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Vielschichtig wie Asphalt

Von Joël J. Meyer ‒ 15. Juni 2023

Die Zolliker Wissenschaftlerin Lily Poulikakos hat sich über Jahrzehnte der Asphaltforschung gewidmet. Kurz vor dem Ruhestand blickt sie auf ein erfülltes Leben zurück.

Mit Druckaufbau, verschiedenen Temperaturen und Vibrationsfrequenzen testet Lily Poulikakos die Langzeitbelastung von Asphaltmischungen. (Bild: jjm)
Mit Druckaufbau, verschiedenen Temperaturen und Vibrationsfrequenzen testet Lily Poulikakos die Langzeitbelastung von Asphaltmischungen. (Bild: jjm)

Begriffe wie Nachhaltigkeit und Ökologie beschäftigen die Schweiz wie nie zuvor. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung und mit ihr ein immenses ­Mobilitätsbedürfnis. Ohne ein leistungsfähiges Strassennetz wäre die moderne Gesellschaft undenkbar, abertausende Kilometer von ­Asphalt durchziehen auch idyllische Landschaften. Aus diesem ­Widerspruch konkrete Lösungen zu entwickeln ist Lily Poulikakos’ Beruf und Leidenschaft. Die in Zollikon wohnhafte Wissenschaftlerin arbeitet seit über 20 Jahren an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf, wo sie Asphalt nicht nur widerstandsfähiger, sondern auch nachhaltiger macht.

Internationale Akademikerin

Die gebürtige Iranerin kam 1958 zur Welt und emigrierte mit 17 Jahren allein in die Vereinigten Staaten. «Meine Eltern hatten beide in Europa studiert und wollten auch mir ein Studium im Ausland ermöglichen.» So kam sie nach Boulder in Colorado, wo sie den Bachelor in Bauingenieurwesen absolvierte. An jener Universität lernte sie ihren Ehemann griechischer Abstammung kennen. 1983 heirateten sie und lebten später mit ihren drei Kindern in Chicago. 1995 schloss sie ihr Masterstudium als Bauingenieurin ab, ein Jahr später zog die Familie nach Zürich; ihr Mann wurde Professor an der ETH.

Kurz vor der Jahrtausendwende ­zogen sie nach Zollikon. Ereignisreiche Jahre für die Familie mit den vielen Veränderungen, dazu mit jungen Kindern. «Doch es war ein guter Schritt.» Auch Lily Poulikakos bekam eine Stelle an der ETH, ab 1998 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Mechanische Systeme. Ein Forschungsprojekt im Bereich Viskoelastizität führte sie 2001 zur Empa. Den ­Doktortitel der ETH für ihre Forschungsarbeit an porösem Asphalt erhielt sie 2011.

Stein und Bindestoff

Mit über zwei Jahrzehnten Erfahrung ist Lily Poulikakos eine Koryphäe auf dem Gebiet der Asphaltforschung. Wer glaubt, Asphalt sei eine simple Sache irrt sich. Grundsätzlich lässt er sich auf eine Mischung aus Steinen und Bindestoff reduzieren, doch die Komplexität liegt woanders: «Es sind nur zwei Komponenten, aber je nachdem, wie man diese zusammenstellt, ergibt sich ein völlig anderes Material.» Dass Strassenbeläge möglichst dauerhaft sein sollen, ist klar. Doch was passiert am Ende? Die Wiederverwertung ist ein wichtiges Projekt von Lily Poulikakos; sie will einen möglichst geschlossenen Kreislauf beim Abbruch und Neubau von Strassen realisieren.

Bei der Zusammenstellung von Asphalt lässt sich vieles nachhaltig machen. «Ich versuche neue, alternative Materialien zu verwenden, etwa Abfallprodukte wie ausgediente Autoreifen.» Aus diesen lässt sich ein Gummigranulat gewinnen, dass sich für die Asphaltproduk­tion gut eignet. Auch kann Bauschutt anstelle von Steinen verwendet werden. Neu ist zudem, Metallpartikel in die Mischung zu fügen, um beschädigte Beläge durch Erhitzung reparieren zu können; das Metall schmilzt und versiegelt Risse. Die Erhitzung auf 160 Grad beim Asphaltieren ist energieintensiv. Deshalb experimentiert die Gruppe an der Empa mit sogenannten Warm- und Kaltbelägen, die aufgrund besonderer Zusatzstoffe und Anwendungsmethoden weniger Wärme bedürfen.

Forschung an leiseren Belägen

Nicht zuletzt versucht sie ein weiteres Asphaltproblem zu lösen: «Lärm ist eine grosse Belastung für die Gesellschaft.» Die Lärmemissionen des Verkehrs belasten unzählige Menschen. Zentral für leisere Strassenbeläge ist auch hier die Zusammenstellung des Asphalts. Hier wird mit porösen Materialien experimentiert, mit mehr und grösseren Hohlräumen. Diese sind sie jedoch anfälliger auf andere Umwelteinflüsse, was wiederum auf Kosten der Dauer­haftigkeit geht. Am sinnvollsten sei, das Problem ganzheitlich anzugehen und lärmarme Autoreifen, Lärmwände und Fensterisolationen miteinzubeziehen.

Lily Poulikakos arbeitet nicht nur im Labor, sondern betreut viele Projekte wie das eben genannte. Ihr grösster Auftraggeber und Partner ist das Bundesamt für Strassen. Sie stellt Anträge für Forschungsprojekte, die sie anschliessend betreut, arbeitet zusammen mit dem Schweizer Nationalfonds, der die Grundlagenforschung fördert und sie bei ihren Projekten unterstützt. «Insgesamt bietet die Wissenschaft interessante Lösungen, doch die Schweiz ist im internationalen ­Vergleich eher zurückhaltend, was die Umsetzung anbelangt.» Die ­Alt­reifen, die als Gummigranulat in Frage kämen, werden in der Schweiz für die industrielle Wärmegewinnung verbrannt.

Glücklich in Zollikon

An Visionen und Projekten fehlt es ihr nicht, eher im Gegenteil: «Es gibt noch viel zu tun.» Aber Ende Dezember wird sie pensioniert. Ganz verabschieden von ihrem ­Lebenswerk wird sie sich nicht. Als Mitglied diverser Begleitkommissionen wird sie weiterhin Projekte unterstützen. Auch bleibe sie bis auf weiteres als Redaktorin für das Wissenschaftliche Fachmagazin «Construction and Building Materials» tätig. Doch sie freut sich darauf, mehr Zeit für anderes im ­Leben zu haben, für Fitness und Skifahren. Fürs Malen, am liebsten impressionistisch. Kürzlich entdeckte sie an einem Kurs im Ornithologischen Verein Zollikon ihre Begeisterung für Vögel.

Mit ihrem Mann, der kurz nach ihr in Ruhestand geht, freut sie sich auf mehr Familienzeit. Auf internationale Besuche in Griechenland, dann in San Diego, wo ihre Tochter als Professorin im Bereich nanooptische Materialien arbeitet. Ihre Söhne sind näher; einer doktorierte in Rechtswissenschaften an der Uni Zürich, der andere arbeitet nach abgeschlossenem Architekturstudium an der ETH. «Wir geniessen es sehr, in Zollikon zu leben.» Nach einer beeindruckenden Karriere schaut sie zuversichtlich in die Zukunft, langweilig wird es ihr mit ihrem reichen Lebensinhalt bestimmt nicht. Eine gute Strasse besteht eben aus mehreren Schichten, so wie das Leben. Auf die Wissenschaft der genauen Zusammenstellung kommt es an.

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