Von adminZoZuBo ‒ 4. Dezember 2015
Das Durchgangsheim für Asylsuchende ist wieder voll. Nach meist langer Reise sind sie nun hier, die Männer, Frauen und Kinder aus den Krisengebieten der Welt und warten – plötzlich zur Untätigkeit gezwungen – im vorläufig letzten Camp auf den Entscheid über ihr Asylgesuch. Viele Zolliker und Zollikerinnen – selbst weit gereist – versuchen, ihnen die Wartezeit so angenehm wie möglich zu machen. Der Start ist gelungen.
Seit September ist das kantonale Durchgangsheim in Zollikon wieder offen. 80 Menschen wohnen in drei unterirdischen Räumen im Buchholz, schlafen da im Männer-, Frauen- und Familienzimmer, kochen in der grossen gemeinsamen Küche selbst, spielen zwischendurch Pingpong und schauen sich Sendungen im Fernsehen an – in erster Linie aber warten sie im «Camp», wie sie das Durchgangsheim selbst nennen, auf den Entscheid über ihr Asylgesuch. Sie kommen zurzeit hauptsächlich aus Afghanistan, Syrien, dem Irak, Sri Lanka, Eritrea und Somalia. Was mögen sie in ihrer Heimat und auf ihrer Reise erlebt haben? Die Zollikerinnen und Zolliker lässt ihr Schicksal nicht unberührt. Auf dem Dorfplatz vor der Migros kommen Einheimische und Asylsuchende in Kontakt. Die Menschen aus dem Camp halten sich gerne hier auf, weil sie hier Wifi haben. Was für die Lehrer der Oberstufe ein Segen ist, ist für sie ein Nachteil: Da die Natel-Antenne auf dem Schulhaus steht, haben sie im Durchgangsheim keinen Empfang. Doch das Engagement der Zolliker Bevölkerung geht über spontane – meist noch auf englisch geführte – Gespräche auf dem Dorfplatz hinaus. Die Wohngemeinschaft des Althus lud im Oktober erst Asylbewerber und Nachbarinnen zum Sonntagskafi ein und erweiterte die Runde drei Wochen später mit interessierten Zollikerinnen und Zollikern. Althus-Bewohnerin Christina Caprez sagt: «Viele Fragen rund um die geflüchteten Frauen, Männer und Kinder beschäftigten uns. Wir fragten uns, was wir beitragen könnten, damit gegenseitiges Vertrauen und Sympathie wachsen können. Da das Althus ja einmal ein Zolliker Restaurant und ein Treffpunkt war, wollten wir mit unserer Einladung einen ersten Kontakt herstellen.» Fast 50 Frauen, Männer und Kinder folgten der Einladung. Die anfängliche Beklommenheit wich rasch, anregende Gespräche wurden möglich. Traurige und fröhliche Geschichten wurden ausgetauscht. Aus den zwei Café-Althus-Nachmittagen entstanden viele Ideen und Kontakte zwischen einzelnen Asylsuchenden und Zollikern: etwa ein spontaner Fussballmatch auf dem Schulplatz und gemeinsame Abendessen mit Austausch von Rezepten.
Die Althus-WG leistete damit das erste grosse Zolliker Engagement, doch es blieb bei weitem nicht das einzige: Der Zolliker Sportclub und das Jugi meldeten sich zum gemeinsamen Sport. Die Schule öffnete sofort ihre Turnhalle und reservierte sie zweimal über Mittag für die Asylsuchenden. Und allen voran meldeten sich auf den Aufruf der beiden Kirchen im Zolliker Boten von Ende Oktober über 50 Personen, um im geplanten Kultur-Café der beiden Kirchen mitzuwirken. Damit war eine Basis geschaffen, ein längerfristiges Projekt anzugehen. Womit man auch sofort begann. Bereits neun Mal hat das Kultur-Café im reformierten Kirchgemeindehaus nun stattgefunden. Alex Kohli, Diakon der reformierten Kirche und Koordinator aller Personalfragen innerhalb des Projekts, sagt: «Der Start ist geglückt. Die Stimmung ist gut. Es ist schön zu sehen, wie sich eine unkomplizierte Zusammenarbeit zwischen all den Helferinnen und Helfern entwickelt hat.» Dies ist allerdings vor allem ihm und seinen Projektpartnern von der katholischen Kirche Christine Unterberger und Marco Frutig zu verdanken. Gemeinsam haben sie Kontakt zur Leitung des Durchgangsheims aufgenommen und mit Bianca Casanova, der Leiterin, einen Infoanlass für alle freiwilligen Helferinnen und Helfer organisiert. Und dann die Sache gleich gemeinsam angepackt: Bereits beim Infoanlass war klar, alle wollten lieber heute als morgen mit der Arbeit beginnen. Der Kirchgemeindesaal der reformierten Kirche stand dazu an Nachmittagen meist zur Verfügung. Dank der hohen Helferzahl würde man das Café wöchentlich an drei Nachmittagen öffnen können, wobei ein Mitarbeiter der Betreuungsorganisation ORS jeweils auch anwesend sein würde. Die Listen, um sich an einem der Nachmittage einzutragen, standen bereit, die Arbeit konnte beginnen. Da war nur noch die Frage: Würden die Asylsuchenden auch kommen? Denn für sie alle würde das Angebot stets freiwillig sein und bleiben. «Viele sind auch müde und erschöpft», warnte Bianca Casanova, «es kann sein, dass am Anfang nicht so viele kommen!»
