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18/2019 Nicht nur eitel Sonnenschein

Von adminZoZuBo ‒ 2. Mai 2019

Nicht nur eitel Sonnenschein

Schlechte Laune ist ihr einfach fremd: Susan Reinert empfiehlt Gelassenheit und Achtsamkeit. (Bild: bms)

Lebensfreude steckt in jedem Menschen. Das behauptet zumindest Susan Reinert. Die Zumikerin möchte, dass die Menschen in ihren Seminaren lernen, sich selber anzunehmen und bei sich anzukommen. Dabei setzt sie auf Achtsamkeit und Gelassenheit. Wie Lebensfreude lernbar ist, erzählt sie im Interview.

Susan Reinert, wann waren Sie das letzte Mal schlecht gelaunt?

So richtig schlecht gelaunt? Da mag ich mich gar nicht erinnern. Es gibt Momente, in denen ich mich nerve oder traurig bin, doch schlecht gelaunt bin ich selten.

Wie reagieren Sie denn, wenn Ihnen die Milchflasche aus der Hand rutscht und sich über den Boden ergiesst? Denken Sie: Schön, dass es nicht der gute Rotwein war?

Meistens ärgere ich mich kurz und fokussiere mich dann auf das Positive. Zum Beispiel, dass der Boden anschliessend wieder sauber ist. Je nach den äusseren Umständen gelingt mir das ganz einfach oder es ist etwas anspruchsvoller, zum Beispiel, wenn ich unter Zeitdruck stehe.

Kann man Lebensfreude wirklich erlernen?

Ja. Studien zeigen, dass rund 50 Prozent genetisch bedingt ist, ob wir mit einer Frohnatur unterwegs oder eher ein Griesgram sind. 5 Prozent ist von äusseren Umständen abhängig. Und ganze 45 Prozent können wir mit unserer inneren Einstellung beeinflussen. Hier setze ich in meinen Kursen an.

Immer häufiger werde ich konfrontiert mit Entschleunigung, Achtsamkeit oder auch Selbstwahrnehmung – drehen wir uns nicht alle ein bisschen zu sehr um uns?

Nein, im Gegenteil. Das hat nichts mit Egoismus zu tun. Denn erst wenn ich gut zu mir selber schaue, kann ich auch zu meinen Mitmenschen schauen. Das demonstriert uns das Kabinenpersonal jedes Mal zu Beginn eines Fluges, wenn es die Sicherheitsvorschriften erklärt: Bei Druckabfall in der Kabine ist es wichtig, zuerst sich die Sauerstoffmaske anzuziehen und sich erst dann um Menschen zu kümmern, die Hilfe benötigen. So ähnlich ist es auch im täglichen Leben. Wenn ich entschleunige, achtsam und mir selbst bewusst bin, kann ich viel besser auf mein Umfeld eingehen. Ich bin weniger gestresst und genervt und somit profitieren alle davon.

Sie haben früher im Gesundheitswesen gearbeitet. Wie wichtig ist die Psyche für unser körperliches Wohlbefinden?

Sie ist ein ganz entscheidender Faktor. Einerseits hilft uns eine positive Lebenseinstellung, dass wir uns körperlich besser fühlen. Wir können dadurch auch mehr Sport treiben, haben mehr Kraft, an die frische Luft zu gehen oder uns auch gesund zu ernähren. Andererseits hilft es uns auch, wenn unser körperliches Wohlbefinden nicht so ist, wie wir das gerne hätten. Gerade zum Beispiel bei chronischen Schmerzen hilft uns das Achtsamkeitstraining, besser damit umgehen zu können und weniger darunter zu leiden.

Wenn ich Lebensfreude anstrebe, schiebe ich dann wichtige Gefühle wie Trauer oder Wut nicht zur Seite?

Das könnte man auf den ersten Blick vermuten. Doch so wie ich Lebensfreude verstehe, gehören auch diese Gefühle dazu. Wenn ich Freude am Leben habe, dann klammere ich also die sogenannten «negativen» Gefühle nicht aus. Das gesamte Spektrum menschlicher Gefühle zu empfinden, gehört zum Leben. Ich nehme sie wahr, wenn sie hier sind, und lasse sie auch wieder ziehen. Bei mir persönlich ist dies wohl die grösste Veränderung der letzten zehn Jahre: Seit ich mich intensiver mit diesen Themen auseinandersetze, fällt es mir leichter, auch herausfordernden Situationen ins Gesicht zu schauen.

