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Zollikon im Sommer 1969

Von Joël J. Meyer ‒ 20. Juli 2023

Als wir uns in der Redaktion Gedanken zur Sommerserie 2023 machten, hatten wir einen Ohrwurm im Kopf: «Summer of 69» von Bryan Adams aus dem Jahr 1984. Es ist tatsächlich schon 39 Jahre her, seit der Song veröffentlicht wurde. Schön ist er noch immer, heisst es da doch: «Dieser Sommer schien ewig zu dauern, und wenn ich die Wahl hätte, ich würde immer dort sein wollen, das waren die besten Tage meines Lebens.»

Was waren die grossen Zolliker und Zumiker ­Momente im Sommer 1969, 1979 und 1989? Wir haben für Sie in unseren alten Ausgaben geblättert und staunten oftmals: Viele Diskussionen begleiten uns schon seit Jahrzehnten, einiges hat sich verändert und anderes war früher wohl wirklich besser – vielleicht auch nur, weil wir selbst noch jünger waren.

Kommen Sie mit uns auf diese Zeitreise. Wir beginnen im Jahr 1969: Worüber wurde in Zollikon vor
54 Jahren diskutiert?

Aufhebung Geschlechter­trennung im Seebad

Im Sommer 1969 wurde versuchsweise die letzte Geschlechtertrennung im Seebad Zollikon aufgehoben – aus Platzmangel.

Das Seebad Zollikon mit seiner Nord- und Südseite; mit der Zweiteilung wurde die Geschlechtertrennung architektonisch berücksichtig. (Bild: Archiv)
Das Seebad Zollikon mit seiner Nord- und Südseite; mit der Zweiteilung wurde die Geschlechtertrennung architektonisch berücksichtig. (Bild: Archiv)

Auf der Titelseite der Ausgabe vom 13. Juni 1969 informiert der Vorstand der «Freisinnigen Partei Zollikon» darüber, «beim Gemeinderat einen Vorstoss zu unternehmen, um eine Aufhebung der Geschlechtertrennung im Seebad Zollikon zu erreichen». Dies anlässlich eines Vorschlags ihrer ­parteiinternen «Arbeitsgruppe für Schwimmbäderfragen» – offensichtlich brauchte es dazumal für diese Frage ein eigenständiges ­Komitee. Die Begründung für die Aufhebung der Trennung war angeblich rein wirtschaftlicher Natur, denn damit «liesse sich ohne Kosten eine Verdoppelung der Kapa­zität des reizvoll gelegenen und sehr stark benützten Gemeindebades erzielen.»

Genauer gesagt ging es um die Südseite des Seebads, die nördliche Seite stand bereits beiden Geschlechtern zur Verfügung: «Dem bis anhin gerechtfertigten Wunsche vieler Frauen, im Bade eine eigene Abteilung zu haben, steht der Platzmangel in der anderen ­Abteilung gegenüber.» Offenbar überzeugte die Argumentation der Freisinnigen, denn in der Ausgabe vom 8. August wurde die Aufhebung der Geschlechtertrennung publiziert – als Versuch. Einschränkend wurde der südliche Teil zur Ruhezone ­erklärt, «in der vor allem Spielen und Lärmen, Umherspringen und andere Störungen untersagt sind». Ansonsten blieb der Vorstoss konservativ: «Getrennte Garderoben für Frauen und Männer aber sind weiterhin notwendig.»


Unfug von Dilettanten

Der Zollikerberg wurde 1969 durch eine grauenhafte Theatergruppe heimgesucht – wenn man dem Leserbrief Glauben schenkt.

Dass Leserbriefe früher schon kritisch formuliert wurden, offenbart ein Meinungsbeitrag von MW. Er (oder sie) beschwert sich ausführlich über das Theaterstück «Bitterer Honig», welches am Montagabend, 2. Juni 1969, im Kirchgemeindehaus Zollikerberg «glücklicherweise wenigen Zuschauern zugemutet wurde». Das Stück, gespielt vom Modernen Theater Glarus, «spottet wirklich jeder Beschreibung». Bereits zu Beginn entstanden Probleme, als die Spielertruppe eine halbe Stunde zu spät erschien, und «was dann schliesslich geboten wurde, war in mehrfacher Hinsicht ein kleiner Skandal».

Erstens sei der Abend eine Beleidigung der eigentlichen Autorin, ­Shelagh Delaney, deren Werk «einer Gruppe von Dilettanten in die ­Hände geraten ist, die das gute Stück völlig vergewaltigte». Es ist die Rede von Mitwirkenden, die keine Ahnung von Theater haben, am allerwenigsten der Regisseur. «Zweitens war der Abend eine Beleidigung eines Publikums, welches für so dumm gehalten wird, sich einen derartigen Pfusch gefallen zu lassen und obendrein bis zu 10 Franken Eintritt zu bezahlen.» Dem Regisseur wird Unverfrorenheit und Schwindel vorgeworfen. «Drittens war der Abend eine Beleidigung jeder ernsthaften Laiengruppe sowie der vielen Kleintheater.»

