Stark unter starken Frauen

Von Antje Brechlin ‒ 19. Juni 2020

Franziska Schläpfer hat ein neues Buch geschrieben. «Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer». Wie der Titel andeutet, es ist keine Urlaubslektüre. Als Treffpunkt für das Interview hat sie ihr Zuhause in Zollikon vorgeschlagen. Die romantische Vorstellung, eine Schriftstellerin lebe in einem alten, wunderschönen Haus und schaue während des Schreibens auf einen wild wuchernden Garten, in dem Insekten und Vögel leben – stimmt hier genau. Seit 1987 ist es ihre Heimat. Sie bittet in einen ­hellen, luftigen Raum, der nach frisch gepflückten Rosen duftet.

Franziska Schläpfer führt ein aufregendes Leben. (Bild: ab)
Franziska Schläpfer führt ein aufregendes Leben. (Bild: ab)

Sie ist neugierig. Gerade 75 geworden. Das Alter sieht man ihr nicht an. Sie denkt schnell, wirkt quirlig, fast mädchenhaft. Begrüsst herzlich, in schwarzen Jeans, edlem Sweatshirt, Boots und knallrotem Lippenstift. Es verwundert nicht, als Franziska Schläpfer sagt «Je älter ich werde, desto mehr Freunde habe ich, weil Menschen mich so sehr interessieren. Ich treffe glücklicherweise immer wieder Leute, die mich inspirieren, oder die von mir inspiriert sind.»

Es ist ein spannender Weg, den Franziska Schläpfer gegangen ist. Sie hätte es bequemer haben können, aber auch langweiliger. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden aufgewachsen, hat sie immer geglaubt zu wissen, was sie will. Die Mutter mit portugiesisch-indonesischen Wurzeln, der Vater mit bäurisch appenzellischen: eine Bohemien Familie, der Vater war selbstverständlich für das Frauenstimmrecht. Nicht selbstverständlich damals im Appenzell.

Franziska heiratet jung, einen Witwer mit zwei kleinen Buben, bekommt zwei Kinder dazu, erzieht sie, denkt, so soll es wohl sein, mein Leben, und muss sich eingestehen, dass sie sich getäuscht hat. Da ist etwas, dass sie vermisst. Sie will selbstständig sein, selbst etwas bewegen. Sie will schreiben. Über Menschen, kulturelle und gesellschaftliche Themen, «das ist ein Bedürfnis, aber schreiben ist auch immer eine Qual.» Ihre Umgebung ist zuerst skeptisch, aber sie findet Förderer. Kinder, Haushalt, Freunde, Ehemann, Schreiben unter einen Hut zu bekommen, ist nicht einfach. Sie engagiert sich in Herisau für das Frauenstimmrecht, gründet mit 25 Jahren eine politische Frauengruppe. Läuft dabei gegen Windmühlen. «Zur ersten Versammlung kamen einhundert Frauen, zur zweiten niemand mehr.» Das Scheitern gehört dazu. Auch eine zerbrochene Ehe.

Kein gerader Weg, aber ein umso spannenderer

Ende dreissig beginnt Franziska Schläpfer ein neues Leben. Stück für Stück erkämpft sie sich ihre Unabhängigkeit. Die fordert ihren Preis, doch sie ist bereit, ihn zu zahlen. «Als ich jung war, war ich sehr angepasst. Heute würde ich mutiger sein, würde mich mehr trauen, vor allem streiten. Das habe ich spät im Leben gelernt.» Sie macht eine Buchhändler Lehre, wird Redakteurin beim St. Galler Tagblatt, lernt Ludwig Hasler kennen, übernimmt die einzige Fachzeitschrift für die Buchbranche und macht sieben Jahre nicht ein einziges Mal Ferien. «Zum Glück hatte ich da grosse Unterstützung von Ludwig, der selbst Journalist war. Niemand sonst hätte verstanden, warum ich meine Energie komplett auf meine Arbeit verwende. Ludwig ist bis heute eine sehr inspirierende Person für mich.»

Seit 35 Jahren lebt sie mit dem Philosophen Ludwig Hasler zusammen. Der Gesprächsstoff geht ihnen niemals aus. Auch kaum möglich, denn beide arbeiten viel, sind unterwegs, treffen Leute, stehen voll im Leben. Sie leben gemeinsam, doch jeder führt auch sein eigenes Leben. Mit einer Freundin geht Franziska Schläpfer im Herbst wieder auf eine drei­wöchige Velotour. «Wenn ich Velo fahre, bin ich im Flow. Ich könnte ewig fahren.» Gemeinsam waren sie mit dem Rad schon in Ungarn, Rumänien, der Insel Rügen, Paris. «Auf unserer letzten grossen Velotour fuhren wir zweieinhalb Wochen von der Rhonequelle bis zur Rhonemündung. Eine tolle Reise. Allerdings sind wir nicht so gut im Vorbereiten, wir fahren einfach los und merken erst unterwegs, was wir hätten besser machen können. Aber letztlich ist das nicht so wichtig. Wir sind einfach patente Reisegefährten.»

Es gibt sicher Parallelen ihres Lebens zum neuen Buch «Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer». Franziska Schläpfer porträtiert legendäre Schweizer Paare, die im letzten Jahrhundert auf Augenhöhe lebten, wie zum Beispiel die Schauspielerin Anne-Marie Blanc und der Filmpionier Heinrich Fueter. «Ich suchte ebenbürtige Paare, Männer mit starken Frauen. Es gibt so viele berühmte Männer, die ohne Kompromisse ihren Weg gegangen sind, aber nur wenige Frauen.»

Romantik spielt eine untergeordnete Rolle

Der Titel des Buches ist Programm. Wer nach Heile-Welt-Liebesgeschichten sucht, wird nicht fündig werden. Hände weg, die Enttäuschung wäre gross. Romantik spielt in diesen Beziehungen eine untergeordnete Rolle. Das Industriellenpaar Jenny Sulzer und Sydney William Brown entspricht wohl am ehesten dem Bild, eines «romantisch liebenden Paares». Dafür bekommt die Leserin Spannung und Drama. «Die Überraschung meiner Paarrecherchen waren die Frauen. Stark, klug, eigenständig, couragiert ambitioniert – im Denken, im Handeln im Begehren. Sinnlich die meisten, alle leidenschaftlich auf ihre Art. Frauen, die wussten, wie sie leben wollten. Nur Hausfrau zu sein konnte sich keine von ihnen vorstellen.» Die Autorin hat Archive durchforstet, Briefe gelesen, mit Nachkommen geredet. «Eine aufwendige, aufregende Recherche.» Dem Leser wird mit jedem der Paare gezeigt, wie lustvoll, anstrengend und auch zerstörerisch ebenbürtige Beziehungen sein können. «Liebe ist Schicksal, Liebe ist Verhängnis, Liebe muss eine Naturkatastrophe sein» schreibt die Künstlerin Annemarie Gunz an ihren Geliebten, den charismatischen Priester Josef Vidal Kopp. Wie der Ehemann Hans von Matt damit umging, erfährt man im Porträt. Franziska Schläpfer zitiert viel, erklärt und interpretiert wenig. Jeder kann sich selbst ein Bild machen und wird erstaunt sein, wie variantenreich die porträtierten Paare die Liebe durchspielten.

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