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Tüfteln, Erfinden, Lernen

Von Franca Siegfried ‒ 1. Juni 2023

Lucie Rejman hat das «Student Project House» an der ETH aufgebaut. Einen Ort ohne Erfolgszwang und Kreditpunkte. Hier darf ausprobiert werden. Aktueller Stand sind 286 Projekte – mittendrin die Zumikerin.

Lucie Rejman leitet das «Student Project House» an der ETH. In der ehemaligen Heizzentrale lassen Studierende von 16 Departements ihren Ideen freien Lauf. (Bild: fs)
Lucie Rejman leitet das «Student Project House» an der ETH. In der ehemaligen Heizzentrale lassen Studierende von 16 Departements ihren Ideen freien Lauf. (Bild: fs)

«Schoggi hani gärn», sagt Lucie Rejman. Ein kurzer Satz, desto spannender ist die Geschichte dahinter. Sie hat in Zürich an der ETH Lebensmittelwissenschaften studiert. Ein halbes Jahr absolvierte sie ein Praktikum in Shanghai beim internationalen Aromen- und Duftstoffhersteller Firmenich. Das Unternehmen mit Schweizer Wurzeln ist weltweit die Nummer zwei der Branche. Ein Praktikum führte sie nach Bangalore in Indien in die Zweigniederlassung der Schweizer Firma Bühler für Lebensmittel­technologie. Nach dem Abschluss schrieb sie an der ETH eine Doktorarbeit über eine verfeinerte Methode zur Herstellung von Schokolade. Zehn Firmen in der Schweiz waren an ihrem Projekt beteiligt: «Es geht um das Abkühlverhalten der Schokoladenmasse und um einen nachhaltigeren Verfestigungsprozess», erklärt die 39-Jährige.

Seit zwei Jahren lebt sie mit ihrem Partner in Zumikon in der Überbauung Seldwyla. Sie fühlt sich gut aufgehoben in dem «urbanen Dorf», das Werk von sechs experimentierfreudigen Architekten Ende der 1960er-Jahre. In den letzten Wochen verliess Lucie Rejman am Morgen in Velokleidung und Helm ihr Zuhause – Kleid oder Jeans im Rucksack: «Bike to Work, in 45 Minuten bin ich an der Clausiusstrasse. Der Heimweg hingegen dauert einiges länger.»

Wie wir lernen

Gemeinsam mit der ehemaligen ETH-Rektorin Sarah Springman und dem aktuellen Rektor Günther Dissertori hat sie vor drei Jahren in die gigantische Halle der Heizzentrale das «Student Project House» gebaut. Das Konzept tönt simpel, die Gedanken dazu sind jedoch überraschend: Wie lernen wir besonders kreativ – etwa so wie in unserer Kindheit? Was macht uns glücklich? Die Welt entdecken durch ausprobieren im «Safe-Space» – ohne Erfolgszwang und ohne Konsequenzen. Lucie Rejman: «Mutig sein, spielerisch, nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit den Händen denken. Erfahrungen sammeln ohne Kreditpunkte für das Studium.» Auf insgesamt fünf Stockwerken treffen sich Studierende von 16 Departements und lassen ihren Ideen freien Lauf. Kreativität als Fähigkeit, alles neu zu denken, Methoden und Dinge zu entwickeln. Werkstatt, Arbeitsplätze, Diskussionsecken, Küche, ein Arsenal an 3D-Druckern, Laser Cutter, Werkzeug, Maschinen, auch Näh- und Stickmaschinen – vieles mehr. Zum Tüfteln und Erfinden gehört das Scheitern, daraus Lernen, es besser machen. Lucie Rejman: «Ich bin von 286 Projekten umgeben.» Zusammen mit 27 Mitarbeitenden betreut sie als Leiterin das Project House, das kräftig wächst. «Es ist eine Geburtsstätte für Ideen», sagt sie lachend. Sie kann stolz sein, die Erfolge sind vielversprechend: Etwa der intelligente Blindenstock oder «Vertical Farming» als Landwirtschaft in Hallen. Eine Studentin konnte einen jungen Bauern aus Schlieren für den Anbau von ­Kichererbsen überzeugen. Das pflanzliche Protein für Hummus, Falafel und Burger ist jetzt auf dem Schweizer Markt als lokales Produkt erhältlich. Lucie Rejman wünscht, in naher Zukunft einen weiteren Raum für «Food Makers» zu entwickeln. Dafür müssen ­Apparaturen angeschafft werden, beispielsweise ein Extruder, das Fördergerät für dickflüssige Massen, damit das Fake-Chicken auch die perfekte Bissfestigkeit bekommt. Das Interesse der Wissenschaftlerin an Ernährung ist auch ein persönliches. Sie beschäftigt sich mit Ayurveda, fragt sich, wie sie ihrem Körper helfen kann, gesund zu bleiben.

Von der Tuba zum Alphorn

Aufgewachsen ist Lucie Rejman im Stadtzürcher Quartier Wipkingen unweit vom Waidspital. Im Gymnasium Rämibühl und an der Kantonsschule Hottingen war sie als Schülerin unterwegs. Im Musikunterricht übte sie fleissig Tuba. Das tiefste aller Blechblasinstrumente bringt zehn Kilo auf die Waage, also auch eine körperliche Herausforderung. «Als wir in einem Schüleraustausch nach China reisten, erwartete das Gastgeberland ein Alphorn. Also lernte ich noch Alphorn.» Sie beschreibt, wie sie vor einem riesigen Publikum, mindestens 1000 Chinesinnen und Chinesen, ihr Alphorn spielte. Und wie sie sich einen Arbeitsplatz gesucht hat, der ihrem Naturell entspricht: ihrer Leichtigkeit, der Lust auf ­Experimente, Neues Lernen, Humor – zu dem auch das Alphornblasen gehört. Wer in der Halle an der Clausiusstrasse die jungen Menschen beobachtet, wie sie zusammen oder einzeln werkeln, mit Spannung vor dem 3D-Drucker stehen und warten, diskutieren, fühlt sich selber inspiriert von dieser Atmosphäre. Ein Grund, warum sich Lucie Rejman am Morgen gerne aufs Velo schwingt und ins Zentrum fährt. Es ist nicht nur die Schokolade, die sie gerne isst, die sie glücklich macht, sondern auch zu erleben, wie die jungen Menschen ihre Zukunft, die Welt und sich selber entdecken – und an sich und ihre Ideen glauben.

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