Doch die Befürchtungen der Freiwilligen, sie stünden plötzlich alleine da, waren unbegründet. Kamen das erste Mal knapp 20 Personen, hat sich die Zahl nun auf konstante 30 und 40 erhöht. Die Motivation Deutsch zu lernen, ist hoch. Dank Christine Unterberger, die rasch und unkompliziert allen das Unterrichtsmaterial für den Deutschunterricht bereitlegte und kurz erläuterte, wie es am besten in Kleingruppen handzuhaben ist, war der Unterricht von Beginn weg ein Erfolg. «Ich denke, für Integration sind das Erlernen der Sprache und Begegnungen mit den Menschen das Wichtigste. Und das ist es, was wir mit unserem Einsatz ermöglichen möchten», sagt sie. Und so stürzen sich nun Nachmittag für Nachmittag Asylsuchende und Einheimische gemeinsam in die Arbeit. Der Gruppenunterricht bewährt sich, die Lernvoraussetzungen und -fortschritte sind sehr unterschiedlich, unter den Interessierten gibt es Analphabeten genauso wie Hochschulabsolventen. Unabhängig davon sind sie alle motiviert, so viel Deutsch aufzusaugen, wie ihnen geboten wird. Der Deutschunterricht ist intensiv. Die Köpfe rauchen zuweilen. Die Stunde, die hier meist mehr als 60 Minuten dauert, vergeht im Nu. Nachher sitzt man bei Kaffee und Kuchen ein wenig erschöpft noch zusammen – wobei die Asylsuchenden im Unterschied zu den Einheimischen den Pulverkaffee der Kaffeemaschine vorziehen – und wendet sich privateren Themen zu. Kontakte entstehen, auch private Abmachungen ausserhalb des kirchlichen Rahmens.
Sobald der Umbau des katholischen Pfarreizentrums mehr Raum für das Projekt ermöglicht, soll das Angebot auf fünf Tage die Woche erweitert werden. Da viele der Helferinnen und Helfer sich für einen oder höchstens zwei Nachmittage verpflichten, sind dann wohl nochmals neue Freiwillige gefragt – nicht nur für den Deutschkurs, auch für Bastel-, Stick- und Ausflugsnachmittage. Oder als Sponsoren von Kuchen und Ausflugstickets. Ein erfolgreicher Stricknachmittag hat bereits stattgefunden: An die 20 Frauen kamen, und lernten nach Wunsch stricken, häkeln oder Freundschaftsbändchen knüpfen. Gesprochen wurde da (noch) nicht viel, die Konzentration auf das «Ine stäche, ume schlah» war zu hoch, als dass das schon möglich gewesen wäre. «Alle Asylsuchenden sind frei», sagt Bianca Casanova, «sie dürfen Einladungen annehmen, Ausflüge machen, sich frei bewegen. Diese Kontakte sollten dabei aber auf privater Ebene entstehen. Das Durchgangszentrum verfügt über sehr wenig Privatsphäre und diese müssen wir schützen.» Und dann fügt sie, noch immer erstaunt und überrascht über die neue und unerwartete Erfahrung mit den (welt)weit geöffneten Herzen der Zolliker Bevölkerung und ihrem konkreten Engagement, hinzu: «Ich finde es sehr schön, dass das Kultur-Café so erfolgreich läuft!» (db)
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