne sich in seiner Freiheit Grenzen zu setzen. Ganz nah scheint er verbunden mit seinen Figuren, ohne dabei einen ehrfürchtigen Umgang mit ihnen zu pflegen. Die alte Handskulptur, welche im Garten eine Glaskugel balanciert, darf auch kaputt gehen, meint er ohne Reue. Die Kunst von seiner Person zu trennen, scheint unmöglich. «Wenn ich mit meinen Händen modelliere, dann gelangt Wärme an den Draht und er wird ganz geschmeidig. Ich spüre blind, ob die Form stimmt. Und wenn sie fertig ist, geht die Wärme wieder raus. Die Figur wird starr und behält ihre neue Form.» Er arbeitet mit einer magischen Leichtigkeit, welche er sich selbst wohl nicht erklären will. Und so wie er selber ist auch sein Werkzeug bescheiden: Draht und Schere. Sonst nichts. Nicht mal Handschuhe. Zu seinen vielen Qualitäten gehört ein ausgeprägtes räumliches Vorstellungsvermögen, welches seine Hände sanft, aber schnell über den ungeformten Draht gleiten lässt. Denn sobald er nachdenkt, ist die Produktionsphase unterbrochen. Der Autodidakt formt männliche Figuren entlang der Drahtschlaufen, damit ihre Muskulatur besser zur Geltung kommt. Frauen dagegen verlaufen der Quere nach. Sie sind eben anders gewickelt.

Ein bedeutsames Umfeld

Stets führen André Rämis Erklärungen auf seine Faszination für Dimensionen zurück. Die wahrscheinlich geheimnisvollste davon ist diejenige des Schattens. Je nach Licht verändert sie sich immer wieder. Eine unscheinbare Figur gewinnt im Abendlicht plötzlich an ungeheurer Präsenz. Alle sind sie durchschaubar. Auch sämtliche Steinskulpturen zeugen von einem Hohlraum im Zentrum. Das verleiht ihnen Leichtigkeit und passt zur ehrlichen Aussage des Künstlers, wonach er in seiner Kunst alles preisgibt. Jede einzelne Figur – sogar diejenigen der Tiere – hat einen ausgesprochen sanftmütigen, freudigen Gesichtsausdruck. Realitätsnah, doch abstrakt genug, um Kunst und Künstler zu sein; das verbindet die Gestalten mit ihrem lebensfrohen Schöpfer. Und wer kauft solch realitätsnahe Kunst zum Anfassen? Meistens seien es Frauen, meint André Rämi bescheiden, aber ein wenig stolz. Speziell den weiblichen Figuren entspringt eine kraftvolle Aura – seine Antwort überrascht daher nicht. Auf Anfrage hilft der Künstler sogar bei der Platzierung der Skulpturen in ihrem neuen Zuhause. Neben seiner Arbeit nimmt André Rämi sich Zeit, um zu beobachten. Wie soll die Windbewegung in der nächsten Krähe aus Draht nachgebildet werden? Wie verändern sich ihre Dimensionen im Licht? Eine Quelle der Ruhe war und ist ihm stets der Zürichsee. Ob Zolliker oder Zumiker – nach einem «Schwumm» an den wilden Badestellen folgt vielleicht noch schnell ein kleines lachendes Drahtmännchen. (aw)

Ausstellung Skulpturen von André Rämi und Bilder von Franziska Tognazzo, 13. September bis 1. November, Kunstforum Residenz Tertianum, Sennhofweg 23, Zollikerberg.

 

 

 

 

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