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Helden ohne Waffen

Von Claudia Eberle-Fröhlich ‒ 21. September 2023

Was nach einer Feuerwehrübung auf dem Schulhausplatz Buechholz aussieht, ist in Wahrheit eine Instruktion am Dreh­leiterfahrzeug (ADL) aus dem Jahre 2004. Am vergangenen Samstag war es so weit. Eine Delegation der Feuerwehr Saporischschja reiste mit dem Auto nach Zollikon, um das Löschgefährt in ihre Heimat zu fahren.

Abschied und Neubeginn: Die Feuerwehr Zollikon übergab gemeinsam mit Vertetern des Gemeinderates und der Verwaltung die ausrangierte Autodrehleiter an die Rettungskräfte aus der Ukraine. (Bilder: zvg)
Abschied und Neubeginn: Die Feuerwehr Zollikon übergab gemeinsam mit Vertetern des Gemeinderates und der Verwaltung die ausrangierte Autodrehleiter an die Rettungskräfte aus der Ukraine. (Bilder: zvg)

Seit Kriegsbeginn in der Ukraine attackiert Russland immer wieder gezielt Energieinfrastruktur und trifft zudem städtische Regionen mit Wohnhäusern. So auch Saporischschja in der südlichen Ukraine. Die Stadt ist ein wichtiger Verkehrsknoten, ein Industriezentrum und kultureller Mittelpunkt mit Museen, Theater und vielen Hochschulen. Sie liegt lediglich 40 Kilometer vom grössten Atomkraftwerk Europas entfernt. Im März dieses Jahres ging dieses, nach der teilweisen Zerstörung, vom Netz.

Indes ist die üblicherweise 760 000 Einwohner grosse Stadt weiter ­unter Beschuss und ein grosser
Teil der Bevölkerung ist geflüchtet. Der verbliebenen Bewohnerschaft mangelt es seit langer Zeit an Strom und fliessendem Wasser. In diesen ­dramatischen und kriegerischen Wirren sind die Feuerwehr- und Rettungsschutzangehörigen von Saporischschja ununterbrochen im Einsatz. Über 2500 Helferinnen und Helfer kümmern sich täglich um die gebeutelten und verletzten Menschen. Sie retten Leben in brennenden Häuser, löschen Brände und bergen aus den Trümmern Menschen und Tiere.

Zweieinhalbtägige Anreise

Diese humanitäre Katastrophe ­bewog die Gemeinde Zollikon, die ­intakte, etwas in die Jahre ­gekommene Autodrehleiter nach Saporischschja zu verschenken (siehe Box). Fünf Angehörige des Feuerwehrtrupps der bedrohten und teilzerstörten Stadt legten mit ihrem Dienstwagen in zweieinhalb Tagen 2585 Kilometer in die Schweiz zurück.

Sascha Ullmann bedankte sich während der Übergabe beim Feuerwehrteam Zollikon dafür, der Autodrehleiter Sorge getragen zu haben. Am vergangenen Samstag übergab er den Freunden aus Saporischschja den Schlüssel in einem festlichen Rahmen beim Feuerwehrdepot. Die Helden ohne Waffen, wie die Feuerwehr von der Bevölkerung Saporischschja genannt wird, zeigten sich stolz und dankbar, dass sie im Sinne der humanitären Unterstützung diese für Hochhäuser geeignete Autodrehleiter in Empfang nehmen durften.

Einsätze unter Lebensgefahr

Unter die Haut ging die Dankesrede von Yuliia Baryshyva, Oberst und Pressesprecherin bei der Feuerwehr und Rettung in Saporischschja. Hoch erfreut über die grosszügige Unterstützung durch die Gemeinde Zollikon berichtete sie gleichwohl über die prekären und gefährlichen Momente während den Rettungs­aktionen ihrer Truppe: «Unsere ­Feuerwehr- und Rettungsbrigade begibt sich täglich in lebensgefährliche Einsätze.» In diesem Jahr seien es bereits über 1382 Grossbrände in der Stadt und über 1590 Brände unter Beschuss gewesen. Die Brigade habe 3531 Blindgänger entschärft und 177 Leben gerettet. Zum Schluss überreichte Yuliia Baryshyva dem Gemeindepräsidenten Sascha Ullmann die Glasskulptur «Das Feuer der Freundschaft».

Noch während des Umtrunks beim Zolliker Feuerwehrgebäude waren weitere emotionale Geschichten zu hören. Viktor etwa, ein Feuerwehrmann aus Saporischschja, zeigte Bilder auf seinem Handy mit seinem komplett zerstörten Haus. Trotzdem war er an diesem Nachmittag glücklich: Seine Frau und die kleine Tochter waren aus ihrem Flüchtlingsdomizil Deutschland nach Zollikon gekommen. Über ein Jahr lang hatte er seine Familie nicht mehr sehen können. Ein Zolliker Feuerwehkollege bemerkte offensichtlich betroffen: «Hier sind Sie im Paradies und am Montag müssen Sie zurück in die Hölle.»

Ausgemusterte Autodrehleiter

Welche Gemeinden eine Autodrehleiter (ADL) besitzen, wird von der Gebäudeversicherung (GVZ) geregelt. Diese teilte nach einer Neu­regelung der Feuerwehr Zollikon eine jüngere Drehleiter zu, die zuvor in Wallisellen im Einsatz gewesen war. Die Verantwortlichen bei der Feuer­wehr Zollikon machten sich Gedanken darüber, was mit der in die Jahre gekommenen, aber noch einsatzfähigen ADL passieren soll. Die Lösung brachte der Zolliker Feuerwehrmaterialwart Markus Schneider, der einen regelmässigen Kontakt zu seinem Kollegen Christian Streit in Hombrechtikon pflegt. Dieser wiederum hält seit dem Kriegsausbruch Beziehungen zum Rettungsdienst der Stadt Saporischschja aufrecht. In der Vergangenheit konnten dank ihm bereits mehrmals ausgemusterte Feuerwehrmaterialien für humanitäre Zwecke bereitgestellt und/oder in die Ukraine gebracht werden. Materialwart Markus Schneider fragte seinen Kollegen aus Hombrechtikon, ob die Ukraine an einem solchen Feuerwehrfahrzeug Interesse hätte. Die sofortige und positive Rückmeldung veranlasste André Müller, Ressortvorsteher der Abteilung Sicherheit und Umwelt, eine entsprechende Anfrage an den Gemeinderat einzureichen. Die Zustimmung des ganzen Gemeinderates kam postwendend.

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