Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 12. Januar 2023
In Zumikon trifft man sich gern im Schwäntenmos – besonders zwischen den Jahren.
Der letzte Freitag vor dem Jahreswechsel. Roger Schmuki öffnet pünktlich um 14 Uhr die Schranke vor der Altstoffsammelstelle am Rande von Zumikon, und sofort rollen die Autos auf den Hof. Per Knopfdruck oder manuell werden synchron die Kofferräume geöffnet, und dann werden die Container mit Papier und Karton, mit Glas und Plastik, mit Aludosen und Kaffeekapseln gefüttert. Die Woche zwischen den Jahren ist traditionell viel los im Schwäntenmos. «Die Leute haben Ferien und die Zeit dazu. Und natürlich hat sich über die Feiertage so einiges angesammelt», weiss Rolf Aebersold, Betriebsleiter der für die Entsorgung zuständigen J. Grimm AG. Vielleicht ist es auch einfach der Wunsch, das neue Jahr ordentlich und ohne Altlasten zu beginnen. Wie ein weisses Blatt Papier.
Ein Blick in die Autos erzählt viel. Da gibt es solche, die das Altpapier säuberlich gestapelt und zusammengebunden haben. Und da gibt es jene, die die leeren Apfelsaftflaschen aus allen Ecken des Wagens zusammenklauben müssen. Da gibt es SUVs bis unter das Dach befüllt, und es gibt Leute, die mit einem kleinen Korb zu Fuss kommen.
Es werde mehr, Jahr für Jahr, sagt Rolf Aebersold. Weniger Papier, mehr Karton. Briefe sind durch Mail und SMS ersetzt worden, die Tageszeitung kommt nicht mehr gedruckt, sondern online ins Haus. Der Karton-Container jedoch hat viel zu verdauen heute. Schon vor Corona sei ausgiebig via Onlineshopping bestellt worden. Während der Pandemie dann noch mehr. Viele sind beim bequemen Shopping am Bildschirm geblieben. Keine Parkplatzsuche, kein Gedränge im Warenhaus, kein Schweissausbruch in der dicken Winterjacke in übervollen Geschäften. Auch das Bezahlen ist ein Kinderspiel und geht einiges leichter von der Hand, als die blauen Noten aus dem Portemonnaie zu ziehen.
Beim Elektroschrott stapelt sich die Ware ebenso. Computermonitore, Fernsehgeräte, Drucker, Laptops. «Vieles könnte vielleicht noch repariert werden, aber es lohnt sich nicht», kommentiert Rolf Aebersold. Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft, in der neue Ware günstig und schnell zur Hand ist. Das alte Sofa – zwar noch gut erhalten – hat es schwer und ist es auch. Wer packt mit an?
Immerhin gibt es die Stöberecke – für einige aussortierte Gegenstände die zweite Chance. Allerdings: Einen Hoffnungslauf für Elektroware gibt es nicht. Das ist gesetzlich verboten. Alles, was einen Stecker hat – und sei es die Stehlampe oder das Bügeleisen – darf nicht weitergegeben werden. Aber Bücher stehen hier. Wer sich für den Ratgeber «Frauensprache – Männersprache» interessiert, wird fündig. Dicke Romane, leichte Lektüre und Bildbände warten auf Neugierige. Alle sechs Monate leert Roger Schmuki die Regale und füllt nach und nach neu auf. Er ist seit 13 Jahren bei Grimm und von Stunde Null an bei der Sammelstelle Schwäntenmos. Mit stoischer Ruhe ist er überall zur Stelle. Er hilft beim schweren Sperrmüll, packt an bei den grossen Kartons (ohne darum gebeten zu sein) und kassiert die Gebühren des Sperrmülls. Das geht ganz modern auch mit Karte oder Twint. Anfangs habe er sich manchmal gewundert, was die Leute so alles wegwerfen. Mittlerweile nicht mehr. Er hilft einfach, alles richtig zu sortieren.
Wollte man früher einen Schwatz halten oder Bekannte treffen, ging man vielleicht in die Beiz. Heutzutage fährt man am Samstagvormittag zum Schwäntenmos und kann sicher sein, früher oder später auf bekannte Gesichter zu treffen. Das ist das «Meet und Greet» von Zumikon. Da wird vor dem Altpapiercontainer gewitzelt, und an der PET-Station ertönt ein «Gruss an die Familie». Rolf Aebersold schmunzelt. «Ich weiss gar nicht, warum die Leute sich hier nicht in einem Café treffen.» Immerhin ist es nun viel entspannter. An der alten Sammelstelle kämpften viel zu grosse SUVs um viel zu kleine Plätze. Dann wurde die Parkordnung oft individuell neu definiert und die eidgenössische Ruhe auf manch harte Geduldsprobe gestellt.
Um 18 Uhr senkt sich heute die Schranke vor der Sammelstelle. Der Karton-Container dürfte satt geworden sein. Und muss einer in der Nacht mal aufstossen, war es wohl ein Zalando-Paket, das vor Glück geschrien hat.
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