Von Franca Siegfried ‒ 8. Dezember 2022
Der Ökonom Philipp Hildebrand kennt sich nicht nur in Vermögensverwaltung aus. Er will als Unternehmer wirken, er stellt sein Wissen den schönen Künsten zur Verfügung und lässt sich von vergangenen Hochkulturen faszinieren.
«Schon lange habe ich mit dem Gedanken gespielt, in Zollikon zu wohnen», sagt Philipp Hildebrand. Das Leben fühle sich gut an mit der Nähe zur Natur – Wald und See. Den Zolliker Weihnachtsmarkt habe er auch nicht verpasst. «Ich habe an den unterschiedlichsten Orten auf der Welt gelebt, doch was wir hier haben ist ein Privileg, das darf man nie vergessen.» Und von Zollikon ist er in wenigen Minuten in der Stadt. Philipp Hildebrand ist Vice Chairman bei BlackRock. Der weltweit grösste Vermögensverwalter hat auch einen Sitz an der Bahnhofstrasse in Zürich. Dort empfängt er den Zolliker Zumiker Boten. Die Räumlichkeiten sind schlicht, elegant, hell. Die Bescheidenheit überrascht für ein US-Unternehmen dieser Bedeutung im globalen Markt. Kunden sind Private und Institutionen, wie etwa Banken, Pensionskassen, Stiftungen, Versicherungen, Staatsfonds, Regierungen und Zentralbanken. Philipp Hildebrand ist Mitglied des globalen Exekutivkomitees: «Unsere Kunden sind zu rund 55 Prozent Pensionskassen», erklärt er. Das bedeutet für ihn eine volkswirtschaftliche Verantwortung, Gelder zu verwalten, die Menschen durch Arbeit und Engagement für ihre Pension anlegen. Mit dem Ökonomen über Geld zu diskutieren ist anregend. Geld als höchster Tauschhandel? Oder wird Geld nur noch zum Selbstzweck angehäuft? Mit Respekt erwähnt er die Generationen von Unternehmerinnen und Unternehmern, die mit ihren KMU den Wohlstand in der Schweiz gefestigt haben. «Geld und Reichtum müssen immer zuerst erschaffen werden, bevor es verteilt werden kann. Das sollten wir uns stets bewusst sein, zu oft gerät es in Vergessenheit», warnt er. «Wir befinden uns in einem weltweiten Wandel.» Nichts, was in der Vergangenheit funktionierte, werde in Zukunft von gleicher Bedeutung sein. Er spricht von den hochgejubelten Technologiegiganten, welche langsam ihren Glanz verlieren. Noch sei unklar, wie sich die Innovation der künstlichen Intelligenz auf soziale Strukturen und insbesondere auf Familien auswirken werde. «In der Schweiz leben wir privilegiert, aber wir dürfen den Bezug zur realen Wirtschaft nicht verlieren.» Sorgen bereiten ihm der Klimawandel und die Natur, die so stark unter Druck kommt. Vor acht Jahren hat er mit zwei Partnern das Unternehmen Blausee im Berner Oberland gekauft – traumhafter Natursee, Hotel und Bio-Forellenzucht. «Manche bezeichnen den Blausee auch als Kraftort. Einige Tage am See ausspannen, das gelingt wirklich. Und wir sind einer der grössten Arbeitgeber im Kandertal.» Ein Umweltskandal bzw. tote Forellen haben diese heile Welt getrübt. In einem nahen Steinbruch sollen Materialien aus dem Lötschbergtunnel lagern, dessen Sickerwasser die Forellen vergiftet hätten, lautet eine These. Noch liegen die Untersuchungen beim Staatsanwalt. Philipp Hildebrand ist zuversichtlich, dass dieser letztlich Klarheit schaffen werde.
