Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 31. März 2021
Barbara Hugentobler-Rudolf war Sekretärin, Au-Pair-Mädchen, Familienfrau – aber vor allem Seelsorgerin. Nun hat sie eine Gebetssammlung herausgegeben.
Barbara Hugentobler-Rudolf ist ein spiritueller Mensch. Beim Schreiben ist sie sehr klar in ihrer Sprache. Sie nennt die Dinge beim Namen, nähert sich nicht vorsichtig oder diplomatisch. Sie formuliert knapp, ufert nicht aus, kommt erst recht nicht ins Schweifen. So begegnen die Leser, die Leserinnen ihren Gebeten, die sie nun in dem Buch «Von Gott getragen» zusammengefasst hat. Es sind Texte, die sie im Laufe ihres Lebens als Seelsorgerin, als Theologin, als Kämpferin zu Papier gebracht hat. In dicken Notizbüchern sind sie handschriftlich festgehalten.
«Das war ein gutes Stück Arbeit, sie durchzulesen und die richtigen auszuwählen», erinnert sich die 87-Jährige. Sie mag die kurzen Sätze, die sofort innere Bilder entstehen lassen. So heisst es beispielsweise: «Ich weine meine Tränen wie Steine. Ich schreie meine Worte zu Tode». Die Leserin spürt sofort die Kraft, die Emotionen dahinter. Diese Kraft brauchte Barbara Hugentobler-Rudolf schon früh. In eine unbeschwerte Kindheit im Zürcher Unterland fiel ein Schicksalsschlag. Ihr älterer, achtjähriger Bruder starb nach einer eigentlich einfachen Operation. Sie verlor nicht nur den Bruder; ihre Mutter verlor die Lebensfreude. Der Vater, Verantwortlicher einer Steinzeugfabrik, musste weiterarbeiten, die Mutter zog sich zurück. «Dabei hatte sie ja noch drei gesunde Kinder, die ihre Mutter gebraucht hätten», erinnert sich Barbara Hugentobler-Rudolf. Das sagt sie ganz sachlich und ruhig, nicht vorwurfsvoll oder selbstmitleidig. Dank Hilfen funktionierte der Haushalt auch in den Kriegsjahren einwandfrei. Die Seelsorgerin hat auch gleich andere Erinnerungen parat, etwa jene an eine Hausangestellte, bei der sie nicht nur ihren kindlichen Frust abladen konnte, sondern auch mit «Süssem» unterstützt wurde. Einmal habe sie bei ihr eine ganze, geschenkte Schokolade gegessen. In Kriegszeiten ein grosser Luxus!
Der Mittelschule folgte die Ausbildung zur Sekretärin. «Ich wohnte bei meiner Grossmutter in Zürich und belegte nebenbei biologische und theologische Fächer an der Uni. Ich musste doch auch etwas für die Seele tun», lächelt sie. Es folgte eine schöne Zeit in Florenz, wo sie als Au-pair-Mädchen arbeitete und ihre Italienischkenntnisse verbesserte. Danach ging es nach England. Dort besuchte sie eine Commercial School. Um dem typischen, süssen, britischen Dessert am Sonntagabend zu entfliehen, besuchte sie jeweils den Abendgottesdienst. Beim Pastor dieser Gemeinde konnte sie sich theologische Bücher ausleihen, und die Inhalte alle zwei Wochen mit ihm diskutieren. «Da ist zum Ausbruch gekommen, was lange in mir geschlummert hat», erzählt die Zumikerin. Schon als junges Kind hatte sie als Berufswunsch «Missionarin» angegeben. Diesen Weg nahm sie nun. Sie begann ein frauenspezifisches Studium an der Theologischen Fakultät in Genf. Frauenspezifisch hiess damals, dass die Studentinnen nebenbei ehrenamtlich soziale Praktiken leisten mussten – im Centre Sociale de Genève, an der Sonntagsschule oder in Altersheimen. «Das war anstrengend, aber auch sehr bereichernd.» Jedenfalls das, was Barbara Hugentobler-Rudolf suchte: «Ich will mit Menschen zu tun haben, sie verstehen und begleiten.»
Nach dem Studium folgte das Vikariat an der französischen Kirche in Zürich, das dann mit der Ordination – Consécration – einem feierlichen Gottesdienst in Genf seinen Abschluss fand. Dann kam ihre Familienzeit. «Doch als die jüngste Tochter die Mittelschule begann, konnte und wollte ich wieder in der Kirche arbeiten.» Allerdings anders als geplant: ihr Studium in Genf wurde nicht vollständig anerkannt. Sie durfte zwar seelsorgerisch tätig werden – bekam aber wesentlich weniger Lohn. Mit 56 Jahren legte sie endlich das Kolloquium, bestehend aus verschiedenen Examen, ab. «Ich war damals schon Grossmutter und wurde in der Prediger Kirche zusammen mit jungen Kollegen und Kolleginnen erneut ordiniert», lacht sie. Nun durfte sie Gemeinden übernehmen, in denen die Pfarrer eine Auszeit nehmen konnten; später war sie Spitalseelsorgerin in verschiedenen Krankenhäusern. Nur ein einziges Mal habe ein Patient nicht mit ihr reden wollen und sich hinter der Zeitung versteckt!
Bei der Spitalseelsorge ging es darum, das Gegenüber zu erspüren, um geistige Unterstützung anbieten zu können. Sie wurde bekannt als «Enneagramm», eine Inspiration für die Seele. Dies half ihr, die Bedürfnisse der Patienten und Patientinnen besser zu erahnen. Je nachdem habe sie Texte gelesen, gebetet oder über Erinnerungen gesprochen.
… Stille
Und schweigen
Im Lautlosen verweilen
… Gedanken
Kommen und gehen
Erinnerungen verwehen
… Suchen
Im Verbinden
Hoffnung finden.
Immer wieder hat sie selber Texte niedergeschrieben. Texte voller Demut, Dankbarkeit, Hingabe. «Gerade jetzt, in einer Zeit, in der wir so sehr mit uns selber konfrontiert sind, können diese Texte helfen.» Schon ganz früh habe sie angefangen, eigene Texte zu verfassen, für sich zu beten. «Natürlich gibt es Textsammlungen in den kirchlichen Liturgiebüchern, aus denen Seelsorger auswählen können. Aber ich habe schnell gemerkt, dass die Texte von Männern geschrieben waren. Die haben mich nicht überzeugt.» So sind ihre eigenen Krafttexte entstanden. Und so ist das Buch eher wie eine Pralinenpackung zu deuten. Es ist keine ganze Mahlzeit, aber es verlockt dazu, immer mal wieder einen einzelnen Text herauszupicken und ihn im Kopf zergehen zu lassen.
«Von Gott getragen. Eine Gebet-Sammlung», ISBN 978-3-907110-11-9
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