Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 17. Juni 2022
Grossmütter und Grossväter spielen in der Schweiz eine wichtige Rolle in der Kinderbetreuung. Ein vierteiliger Kurs zeigt, wie dies für alle Seiten funktionieren kann.
Es war früher so einfach. Die Grosseltern waren pensioniert, wohnten in der Nähe oder gar im selben Haus und waren immer zur Stelle, wenn die Enkelkinder betreut werden mussten. Sie brachten die Kinder ins Bett, bekochten sie, schoben sie im Kinderwagen herum und wechselten die Windeln. «Gerade in der Schweiz übernehmen die Grosseltern einen enorm grossen Part der Kinderbetreuung», weiss Patrizia Luger, Kursleiterin «Starke Grosseltern – Starke Kinder». Sie erteilt regelmässig Kurse «Starke Eltern – Starke Kinder» und war nun erste Referentin des Kurses «Grosseltern im Wandel der Zeit» in Zollikon. «Wir wollen das auf jeden Fall wiederholen», erklärt Silvia Nigg begeistert. Die Sozialdiakonin der reformierten Kirche war nicht nur Veranstalterin, sondern ist selber auch Oma und kennt die Beziehungsfallen.
Für die Mütter in der Schweiz ist es schwierig. Die Kinder kommen oft erst mit vier Jahren in den Chindsgi und der endet am Mittag oft schon vor 12 Uhr. In dem Zeitraum einer Arbeit nachzugehen, ist fast unmöglich. Wer aber nicht vier lange Jahre warten, sondern schon vorher zurück in den Beruf will, hat es noch viel schwerer. Kinderbetreuung ist teuer. Oftmals lohnt es sich finanziell gar nicht, weil das Gehalt direkt an die Krippe überwiesen werden muss. Da kommen die Grosseltern ins Spiel. Aber im Gegensatz zu früher sind diese heute viel aktiver. Vielleicht sind sie selber noch im Job, oder sie wollen reisen, spielen regelmässig Tennis oder Golf, gehen am Abend gerne ins Theater oder setzen sich aufs Mountainbike.
«Da ich selber noch arbeite, sehe ich mein Enkelkind viel seltener als die andere Oma. Das macht mich manchmal schon neidisch», räumte Silvia Nigg ein. Durch den Kurs sei ihr aber klar geworden, dass der Vergleich nicht hilfreich ist. Vielmehr gehe es für sie darum, ihren eigenen Zugang zu dem Kind zu finden.
Wie der Zugang erfolgt, kann man sich als einfaches Bild vorstellen. In einem Haus wohnen oben die Grosseltern, in der Mitte die Eltern, unten die Enkelkinder. Die Beziehung zu den Enkelkindern führt somit immer über die Herzen der Eltern. Kinder seien ihren Eltern gegenüber loyal. Gibt es Probleme zum Beispiel zwischen Grossmutter und Schwiegertochter, hakt es auch in der Beziehung Oma/Enkel. Patrizia Luger vermittelte aber auch hilfreiche Inputs, um ein klares Verhältnis herzustellen: «Keine Ratschläge, wenn man nicht gefragt wird.» Hilfreich sei auch, über sich selber zu sprechen. Über die eigenen Bedürfnisse, Erwartungen, Hoffnungen. «Welche Rolle möchte ich als Grossmutter oder Grossvater überhaupt spielen?», war eine der Fragen, der sich die sieben Teilnehmer stellten.
Martin und Margrith Heuberger haben für sich eine Antwort gefunden. «Wir können das vermitteln, wozu die Eltern im Alltag vielleicht keine Zeit haben», sagte die Grossmutter. Das heisst: Die drei Enkelsöhne haben jassen und Schach spielen gelernt und gehen mit dem Opa fischen. «Wir können mehr Geduld aufbringen in unserer Rolle», erklärt Martin Heuberger. Er gibt aber auch unumwunden zu, dass diese manchmal auf eine harte Probe gestellt werde. «Drei Jungs sind oft laut. Manchmal zu laut», ergänzt Margrith Heuberger. Ihr ist auch wichtig, dass Erziehung im Elternhaus stattfindet, nicht bei den Grosseltern. «Wir bespassen die Jungs nur.» Bis zu dieser klaren Erkenntnis habe es schon einige Diskussionen rund um die Frage «Was soll ich und was muss ich?» gegeben.
Die Frage, die sich aufdrängt: Welche Regeln gelten? Oft haben Grosseltern ihre eigenen Vorstellungen zum Thema Süssigkeiten, Fernsehen, Schlafenszeiten. Patrizia Luger hat dazu ein klares Konzept: Kommen die Grosseltern zu den Enkeln ins Haus, gelten die Regel und die Werte der Eltern. Im Haus der Grosseltern haben sie selber das Sagen. Kurz: Der Gast muss sich anpassen.
Eine ganz bewusste Grossmutter ist Karin Wiederkehr. Sie hat ihre Tätigkeit im Kindergarten aufgegeben, als die Enkelkinder kamen, um sich intensiv um sie kümmern zu können – zur Freude der Töchter, die schnell wieder in den Beruf zurückkonnten.
So reibungslos läuft es nicht immer ab. «In den Kursen für Eltern kamen immer wieder die Grosseltern vor, und zwar als Herausforderung. Mit dem Angebot von ‹Kinderschutz Schweiz› sollen die Grosseltern die Möglichkeit haben, sich in ihrer Rolle zu reflektieren. Das ist die Motivation, den Kurs für Grosseltern anzubieten. Wir wollen auch mal die Grosseltern hören und deren Seite verstehen», erläutert Patrizia Luger. Diese Rolle ist oft nicht einfach. Auf der einen Seite möchten Grosseltern einen guten Draht zu den Enkeln haben, auf der anderen Seite aber keine regelmässige Verpflichtung eingehen, und sich so die neu gewonnene Freiheit im Alter selbst wieder beschneiden.
An den vier Abenden geht es unter anderem darum, die eigenen Werte und Bedürfnisse zu benennen, den Platz in der Familie zu finden und auch zu formulieren, was man an das Enkelkind weitergeben möchte.
So viele Konfliktsituationen oder Probleme auch angesprochen wurden: Alle Teilnehmer unterstrichen, wie wunderschön es sei, Enkel zu haben und an deren Leben teilnehmen zu dürfen. Das strahlte auch Marc Lebe aus. Sein Enkelkind ist gerade mal acht Wochen alt. «Ich habe den Kurs gemacht, um mich auf meine Rolle vorzubereiten. Werde ich dann mal gebraucht, bin ich parat.»
Der nächste Kurs für Grosseltern startet am Dienstag, 13. September, und läuft über vier Abende. Anmeldung und Infos unter silvia.nigg@ref-zollikon.ch.
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