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Brücke zwischen Überfluss und Armut

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 16. Februar 2023

Unermüdlich sammelt die «Schweizer Tafel» Lebensmittel und bringt sie in soziale Einrichtungen. Ein Plädoyer gegen Foodwaste.

Sandra Keller (l.) und Nina Lindberg stellten den interessierten Senioren und Seniorinnen die Arbeit der «Schweizer Tafel» vor. (Bild: bms)
Sandra Keller (l.) und Nina Lindberg stellten den interessierten Senioren und Seniorinnen die Arbeit der «Schweizer Tafel» vor. (Bild: bms)

Die «Schweizer Tafel» sammelt täglich über 24 Tonnen einwandfreie, überschüssige Lebensmittel im Detailhandel ein und verteilt sie kostenlos an 500 soziale Institutionen wie Obdachlosenheime, Gassenküchen, Notunterkünfte, Frauenhäuser. Das sind im Jahr mehr als 6000 Tonnen einwandfreie Lebensmittel, die ansonsten weggeschmissen würden. Das ist jedoch nur ein Tropfen auf den heissen Stein, da immer mehr Lebensmittel weggeworfen werden. Der grösste Anteil fällt zu Hause bei den Konsumenten an. Brot, das alt und hart geworden ist. Schimmelschichten auf dem Joghurt, oder nur Zweifel, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist.

Mit diesen erschreckenden Zahlen waren vergangenen Donnerstag die Zollikerin Nina Lindberg und Sandra Keller zu Gast beim Seniorennachmittag der reformierten Kirche. Beide engagieren sich im Vorstand des Gönnervereins «Schweizer Tafel». Alle Akteure der Lebensmittelkette verursachen zusammen 2,8 Millionen Tonnen Foodwaste in der Schweiz. Zwei Drittel wären zum Zeitpunkt der Entsorgung noch geniessbar. Der jährliche Verlust beträgt damit 330 Kilogramm pro Person. 63 Prozent der verschwendeten Lebensmittel stammen aus Privathaushalten und der Gastronomie, rund 37 Prozent aus Handel und Verarbeitung. Da setzt die «Schweizer Tafel» an.

Unermüdlich arbeiten freiwillige Helferinnen und Helfer, um die geretteten Lebensmittel an die Institutionen zu liefern. Ehrenamtliche Hände sind immer gefragt – ob als Fahrerin oder Packer. Jeden Morgen fahren die Kühltransporter zu den Supermärkten und bringen die Waren dorthin, wo sie verwendet werden. «Wir liefern nicht an Privatpersonen», unterstrich Sandra Keller. Zu den Institutionen zählen die ­Sozialwerke Pfarrer Sieber, die Heilsarmee, Tischlein deck dich oder der Verein Incontro.

Schere zwischen Arm und Reich

In der Schweiz lebten im Jahr 2020 rund 722 000 Menschen unter der Armutsgrenze. Die Schere geht immer weiter auseinander. Wohlhabende Menschen häufen Reichtum an, der Anteil der Bedürftigen wächst – auch durch Corona, Energiekrise und Inflation. «Jede sechste Person ist mittlerweile von Armut bedroht», wusste Nina Lindberg. Ziel der Tafel ist es, eine Brücke zu schlagen vom Überfluss zum Mangel.

Die Idee, in der Schweiz überschüssige Lebensmittel an armutsbetroffene Personen zu verteilen, hatte Yvonne Kurzmeyer im Jahr 2001. «Ich habe damals im Fernsehen eine Reportage über die Organisation City Harvest in New York gesehen, die Lebensmittel an Obdachlose verteilt. Das hat mich inspiriert. Im Internet bin ich auf die Deutschen Tafeln gestossen – das Konzept überzeugte. Ich habe diese Idee übernommen und auf die Schweiz angepasst», so Yvonne Kurzmeyer. «Das Thema Armut war damals in der Schweiz noch ein Tabu. Es war schwierig, den Leuten klarzumachen, dass es auch bei uns in der reichen Schweiz arme Menschen gibt. Ich wollte mich hier engagieren, denn es gibt nicht nur in Entwicklungsländern viele arme Mitmenschen, die dringend Hilfe benötigen. Auch vor unserer eigenen Haustüre ist der Bedarf an ­Unterstützung gross. Mit der «Schweizer Tafel» war es möglich, direkt nachzuverfolgen, wo und bei welchen Menschen mein Geld und meine Hilfe ankommen.»

Natürlich waren die beiden Referentinnen auch gekommen, um Spenden und Sponsoren für die gute Sache zu gewinnen. «Als ich auf der Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung war, habe ich die Tafel für mich entdeckt und en­gagiere mich da wirklich gerne», betonte Nina Lindberg, Hauptverantwortliche für den jährlichen Suppentag, der in Zürich auf dem Paradeplatz angeboten wird. Die beiden Frauen plädierten auch gegen die Verschwendung. Mittlerweile gibt es Lebensmittel-Labels mit der Aufschrift «hält oft länger». Das Mindesthaltbarkeitsdatum soll also nicht überbewertet werden. Sandra Keller: «Schauen Sie sich das Joghurt an. Riechen Sie daran. Probieren sie es. In den allermeisten Fällen ist es noch gut, auch wenn es vielleicht seit drei Tagen abgelaufen ist.»

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