Kommt es vor, dass Mitmenschen Sie privat mit ihren Sorgen und Nöten konfrontieren und Hilfe erwarten?

Natürlich. Doch ich glaube nicht häufiger, als wenn ich einen anderen Beruf ausüben würde.

Sie haben einige Zeit in Bangkok gelebt – herrscht da eher eine grundlegende Lebensfreude?

Eine der Redewendungen, die ich immer noch auf Thai kann, ist «mai pen rai», was so viel wie «das macht nichts» oder «was passiert ist, ist passiert» bedeutet. Diese Redewendung hört man in Bangkok oft und sie ist Ausdruck einer grossen Gelassenheit und unbeschwerten Unbekümmertheit. Das Wort für Ärger habe ich hingegen nie gelernt …

Mit welchen Erwartungen kommen die Menschen in Ihre Kurse?

Im grossen und ganzen sind es zwei verschiedene Gruppen, die in meine Kurse kommen: Zum einen kommen Menschen, die leiden – sie stehen kurz vor einem Burn-out, haben chronische Schmerzen, starke Migräne und wurden teilweise auch von ihrem Arzt, ihrer Ärztin auf die Achtsamkeitsmeditation als Hilfestellung aufmerksam gemacht. Zum anderen kommen Menschen, die an dem Thema interessiert sind, sich selber etwas Gutes gönnen oder einfach mal sehen wollen, was denn in einem solchen Kurs gelernt werden kann.

Wie unterscheidet sich Meditation von der Achtsamkeitsmeditation?

Es gibt ganz verschiedene Arten von Mediationen. Achtsamkeitsmeditation ist eine von vielen. Bekannt wurde sie bei uns in den letzten Jahren durch das «Mindfulness-Based Stress Reduction» MBSR – Stressreduktion durch Achtsamkeit. Dabei geht es vor allem darum, den jetzigen Augenblick mit einer freundlichen, erlaubenden Haltung wahrzunehmen. Dies kann man einerseits in formeller Meditation üben, in dem man sich während einer bestimmten Zeit – das können fünf oder auch fünfundvierzig Minuten sein – auf seinen Atem, seine Körperempfindungen oder auch auf Geräusche fokussiert. Früher oder später wird die Aufmerksamkeit nachlassen. Sobald man dies feststellt, bringt man mit liebevoller Bestimmtheit seine Aufmerksamkeit zurück auf das ausgewählte Objekt. Wahrnehmen, was immer jetzt gerade hier ist, ohne zu urteilen. Oder man kann dies auch informell üben, indem man zum Beispiel beim Duschen mit seinen Sinnen alles wahrnimmt, was gerade da ist: das prickelnde Wasser, das fein duftende Duschmittel, die Geräusche. Auch so kann sich die Achtsamkeit verstärken. Im MBSR-­Programm üben wir beides, sowohl informelle Praxis wie auch formelle Achtsamkeitsmeditation im Liegen, Sitzen oder in der Bewegung. Die Wirksamkeit dieses Programmes wurde durch zahlreiche wissenschaftliche Studien belegt. Deshalb geniesst es vermutlich so einen grossen Zulauf.

Welche drei Tipps würden Sie unserer Leserschaft mitgeben, damit sie ihre Lebensfreude verstärken kann?

Dankbarkeit: Jeden Abend drei Dinge – Menschen, Gegenstände, Situationen – aufschreiben, für die Sie dankbar bin. Bewusst die schönen Augenblicke geniessen: Sei es den fein duftenden Tee, die zwitschernden Vögel oder das gute Gespräch mit der Nachbarin. Das Leben darf auch schwierig sein: Wenn wir den Anspruch loslassen, dass das Leben nur eitler Sonnenschein sein darf, haben wir schon viel erreicht. Oder wie heisst es so schön: «Wir können die Wellen des Lebens nicht aufhalten, doch wir können lernen, auf ihnen zu surfen.»

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