«Wind aus West mit starken Böen» von Dora Heldt

Buchtipp von Barbara Hugi-­Jung, Bibliothekarin Zumikon

«An dem kleinen Teppich im Flur erkannte Katharina, dass ihre Putzfrau da gewesen war. Er lag diagonal. Mit der Fussspitze schob sie die Teppichkante wieder parallel zur Wand, erst dann knöpfte sie ihren Mantel auf.»

Katharina Johannsen arbeitet seit Jahren erfolgreich für ein Bremer Recherchebüro. Sie lebt äusserst diszipliniert und strukturiert. Unvorhergesehenes existiert bei ihr nicht. Ihre Beziehung mit Jens ist solide, aber unaufgeregt, überbordende Gefühle gibt es nicht. Zuviel Nähe erträgt sie nicht. Auch mit ihrer Familie geht Katharina auf Distanz. Ihre schrillen Hippie-Eltern sind schon vor Jahren nach Mallorca ausgewandert, der Kontakt zur zehn Jahre jüngeren Schwester Inken ist lose. Im Gegensatz zur kontrollierten Katharina ist ­Inken chaotisch, stets gut gelaunt und patent im Umgang mit ihren Kunden in der Segelschule. Mehr schlecht als recht kommt Inken über die Runden, aber das stört sie nicht.

Katharina hat ihr Leben fest im Griff, bis der Auftrag des holländischen Bestsellerautors Bastian de Jong sie völlig durcheinanderbringt. Für Recherchen über alteingesessene Sylter Familien soll sie nämlich auf die Insel. Ausgerechnet Sylt! Die Insel, welche sie seit zwanzig Jahren aus bestimmten Gründen meidet, obwohl sie dort ihre gesamte Kindheit verbracht hat. Wohl oder übel muss sie sich nun auch ihrer Vergangenheit und einer unglücklichen Liebe stellen.

Kaum angekommen, trifft es sie mit voller Wucht: Sie muss sich nicht nur mit ihrer lebenslustigen Schwester Inken auseinandersetzen, nein, auch Hannes, ihre grosse Liebe, ist zufällig auf der Insel. «Wind aus West mit starken Böen» ist nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern auch eine Liebeserklärung an Sylt und an die Nordsee. Es ist ein leiser Roman über das Leben und unsere (liebenswerten) Marotten und Zwänge, die uns manchmal das Leben so schwer machen. Wie lebt man «richtig»? Ist es besser, auf die Vernunft oder auf das Gefühl zu hören? Das ist die Frage.