«Stets ein Bein im Berufsleben behalten»

Von Antje Brechlin ‒ 11. März 2021

Die Zollikerin Nicola Leu führt ein bewegtes Leben. Vor mehr als 20 Jahren baute sie zusammen mit ihrem Ex-Mann und seinen Partnern die Klinik Tiefenbrunnen in Zollikon auf, jetzt hat sie sich beruflich nochmals neu orientiert. Privat in milden Gewässern und freundlich geschieden, ist sie beruflich in lebhafter Bewegung: Als psychosoziale Beraterin / Coach hat sie nicht nur wegen der Corona-Krise viel zu tun.

Nicola Leu ist dankbar für die Möglichkeiten, die das Leben bietet. (Bild: ab)

Viele Menschen haben in der jetzigen Situation mit psychischen ­Problemen zu kämpfen. Der Bedarf an mentaler Hilfe ist gross. Sie ­haben gerade die Ausbildung zur psychosozialen Beraterin / Coach abgeschlossen. Haben Sie die ­Pandemie und deren Auswirkungen kommen sehen?

Sicher nicht, denn ich habe meine psychologische Ausbildung bereits vor drei Jahren begonnen. Es war vielmehr so, dass ich durch meine Arbeit in der Klinik Tiefenbrunnen in den letzten Jahren immer mehr Menschen erlebte, die mit einer Burnout-Symptomatik zu kämpfen hatten. Die Leute gönnen sich ­weniger Ruhephasen. Sie schaffen es oft nicht, sich vom stressigen Alltags- und Berufsleben auszuklinken. Nicht nur unsere Kinder sind ständig erreichbar, auch wir Erwachsenen und Eltern meinen, wir müssten immer und für jeden erreichbar sein. Dabei müssen wir das gar nicht. Es liegt vieles in ­unserer eigenen Hand. Wenn ich zum Beispiel in der Badewanne ­liege und mein Telefon klingelt, nehme ich selbstverständlich nicht ab. Ich kann später zurückrufen, oder das Gegenüber wird sich wieder melden, wenn es wichtig ist. Kleine Auszeiten sind sehr wichtig für das psychische Wohlbefinden! Ich helfe gerne dabei, wieder ins Gleichgewicht zu kommen.

Welche Probleme sind besonders akut?

Zurzeit haben viele meiner Klienten das Gefühl, in einem Hamsterrad zu stecken. Oft sind es wirtschaftliche Probleme. Wenn seit Monaten kein Geld in die Haushaltskasse fliesst, belastet das existenziell. Ein grosses Problem ist auch die soziale Vereinsamung, die nicht nur Ältere, sondern alle Altersschichten betrifft. Oft auch Teenies, die sich nicht mehr austauschen können, was bekanntlich in diesem Alter enorm wichtig ist. Vielleicht lernen sie für eine weiterführende Schule oder suchen verzweifelt eine Lehrstelle. In solchen Situationen brauchen sie dringend einen Ausgleich, um Dampf ab­zulassen! Dass dies so schwierig ist, bringt für die Familien enorme ­Probleme, bei denen ich zur Seite stehen und helfen kann.

Sie haben zwei Kinder im Teeniealter und sind geschieden. Greifen Sie bei Ihrer Arbeit auch auf eigene Erfahrungen zurück?

Selbstverständlich! Wäre dem nicht so, könnte ich andere auch nicht beraten, oder mich allenfalls weniger gut einfühlen. Natürlich ist jeder am Anfang einer Trennung verletzt, miteinander vernünftig zu sprechen, fällt oft nicht leicht. Oft geht man sich zu Beginn aus dem Weg, sucht nach Gründen des Scheiterns, versucht sich neu zu orientieren. Verletzt sind bei einer Trennung immer beide Partner. Sind Kinder da, sollte man sich ­bewusst sein, dass man immer ein «Elternpaar» und auch Familie bleibt. Ich finde es immer sehr schade, wenn über den Partner, den man ja einmal bewusst gewählt hat, mit dem man wunderbare Kinder hat, plötzlich nur noch schlecht gesprochen wird.

Die Scheidungsrate betrug in der Schweiz ab 2005 zum Teil 50 Prozent und mehr. Mittlerweile hat sie sich auf rund 40 Prozent reduziert, das heisst zwei von fünf Ehen werden geschieden. Das ist enorm.

Naja, dabei muss man auch bedenken, dass wir heute viel älter werden als früher und sich die Partner nicht immer in die gleiche Richtung entwickeln. Wenn man sich kennenlernt, als Paar zusammenlebt, kann das wunderbar funktionieren. Später in einem Familienverbund mit mehreren Individuen, kann das aber nochmals eine ganz andere Dynamik entwickeln. Auch die Zweierbeziehung Mann-Frau ändert sich durch Kinder. Das ist nicht immer einfach, und manchmal muss man sich eingestehen, dass es als Paar, oder in einem gemeinsamen Haushalt, eben nicht mehr funktioniert. Letztlich ist es aber für alle enorm wichtig, miteinander im Gespräch zu bleiben.

Sie haben zusammen mit Ihrem Ex-Mann und seinen beiden Partnern die Klinik Tiefenbrunnen aufgebaut. Er und seine Geschäftspartner als plastische Chirurgen und Sie als ausgebildete Pflegefachfrau führen die Klinik eigenständig. Wie haben Sie das nach der Trennung gehandhabt?

Mein Ex-Mann und ich waren und sind ein gutes Team. Ich habe ihn immer gerne unterstützt, bin ihm nach Rio de Janeiro gefolgt, wo er sich als plastischer und rekon­struktiver Chirurg weiterent­wickeln konnte. Im Jahr 2001 durften wir uns dann in Zollikon selbständig machen. Als Pflegefachfrau habe ich mich beruflich gut anpassen können, immer einen Job an unseren jeweiligen Aufenthaltsorten ­gefunden und meine «Abenteuergene» ­haben sicher auch das ihre dazu getan. Es war mir ­immer wichtig mit einem Bein im Berufsleben zu bleiben, natürlich ohne dass die Kinder zu kurz kommen, engagiert zu sein und nicht stehenzubleiben. Dies ist für mich wichtig, um eine Partnerschaft auf Augenhöhe zu führen. In den letzten sieben Jahren habe ich eine Reihe von Weiterbildungen im Bereich Ernährung, Lymphdrainage und klassischer Massage absolvieren können, nicht zuletzt auch, da mein Ex-Mann ­Lucas und ich uns weiterhin gemeinsam um das Wohlergehen der Kinder kümmern.

Sie machen einen sehr zufriedenen Eindruck.

Dieser Eindruck täuscht nicht. Ich habe ein erfülltes Leben, mich stetig um Weiterentwickelung bemüht und arbeite sehr gerne mit Menschen. Es geht nicht alles gradlinig im Leben, das kennen wir wohl alle, aber letztlich sollten wir offen für Neues und neugierig bleiben. Wenn eine Tür zugeht, geht eine andere auf.

Mit Nicola Leu sprach Antje Brechlin

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