«Janiks Behinderung ist eine Bereicherung»

Von Danielle Brügger ‒ 9. September 2021

Daniela Wolf ist Mutter von drei Kindern im Alter von 20, 15 und neun Jahren. Die Schwangerschaft ihres ersten Kindes verlief normal, bis zur 35sten Woche, als sie keine Kindsbewegungen mehr wahrnahm. Im Spital Zollikerberg kam Janik per Notkaiserschnitt zur Welt.

Seit zwölf Jahren engagiert sich Daniela Wolf für den Familienclub. (Bild: db)
Seit zwölf Jahren engagiert sich Daniela Wolf für den Familienclub. (Bild: db)

Was ist damals pränatal geschehen?

Janiks Sauerstoffversorgung war ungenügend, was zu einer Hirnschädigung führte. Unmittelbar nach der Geburt wurde er auf die Intensivstation des Kinderspitals in Zürich gebracht. Die Diagnose, Janik leide an einer Cerebralparese, hiess, dass das Kind motorische Störungen, Aktivitätseinschränkungen, Beeinträchtigung der Kommunikation und der geistigen Entwicklung sowie des Schluckens erleiden könne.

Die ersten fünf Wochen verbrachte Janik auf der Neonatologie im ­Kinderspital. In dieser Zeit funktionierte ich in einer Art Überlebensmodus und verbrachte so viel Zeit wie möglich bei ihm.

Wie gestaltete sich das Leben zuhause?

Janiks Behinderung war vorerst nicht augenscheinlich. Er war ein glückliches Baby, das uns anstrahlte, Geräusche von sich gab und ­Berührungen liebte. Mein Mann und ich gingen mit ihm spazieren, pflegten und ernährten ihn – wie dies andere Familien mit Babys auch tun. Nur kam nebst der Hebamme noch eine Fachfrau für heilpädagogische Früherziehung regelmässig zu Besuch, und ich ging wöchentlich mit Janik zur Physiotherapie.

Wann wurde die Behinderung ­offensichtlich?

Als Janik mit rund sechs Monaten noch nicht versuchte, sich auf den Rücken zu drehen oder nach etwas zu greifen, dachten wir erst, das käme einfach etwas verzögert. Je mehr Zeit verging, desto deutlicher wurden die Unterschiede zu gesunden Kindern. Als andere Kinder ­anfingen, zu sitzen, zu krabbeln und zu stehen, beobachteten wir bei Janik kaum motorische Entwicklungen. Mir wurde bewusst, dass er viele Entwicklungsschritte nie machen würde. Dies löste bei mir ein Chaos an Gefühlen aus.

Wie gingen Sie damit um?

Ich wurde aktiv und suchte Austausch und Hilfe. Weil Janik sich im Wasser wohl fühlte, suchte ich einen Schwimmkurs und fand eine Schwimmgruppe der Vereinigung Cerebral Zürich. Da kam ich mit anderen Familien ins Gespräch. Sie ermutigten mich am Elterntreff teilzunehmen. Eine Begegnung führte zur anderen mit Inputs zu Spezialvelo, Skibob, Delfinschwimmen … Das Delfinschwimmen in Teneriffa hat uns geprägt und uns gelehrt anzunehmen, was ist.

Im Alter von fünf bis acht Jahren wurde Janik einen Tag pro Woche in eine Klasse im Kindergarten ­Hasenbart integriert. Die Kinder reagierten positiv und lernten, was sie mit ihm spielen konnten und was nicht. Eine bereichernde ­Erfahrung für beide Seiten. Und für mich ermöglichte dies neue Kontakte im Dorf.

Nach Janik gebaren Sie zwei weitere Kinder. Ohne Angst?

Ja. Janiks Behinderung war nicht genetischer Natur. Daher bestand kein Zusammenhang zwischen seiner Behinderung und einer erneuten Schwangerschaft.

Wie ist es für Ihre Töchter, einen grossen Bruder mit Beeinträchtigungen zu haben?

Sie kennen nicht anderes. Was mir auffiel ist, dass das Zusammenleben mit Janik ihre Sozialkompetenz gestärkt hat. Sie können Menschen sehr gut so akzeptieren, wie sie sind.

Kamen Ihr Mann und Sie selbst nicht zu kurz?

Teilweise schon. Zum Glück waren Martin und ich schon elf Jahre ein Paar, bevor wir Eltern wurden. Wie in jeder Beziehung erleben wir Hochs und Tiefs. Die solide Basis half uns jedoch, unsere Bedürfnisse zu formulieren und Zeit für sich zu nehmen. Wenn Martin abschalten will, steigt er auf sein Fahrrad und macht eine grössere Velotour. Ich bewege mich am liebsten mit Freunden in der Natur.

Sind die Herausforderungen für Eltern eines behinderten Kindes grösser?

Sie sind anders. Jedes Kind fordert Eltern auf seine eigene Art und Weise heraus. Bis Janik 18 war, lebte er mit uns, besuchte eine heilpädagogische ­Tagesschule und verbrachte seine Freizeit zuhause. Volljährig zog er in ein Wohnheim für Behinderte. Dort wird er liebevoll betreut und beschäftigt. Jedes zweite Wochenende und in den Ferien kommt er nach Hause. Auf Reisen gehen wir gemeinsam, ausser er geht in ein Ferienlager.

Die meisten Leute in der Gemeinde kennen Janik vom Sehen, denn er liebt es, auf dem Tandem-Velo in Begleitung durch die Gegend zu flitzen, was viele positive Reaktionen auslöst. An öffentlichen Anlässen kann es passieren, dass er auffällt, weil er freudige, laute Töne von sich gibt oder ungeduldig wird. Beschwert hat sich bisher noch niemand.

Konnten Sie mit ihren drei Kindern berufstätig sein?

Für mich stand immer das Familien­leben im Zentrum. Teilzeitstellen im Büro oder als Klassenassistenz bereichern seit Jahren meinen Alltag. Zudem setze ich mich seit 12 Jahren aktiv als Vorstandsmitglied des Familienclubs Zollikon ein.

Was haben Sie als Mutter eines ­behinderten Kindes gelernt?

Ich habe meine Gedanken dazu in einem Brief an Janik formuliert: «Lieber Janik, du bist in Liebe entstanden. Du hast uns mit deiner frühen Geburt und deinen Komplikationen zu Tode erschreckt. Wir sind neu auf die Welt gekommen. Von dir lernen wir jeden Tag, wie viele schöne Erlebnisse es auf ­dieser Welt gibt und wie viel man über kleine Dinge lachen kann. Danke für dein Anderssein durch deine Behinderung und dass du uns das Leben neu leben lehrst.»

Mit Daniela Wolf sprach Danielle Brügger

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