Ob das Theaterstück tatsächlich so bitter wie diese Rezension war und es dem Publikum im Saal ebenfalls wie MW erging, ist unbekannt. Vielleicht hatte MW sich zurecht echauffiert, vielleicht war die Kritik selbst skandalös. Jedenfalls ist es gut möglich, dass der Unterhaltungsgrad dieses Leserbriefs den des eigentlichen Stücks weit überstiegen hat.


Stimmrecht für Zollikerinnen

Bei der politischen Partizipation beginnt vieles im Kleinen. So nahm 1969 auch die Abstimmung für das Frauenstimmrecht zuerst auf Gemeindeebene ihren Lauf.

«Ein Bravo den braven Zolliker Männern, die ihre Gattinnen letzten Sonntag für mündig erklärten. Ein Bravo aber auch den Gattinnen, die viele erst dazu bringen mussten», schrieb Chefredaktor Hansjürg Briggen im Editorial vom 19. September 1969. Am Urnengang vom Sonntag 14. September haben die Zürcher Bürger der «Verfassungsvorlage über die Ermäch­tigung zur Einführung des Frauenstimmrechts in Gemeindeanliegen» grossmehrheitlich zugestimmt. ­Unter allen Gemeinden, welche die Vorlage annahmen, stand die Gemeinde Zollikon mit 74,8 Prozent Ja-Stimmen an der Spitze.

Das eigentliche Frauenstimmrecht könne jedoch nur durch eine Abänderung der Gemeindeordnung eingeführt werden, was wiederum einen Urnengang voraussetze, schrieb der damalige Gemeinderat. Dieser fand am 30. November 1969 statt, das «Frauenstimm- und Wahlrecht in Angelegenheiten der politischen Gemeinde» wurde mit 81,6 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Die Stimmberechtigung auf Gemeindeebene wurde 1969 erkämpft, der Auftakt zur Abstimmung vom 7. Februar 1971 zur Einführung des allgemeinen Frauenstimmrechts war damit klar gegeben – mithilfe der braven Männer und deren Gattinnen.


Frust am Feldschiessen

Zu viele Scheiben, zu wenig Schützen. Der Schützenverein Zollikon war mit seiner Teilnahme am Feldschiessen 1969 unzufrieden – heute sähe das wohl anders aus.

Das Schützenhaus auf dem ehemaligen Schiessplatz Rehalp um 1939. Der letzte Gewehrschuss auf 300 Meter fiel 1995. (Bild: ETH-Archiv)
Das Schützenhaus auf dem ehemaligen Schiessplatz Rehalp um 1939. Der letzte Gewehrschuss auf 300 Meter fiel 1995. (Bild: ETH-Archiv)

Der Frühsommer 1969 begann mit einem Ärgernis: «Der Schützen­verein Zollikon als Organisator auf dem Schiessplatz Rehalp wurde in seinen Bemühungen enttäuscht, mindestens 200 Zolliker Schützen auf die Rehalp zu bringen», schrieb MP in der Ausgabe vom 6. Juni. Nicht nur viele Zolliker Schützen hatten den Anlass versäumt, «vor allem aber brachten einige Stadtvereine bedeutend weniger Schützen ans Feldschiessen, als zu erwarten war». Dabei hatten die Helferinnen und Helfer des Schützenvereins besonders viel Vorarbeit geleistet und hielten aussergewöhnlich viele Scheiben bereit, «um auch bei einem Grossaufmarsch längere Wartezeiten zu vermeiden. So war es für den Schützenverein alles andere als erfreulich, als er erkennen musste, dass die vielen Freizeitstunden, die für das diesjährige Feldschiessen zusätzlich aufgewendet wurden, leider keine Früchte trugen.» In jenem Jahr stellte der Schützenverein Zollikon 187 Teilnehmer am Feldschiessen. Schweizweit nahmen um die 230 000 Schützen teil.

Über ein halbes Jahrhundert später lassen einen diese Zahlen staunen. Über die damalige «Enttäuschung» würde sich heute mancher Schützenverein freuen. Der Schweizer Schiesssport hat in den vergangenen Jahrzehnten einen enormen Mitgliederschwund erlebt. Ein Grund dafür ist der geschrumpfte Armeebestand. Gab es 1969 noch bis zu 880 000 Wehrmänner, sind es heute gerade mal 100 000. Mit jeder Armeereform nahmen weniger teil an ausserdienstlichen Schiessprogrammen, kamen weniger junge Leute überhaupt auf den Geschmack des sportlichen Schiessens. Auch die Gesellschaft hat sich verändert. Vereine haben heute allgemein einen schweren Stand, wenn es um Mitgliedschaften und Nachwuchsförderung geht. Trotzdem bleibt das Feldschiessen das grösste Schützenfest der Welt. Dieses Jahr haben über 108 000 Schützinnen und Schützen teilgenommen. Aktuell zählt der Schützenverein Zollikon 130 Mitglieder, am diesjährigen Feldschiessen haben 71 mitgemacht.

Vielleicht erlebt der Schützenverein Zollikon und der Schiesssport im Allgemeinen künftig einen Aufschwung; vielleicht wird der Verein eines Tages wieder mit 200 Schützen antreten können. Auf dem Schiessplatz Rehalp jedoch findet kein Feldschiessen mehr statt; der Stand wurde 2006 verkauft und abgerissen, heute steht dort eine Wohnsiedlung.

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