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«Lerne täglich etwas Neues!»

Von Franca Siegfried ‒ 26. April 2024

Marc Raggenbass arbeitet im Banken- und Finanzmarktrecht, fragt auch nach Ethik und plädiert für Selbstverantwortung. Ein interessantes Berufsleben im aktuellen Banken-Debakel

Marc Raggenbass arbeitet im Banken- und Finanzmarktrecht und war 
20 Jahre lang FDP Präsident der Ortspartei Zollikon. (Bild: fms)
Marc Raggenbass arbeitet im Banken- und Finanzmarktrecht und war 20 Jahre lang FDP Präsident der Ortspartei Zollikon. (Bild: fms)

Heute feiert Marc Erik Raggenbass seinen 62. Geburtstag. Heute am 24. April muss sich der UBS CEO Sergio Ermotti an der Generalversammlung rechtfertigen: 14,4 Millionen verdiente er letztes Jahr. Eine Summe, über die sich nicht nur Kleinaktionäre ärgern, sondern viele am Bankenwesen zweifeln lässt. Mit der strukturellen Entwicklung des Banken- und Finanzplatzes Schweiz beschäftigt sich Marc Raggenbass. Dabei hat er sich einen Namen mit «Compliance» gemacht, der Einhaltung von Gesetzen, Vorschriften und ethischen Standards. Hinzu kommt der Bereich «Governance», eine verantwortungsvolle Unternehmensführung und -kontrolle.

Studiert hat er in den 1980er Jahren an der Universität Bern. Die Vorlesungen waren damals von Staats- und Verwaltungsrecht geprägt. Am Obergericht des Kantons Bern absolvierte er seine Fürsprecher-Ausbildung, welche dem Zürcher-Anwalt entspricht. Seine Eltern schickten ihn mit 15 Jahren von Bern nach Neuchâtel ans Gymnasium. Daher machte er seine Maturität als «Bilingue». Französisch war ein ausgewiesener Vorteil für eine Karriere im Kanton Bern. Seine Mutter, eine geborene Heiz, war jedoch Zollikerin: «Ich erinnere mich noch gut an meine Ferien als Bub bei meinen Grosseltern an der Oescherstrasse.»

Englisch als Herzenssprache

Die erste Anstellung bekam er 1992 in der Schweizerischen Nationalbank. Die Rechtsabteilung befand sich jedoch nicht am Berner Bundesplatz 1, sondern in Zürich an der Börsenstrasse. «In der Praxis realisierte ich, dass in Zürich im Gegensatz zu Bern das Banken- und Finanzmarktrecht dominiert.» Zur fachlichen gehörte auch eine körperliche Fitness – im nahen Fitnesscenter Luxor mit dem Werbeslogan «trainiere mit New Yorker Atmosphäre». Tatsächlich lernte der junge Anwalt beim Krafttraining eine US-Amerikanerin kennen. Mary Lynn arbeitete in New York für die damalige Schweizerische Bankgesellschaft (SBG) und war für rund zwei Jahre nach Zürich geschickt worden. Aus dem Flirt beim Training wuchs die grosse Liebe. Sie heirateten im Herbst 1998 in Zollikon. «Dank meiner Frau lernte ich Englisch. Wir hatten in Neuchâtel einen katastrophalen Englischlehrer», erzählt er. «Heute ist Englisch meine Herzenssprache, die meine Frau und ich zusammen sprechen.»

Politische Karriere

Damals war er schon Mitglied der FDP. Als die Ortspartei Zollikon von dem Berner Neuzuzüger erfuhr, wurde er als Kandidat für die Schulpflege vorgeschlagen: «Mit dieser Wahl begann meine politische Karriere.» Dem Mann mit fundiertem Wissen in Finanzmarktrecht, unterstützt von seiner international vernetzten Frau aus den USA, vertrauten die Zollikerinnen und Zolliker und wählten ihn später als Gemeinderat: Gut fünf Jahre blieb er im Amt. Als Präsident der FDP-Ortspartei engagierte er sich 20 Jahre lang. Seine berufliche Karriere machte er gemäss LinkedIn-Profil teilweise in internationalen Firmen – immer mit Standort Zürich. «Eine Mischung von einem Drittel Glück, einem Drittel Netzwerk und einem Drittel Eigenverantwortung», erklärt er seinen Weg. «Ich lerne auch heute noch jeden Tag etwas Neues hinzu. Ich könnte nie einen Job machen, der mich langweilt und ich mich morgens zum Aufstehen zwingen müsste.» Meistens ist er um 7 Uhr im Büro. «Was soll ich ausschlafen bis 9 Uhr?» Er liebt seinen Beruf, setzt sich für gesellschaftliche Belange ein, Status und Titel interessieren ihn wenig. «Das Alter 60 ist für meine Generation das neue 40», sagt er. «Mit 60 hatte ich die Idee, mich selbständig zu machen.» Sein Plan war von kurzer Dauer. Seit letztem September hat ihn eine diskrete Privatbank aus seiner Selbständigkeit abgeworben. Er arbeitet jetzt in einer historischen Villa im Zürcher Seefeld.

Wahl in die Kirchsynode

«Wir haben neben Rechte auch Pflichten zu erfüllen und sollten mehr Selbstverantwortung übernehmen.» Marc Raggenbass beschreibt den Wandel am Finanzplatz Schweiz mit der Ablösung der von Eigentümern geführten Banken mit persönlicher Haftung. Aktiengesellschaften mit beschränkter Haftung und Investmentbanking entsprechen nicht der Schweizer Tradition. Damit entwickelte sich eine neue Generation von Managern: «Sie kennen keine persönliche Haftung und agieren mit dem Wissen, dass bei Nichtgelingen eine Kündigung mit Abgangsboni kein Makel mehr ist.» In Chefetagen herrscht ein Kommen und Gehen – aktuelles Beispiel Credit Suisse. Alfred Escher gründete 1856 diese Bank und war massgebend beim Ausbau der wirtschaftlichen Infrastruktur. Der Visionär war sich allen Risiken bewusst, trotzdem bürgte er persönlich. Und heute? «Man spricht nur noch über Risiken. Nach dem letzten Banken-Debakel erwartet uns ein Regulations-Tsunami. Mit dieser Haltung nimmt die Verantwortung eher ab als zu und es wird sich kaum mehr Neues entwickeln können.» Marc Raggenbass vermisst Diskussionen über Wertvorstellungen, deshalb befasst er sich auch mit Philosophie, fragt nach Ethik und Moral. Seine Nähe zur Religion beschreibt er nicht mit der Institution an sich, sondern mit der Rolle der Vermittler des Wortes: Etwa der frühere Pfarrer Thomas Koelliker oder Pfarrer Simon Gebs von Zollikon, die er beide sehr schätzt. Marc Raggenbass hat sich zur Ersatzwahl in die Kirchensynode, dem Parlament der Zürcher Landeskirche als Legislative, aufstellen lassen: Wahl ist am 9. Juni.

Erholen in der Natur

Zur Erholung fährt er mit seiner Frau ins Engadin – im Sommer wird gewandert. Zum Skifahren besuchen sie das Berner Oberland. Städtetrips sind ihm ein Gräuel, in der Natur findet er Ruhe. Und ja, sein Beruf mache ihm soviel Freude, dass er in drei Jahren nicht in Pension gehen werde. Sein Wissen über «Compliance» mit Regelkonformität und strukturellen Ordnungsrahmen, etwa ESG (Environmental Social and Governance) für Nachhaltigkeit, wird mehr denn je gefragt sein.

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