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Ein Herz für Buch und Mensch

Von Ramona Bussien ‒ 10. März 2022

Seit über 30 Jahren arbeitet Monica Toth in der Schul- und Gemeindebibliothek Zumikon. Diesen Sommer beendet sie dieses Kapitel ihres Lebens.

Hier, zwischen den Bücherregalen der Schul- und Gemeindebibliothek Zumikon, war Monica Toth über dreissig Jahre lang zu Hause. Nun heisst es Abschied nehmen. (Bild: rb)

Staubig wie seine Bücher, kauzig, menschenscheu: Das Klischee des Bibliothekars, dieses Büchernarren, der jede stimmliche Äusserung mit einem «Pscht!» quittiert. Die Frau mit den kurzen, dunklen Haaren und dem offenen Lächeln bricht mit diesem Bild. ­Monica Toth strahlt sogar, während sie die Bücherregale der Schul- und Gemeindebibliothek Zumikon abschreitet und sich an ihre Zeit in diesen Räumen erinnert.

Die Baubranche im Alltag, die Bibliothek im Herzen

Monica Toths hauptberuflicher ­Alltag fand keineswegs zwischen Büchern statt: Nach einer KV-Ausbildung bei der Bank, einem Auslandsaufenthalt und einigen Jahren in einer internationalen Handelsfirma heiratete sie und bekam zwei Kinder, die mittlerweile ihre eigenen Leben leben. Schliesslich engagierte sie sich 20 Jahre lang in einem Zürcher Architekturbüro.

Als sich eine Kollegin nach der anderen in den Ruhestand verabschiedete und schliesslich ein ­neuer Chef das Ruder übernahm, entschied sie sich Ende 2020, noch einmal durchzustarten. Mit einem Schubs ins kalte Wasser übernahm Monica Toth das Büro der Schreinerei ihres Partners. Die Baubranche war ihr vertraut, die Schreinerei überraschte mit vielen neuen Erfahrungen. Sie mag ihren Beruf. «Aber mein Herz liegt in der Bibi», sagt sie. Über 30 Jahre hat Monica Toth in der Gemeinde- und Schulbibliothek Zumikon Bücher eingebunden, Spiele geordnet, Kassetten zurückgespult und Menschen erlebt. Stets neben ihrem Hauptberuf als Büroangestellte. Eine Mehr­arbeit, die es ihr wert war. «Ich habe so viele schöne Kontakte geknüpft», schwärmt sie.

Im Fluss der Zeit

Zahlreiche Kinder sah sie das erste Mal als Bauch ihrer Mamis. Und jetzt, Jahrzehnte später, kommen sie mit eigenen Kindern an der Hand vorbei. 30 Jahre, das ist mehr als eine Generation. Sie erinnert sich auch an traurige Momente. Wenn Menschen, die sie liebgewonnen hat, von einem Tag auf den anderen nicht mehr nach Lektüre suchten. Wenn ein Gesicht, eine Stimme verschwand. «Auch das gehört dazu», meint sie etwas melancholisch. Das Leben im Grossen wie im Kleinen ist zuletzt ein vergängliches, zerbrechliches Konstrukt. Monica Toth wird die Bibliothek und deren Nutzerinnen und Nutzer vermissen. Es bleiben Erinnerungen an wundervolle Begegnungen – und an die Bücher mit ihren Geschichten, die selbst zu Objekten von Geschichten geworden sind.

Nicht nur die Menschen haben sich entwickelt und verändert. Monica Toth erlebte die technische Entwicklung hautnah mit. Eben noch sortierte sie Karteikärtchen, blätterte in Katalogen und hantierte mit Kassetten. Dann ordnete sie CDs ein – und ehe sie sich’s versah, besassen die Leute schon keine CD-Laufwerke mehr. Die Bücher aber, die blieben. «Für mich hat Lesen viel mit unseren Sinnen zu tun. Neue Bücher riechen nach frischer Druckerschwärze und die Covers fühlen sich völlig unterschiedlich an.» Die Digitalisierung biete zwar neue Möglichkeiten, das Bewährte könne sie niemals vollumfänglich ersetzen.

