Von adminZoZuBo ‒ 17. August 2017
Dem alten Buchdruckerbrauch folgend, feierte die Fröhlich Info AG, Herausgeberin des Zolliker Zumiker Boten, kürzlich zwei Lehrlinge im Rahmen einer Freisprechungszeremonie im Dorfbrunnen beim Dufourplatz. Wie fühlt es sich an, gegautscht zu werden? Die beiden frisch Getauften geben Einblick in ihre Gefühlswelt.
«Kennen Sie das Gefühl, wenn Sie von Ihren Arbeitskollegen hinterrücks gepackt, gefesselt, in einen Bus verfrachtet und danach wehrlos in einen Brunnen geworfen werden? Nein? Dann arbeiten Sie mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht in der grafischen Branche. Ich gebe zu, von weitem betrachtet wäre es in 99% solcher Fälle vielleicht besser, die Polizei zu rufen, denn in unserer Gesellschaft gilt es gemeinhin nicht als gutes Omen, mit Teppichklebeband gefesselt auf der Ladefläche eines Busses zu liegen – ausser eben in der einen kleinen Ausnahmesituation: Wenn Sie vor kurzem die Abschlussprüfung als Polygraf bestanden haben. Das Bestehen dieses Meilensteins im Leben eines Polygrafenkitzes ändert nicht nur die berufliche Laufbahn vom Lehrling zum Profi, sondern auch seine Ansicht über oben beschriebene Situation. Hätte mir vor vier Jahren einmal jemand gesagt: ‹Du wirst dich freuen, wenn sie dich packen, fesseln und in einen Brunnen werfen›, hätte ich wahrscheinlich eine Zwangseinweisung für diese Person verlangt.
Sie mögen sich fragen, weshalb sich ein Ausgelernter dermassen auf dieses eher raue Ereignis freut. Ganz einfach: Der Termin dieser Taufe ist jedem bekannt, ausser jenen, welche gegautscht werden. Stellen Sie sich also vor, Sie gehen nach bestandener LAP Tag für Tag, Woche für Woche zur Arbeit, immer in Gedanken, dass sich jederzeit all Ihre Kollegen auf Sie stürzen und fesseln könnten – glauben Sie mir, da wächst Ihnen mehr als nur ein Auge am Hinterkopf.
Traditionell ist es Ziel des Lehrlings, den Packern und dem Gautschmeister zu entkommen, was auch ich irgendwie versuchte – umfallende Kartonkisten, umherfliegende Papierchen und Mehl sollten mir den Weg in die Freiheit ebnen … Sie sorgten am Ende jedoch nur dafür, dass ich noch heftiger gepackt und noch straffer gefesselt wurde.
Am Ende des Tages lag nun auch ich im Brunnen, gefesselt, durchnässt und glücklich – ich habe es geschafft, ich bin ausgelernt.»
«Wenn man täglich um 15.30 Uhr beginnt, nervös um sich zu blicken, dann weiss man, dass man die Lehre als Polygraf definitiv bestanden hat. Die Kollegen, die man in seinen vier Lehrjahren lieb gewonnen hat, sind nun nicht mehr Freunde, sondern Feinde. Man weiss nicht, wann es passiert, nur dass es passieren wird: das Gautschen.
Als ich das erste Mal vom Gautschen erfuhr, dachte ich, es sei ein Witz: Man wird gefesselt in einen Brunnen gestossen und muss sich selber befreien. Jeder, der nicht gerade der Entfesselungs- und Zauberkünstler Harry Houdini ist, muss doch hier misstrauisch werden.
Ursprünglich stammt dieser alte Brauch aus der Zeit des Buchdrucks im 16. Jahrhundert. Das Gautschen bezeichnete den ersten Entwässerungsschritt nach dem Schöpfen des Papiers. Das hat nicht wirklich viel mit meinem Beruf als Polygrafin zu tun, jedoch werden nicht nur die Buchdrucker «gegautscht», sondern fast alle, die mit dem Druck irgendwie zu tun haben. Als Polygrafin gehöre ich ebenfalls dazu.
Als ich mich am 20. Juli umdrehte und meinen Mitlehrling Björn auf dem Boden liegend und um sich schlagend sah, wusste ich, es hatte begonnen. In die Enge gezwungen, wurde ich ebenfalls auf den Boden geworfen, gefesselt und wie ein Ferkel am Spiess in einen Lastwagen transportiert. Freunde und Bekannte kamen, um sich dieses Spektakel nicht entgehen zu lassen. Von Kameras umgeben, versuchte ich einen Fluchtversuch aus dem fahrenden Lieferwagen. Jedoch bereits nach wenigen Metern wurde ich wieder gepackt und zurück ins Auto verfrachtet.
Mit Schürfwunden an Ellenbogen und Beinen wurde ich auf den Rand des Zolliker Dorfbrunnens gesetzt. Kühles Wasser umschlang mich, nachdem der Gautschmeister den Gautschspruch fertig gelesen hatte. In wenigen Sekunden hatte ich die Hand- und Fussfesseln los. Als ich jedoch sah, wie Björn hilflos mit seinen Beschränkungen kämpfte, wusste ich, dass ich ihm helfen musste. Während ein Arbeitskollege uns alle paar Sekunden einen Kübel voll Wasser ins Gesicht klatschte, versuchte ich so schnell wie möglich, den jammernden Björn aus seinen Schlingen zu befreien. Darauf folgte ein Kampf der Kräfte. Mit vollen Eimern bewaffnet stürmten wir los um uns bei den Helfern zu ‹bedanken›».
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