Von Melanie Marday-Wettstein ‒ 3. April 2020
Trauerfeiern, ohne sich nahe zu kommen. Senioren im Altersheim, die nicht mehr besucht werden können. Gottesdienste, die nur noch virtuell stattfinden: Pfarrer Simon Gebs erzählt, wie die Kirche in der Krisenzeit gefordert ist, warum er selber den Schalter umgelegt hat und weshalb er es heikel findet, die Krise als Chance zu propagieren.
Die letzten zwei Wochen waren sehr chaotisch. Ich bin dankbar für meine langjährige Erfahrung bei der Feuerwehr, sie kommt mir jetzt zugute. Denn jetzt heisst es vor allem, situativ zu schauen, was passiert, und entsprechend zu agieren. Wir suchen täglich neue Lösungen. Es nützt nichts, über das zu lamentieren, was ist. Auch kommunikativ sind wir – wie alle anderen auch – stark gefordert. Zuerst fielen einzelne Veranstaltungen weg, dann begann das grosse «Streichkonzert», mittlerweile darf nichts mehr stattfinden. Auch all diese Absagen von lange im Voraus geplanten Veranstaltungen kosten viel Energie, steckt doch oftmals viel Herzblut dahinter, gerade beim Konflager, das jetzt in den Frühlingsferien hätte stattfinden sollen. Die Konfirmanden waren sehr traurig.
Mit den Verantwortlichen des WPZ stehen wir in engem Kontakt und ich schätze es sehr, dass wir zu Beginn noch kleinere interne Veranstaltungen im Heim durchführen konnten. Irgendwann haben wir aber gemeinsam gemerkt, dass es nicht mehr verantwortbar ist, die älteren Leute weiterhin zu besuchen. Was, wenn wir das Virus in uns tragen und nichts davon bemerken? Diese Verantwortung können wir nicht übernehmen. Dieser Entscheid tat weh. Jetzt sind wir daran, Alternativen zu suchen.
Wir probieren es auf jeden Fall, ja. Zuerst hiess es aber, erst einmal alles aufzugleisen. Sobald wir uns im Pfarrteam arrangiert und etwas mehr Ruhe haben, können wir dann auch vermehrt unsere Telefonlisten durchgehen und die Seniorinnen und Senioren anrufen. Wir sind auch daran, Online-Andachten vorzubereiten. Erfinden und probieren heisst jetzt die Devise.
Wir arbeiten mit Hochdruck daran. Das anstehende Osterfest hat bei uns zurzeit erste Priorität und wir setzen alles daran, gute Onlinelösungen zu finden, damit wir das Abendmahl, den Karfreitags- wie auch den Ostersonntagsgottesdienst zusammen virtuell feiern können – mit Musik und allem, was dazugehört. Natürlich wird es anders sein, das Wichtigste aber ist, dass es trotzdem gemeinsam stattfinden kann, auch wenn jeder in seinen eigenen vier Wänden bleiben muss. Wir lernen jetzt ständig dazu, wir experimentieren und müssen erfinderisch sein. Wichtig ist, dass die Menschen merken, dass wir weiterhin für sie da sind und Online-Gottesdienste, wenn auch in kürzerer Form, anbieten können.
Wer Kinder zuhause hat und nun Arbeit, Kinderbetreuung, Homeschooling und Haushalt unter einen Hut bringen muss, ist natürlich stark gefordert. Letzte Woche meldeten sich drei Paare bei mir, weil es innerhalb der Familie zu Spannungen gekommen ist. Wenn die Tagesstruktur wegfällt, fällt einem schnell die Decke auf den Kopf. Es folgen schlaflose Nächte mit drehendem Gedankenkarussell und Panikattacken. Ich bin froh, wenn wir in solchen Situationen kontaktiert werden, damit wir Gespräche führen können. Auch persönliche Gespräche mit genügend Abstand sind nach wie vor möglich, denn ein Telefon- oder Videogespräch kann den persönlichen Kontakt nicht immer ersetzen.
Gerade in so existenziellen Momenten, in denen man sich nahe sein will, ist dieser Umstand wirklich enorm schwierig. Diese Distanz aushalten zu können, fällt den Angehörigen, aber auch uns nicht leicht. Die Trauer kann man nicht verschieben und sie soll Platz haben im Moment, in dem sie da ist. Die Friedhofsgärtner von Zollikon haben einen sehr stimmigen und würdigen Ort für die Aufbewahrung der Urnen und einen wunderschönen Gedenkort in der Abdankungshalle geschaffen, wo Angehörige im kleinen Kreis Abschied nehmen können. Selbst diese beschränkten Möglichkeiten lassen Spielraum für Rituale, die Familien in ihrem Trauerprozess unterstützen. Das ist für mich tröstend und macht Mut. Auch hier müssen wir erfinderisch, kreativ und aufmerksam sein.
Da gibt es sowohl als auch. Kürzlich hielt ich auf SRF das «Wort zum Sonntag». Dieses fand viel mehr Beachtung als üblich und ich erhielt zahlreiche Rückmeldungen. Viele hören im Moment genau hin, was die Kirche zu sagen hat. Jemand hat mir geschrieben, dass glauben schwierig sei, wenn uns Gott das Virus geschickt hat. Auch hier ist es für mich wichtig, im Gespräch zu bleiben. Plötzlich spüren wir alle die Verletzlichkeit unseres Lebens und unserer Welt, merken, dass vieles nur vermeintlich sicher war. Nun stellt sich die Frage, wie man mit den eigenen Ängsten umgeht, wo werden diese verankert, wo sind meine nährenden Quellen? Die Fragen machen vielleicht auch offen fürs Religiöse.
Ich habe mich entschieden, den Schalter umzulegen. Es war ein Prozess. Ich weiss noch, wie ich am Montag, als der Notstand ausgerufen wurde, kurz darauf einkaufen war und eine apokalyptische Stimmung vorfand. Diese hat mir richtig zugesetzt und ich habe mir gesagt: Das kann es nicht sein, das darf nicht sein. Ich will nicht angstbestimmt unterwegs sein in diesen nächsten Wochen. In solchen Situationen hilft mir das Gebet, aber auch das Tagebuchschreiben und ich lese noch mehr als sonst in der Bibel. Meine Verankerung im Glauben gibt mir Kraft, und aus dieser schöpfe ich jetzt. Und wie ich im «Wort zum Sonntag» bereits gesagt habe: Es geht jetzt nicht darum, Dosenravioli zu hamstern, sondern um gute Erfahrungen.
Wir sind privilegiert, dessen müssen wir uns einfach bewusst sein. Doch die einschneidenden Massnahmen des Lockdowns hat niemand vorausgesehen, uns fehlen die Erfahrungen, wir alle sind auf dem falschen Fuss erwischt worden. Was die öfters postulierten positiven Aspekte dieser Tage betrifft, bin ich vorsichtig. Die Auswirkungen der Krise haben einen hohen Preis für viele von uns. Daher bin ich weit davon entfernt, die Krise als Chance zu propagieren, auch wenn es im ganzen Schlamassel kostbare Seiten gibt. Doch die schwierigen Folgen für Einzelne, aber auch für das gesamte Wirtschaftssystem, dürfen nicht kleingeredet werden. «Zämehebe» und den Ausnahmezustand solidarisch durchzustehen, ist das Einzige, was zählt.
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