Lokales Denken und heimatliche Wurzeln vertragen sich durchaus mit einer internationalen Karriere; das hat ihm sein Vater vorgelebt. Philipp Hildebrand hat die ersten Jahre in Rüfenacht im Berner Mittelland verbracht, nach dem Kindergarten ist die Familie nach Volketswil gezogen. Dort lernte er bei einer Nachbarin aus Südafrika Englisch. Sportlich erntete er erste Lorbeeren als schnellster Volketswiler beim Schülerschwimmen. Die Trainer des Schwimmclubs erkannten sein Talent und er landete in der Schweizer Nationalmannschaft – und bedauert heute noch, dass er eine Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen 1984 um wenige Zehntelsekunden verpasste. Ende der 1970er-Jahre packten Hildebrands die Koffer. Der Vater wurde für einen amerikanischen Konzern in die USA geschickt. Die Familie hielt fest, dass es kein definitives Auswandern sei. Die Nähe zur Schweiz haben sie nie verloren – in den Ferien reisten sie ins Berner Oberland oder nach Davos. Mit Jahrgang 1963 erlebte er noch kein Bologna mit der Harmonisierung der akademischen Bildung, internationaler Mobilität und einer transnationalen Hochschulreform. Die Planung einer transnationalen Bildung benötigte damals einen persönlichen Effort. Eine Anekdote dazu: «Meine amerikanischen Abschlüsse galten in der Schweiz nicht für die Zulassung an einer Universität. Da gestattete mir der Rektor der Kantonsschule Stadelhofen zwei Jahre bis zur Maturitätsprüfung. Studieren in Kanada, Genf, Italien und England. Sein Bildungswettlauf endete letztlich in England. In Oxford, der ältesten Universität der englischsprachigen Welt, schrieb er seine Promotion.
Beim World Economic Forum (WEF) in Genf startete er die berufliche Karriere. Mit der Faszination und zugleich Last als Persönlichkeit von öffentlichem Interesse erlebte er die Zeit als Präsident der Schweizerischen Nationalbank. Dort lernte er vor fast zwanzig Jahren bei einem Vortrag den Gastro-Unternehmer Rudi Bindella kennen. Seither verbindet die beiden nicht nur ein Interesse an der Wirtschaft, sondern es entwickelte sich eine Freundschaft. «Bei einem Mittagessen auf einem Weingut in der Toskana haben wir kürzlich beschlossen, zusammen ein Restaurant zu eröffnen», sagt Philipp Hildebrand. Im Zunfthaus zur Saffran wurde das Lokal ausgeschrieben – seit September hat das neue Ristorante Zafferano geöffnet. Im gleichen Monat publizierte das Kulturmagazin DU eine Ausgabe über Rudi Bindella: «Bindellas Liebe zu Italien.»
Auch Philipp Hildebrand besitzt im Herzen der Toskana ein Weingut. Auf den Flaschenetiketten der Tenuta Vergaia steht: «Unser Wein ist meinen drei Töchtern gewidmet. Der reichen Erde der Toskana entsprungen, hallt in seinem Aroma die antike Kultur der Etrusker, die schon vor fast dreitausend Jahren die Stärke, Bedeutung und Schönheit der Frauen zelebrierten.» Das Logo auf der Etikette stammt von einem Amulett der Etrusker, welches im British Museum in London zu bewundern ist. Dort hat ihn der Premierminister in das «Board of Trustees» berufen. «Das Museum besitzt mehr als sechs Millionen Objekte. Vor der Pandemie haben jährlich sieben Millionen Interessierte das Museum besucht.» In Zürich wurde er diesen Sommer zum Präsidenten der Kunsthausgesellschaft gewählt. Eine professionelle Aufarbeitung von Fragen zur Herkunft der Sammlung hat er sich als oberstes Ziel gesetzt. Darüber hinaus gefällt ihm der Gedanke, dass das Zürcher Museum nicht nur ein Hort der Kunst sein soll. Diesen Anspruch hat Architekt David Chipperfield im neuen Kunsthaus umgesetzt. Das grosse Foyer ist für Anlässe konzipiert und ein Café lockt Menschen in das Haus. David Chipperfield und Philipp Hildebrand wohnten in London an der gleichen Strasse. «David Chipperfield sagte mir vor Jahren, dass wir nebst dem Buckingham Palast an Londons einzigem Boulevard leben. London ist eine Megacity, durchzogen von kleinen Strassen.» Zum Schluss des Gesprächs setzt sich Philipp Hildebrand für ein Foto auf die Fensterbank. An den Wänden hängen Kunstwerke der Fotografie. Er schaut sich das Foto vom Matterhorn an und meint beiläufig: «Diesen Berg habe ich einst selber bestiegen.» Da ist sie wieder, diese Bescheidenheit – auch beim Vice Chairman.
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