Von wegen weltfremd

Ein kauziger Bücherwurm, wie man ihn von Maler Carl Spitzweg kennt, hätte es in unserer Realität nicht leicht. Mit dem weltfremden Stereotyp des Bibliothekars hat Monica Toth wenig gemein. In einer kleinen Bibliothek wie dieser steht sie mitten im Dorfleben. Und die Aufgabe in der Bibliothek besteht längst nicht nur darin, Bücher zu ordnen. Vor der Pandemie fanden auch in der Schul- und Gemeindebibliothek Zumikon vielerlei Anlässe statt. Autoren kamen zu Besuch, Lesungen wurden gehalten. Gerade im Bereich Leseförderung unternahm die Bibliothek viel. Monica Toth erinnert sich an die Kinder, die voller Vorfreude auf die Märchenstunde ihrer Kollegin gewartet haben. Während der Pandemie hat sie mit ihrer Kollegin diese Märchen auf Video aufgenommen. So konnten sich die Familien weiterhin über die «Gschichtli-Zyt» freuen. Und jetzt? Noch sind die Leute vorsichtig, Lesungen wie jene Anfang Jahr waren spärlich besucht. Das wird sich wieder ändern. Wenngleich nicht für Monica Toth, im Sommer beendet sie ihre Arbeit in der Bibliothek.

Buchberater

Früher hiess es «Bücherkafi», heute «Bücherfrühling» und «Bücherherbst»: Zweimal im Jahr präsentiert das Team neue Bücher. Sie kennt längst nicht alles. «Ich würde gern mehr lesen, habe aber zu wenig Zeit», sagt Monica Toth und schmunzelt. Der Büchermarkt ist schnelllebig und überfordernd. Schwierig, den Überblick zu wahren. Wo so viele Geschichten darauf warten, gelesen, angeschaut oder gehört zu werden, tauscht man sich natürlich aus. Die Ohren offen zu halten, sei wichtig. «Da komme ich auf Werke, die ich selbst nie bemerkt hätte.» Aber natürlich hat auch Monica Toth ihre Lieblinge – diese bietet sie Ratsuchenden gerne an. Kommt das Werk dann noch gut an, freut sie sich besonders.

Mehr Zeit für alles

Nichtstun ist für die im Zollikerberg wohnende Büroangestellte keine Option. Wenigstens fünf Jahre möchte sie nach ihrer offiziellen Pensionierung im April in der Schreinerei weiterarbeiten. Für ihre neugewonnene Freizeit hat sie zwar allerhand Pläne – aber nicht nur: «Einmal in aller Ruhe Zeitung lesen, in aller Ruhe Kaffee trinken, in aller Ruhe den Haushalt machen. Mal völlig planlos den Tag starten, das tut gut!»

Monica Toth spielt zusammen mit ihrem Partner Guggenmusik. Die «Mülibordschränzer» von Grüningen freuen sich aufs Ende der Corona-­Massnahmen. Der erste Auftritt nach langer Pause in der Martin Stiftung und anschliessend an einem kleinen Fasnachtsanlass in Grüningen war ein voller Erfolg. Auch im Dorftheater von Zumikon engagierte sie sich viele Jahre – angefangen in der Maske, dann bei den Requisiten, im Vorstand und zuletzt als Präsidentin. Leider wird der Verein dieses Jahr aufgelöst. Noch ein Kapitel in Monica Toths Leben, das ein Ende findet. Dafür hat sie mehr Zeit zum Backen, oder sie kommt endlich dazu, ihre Fotos zu ordnen. Die Fotografie ist noch so eine Leidenschaft. Natürlich freut sie sich aufs Lesen. «Meistens lese ich drei Bücher gleichzeitig. Eins in der Stube, eins im Schlafzimmer und eins in der Handtasche!»


Lieblingsbücher hat Monica Toth viele. Fünf ihrer Favoriten:

  • Das Lavendelzimmer, Nina George
  • Der Buchspazierer, Carsten Henn
  • Der erste letzte Tag, Sebastian Fitzek
  • Die Enkelin, Bernhard Schlink
  • Von hier bis zum Anfang, Chris Whitacker
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