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Keine «Grüsse aus Zumikon»

Von Birgit Müller-Schlieper ‒ 21. September 2023

Seit 25 Jahren arbeitet Stephan Ruckstuhl in der Zumiker Post­filiale. Ein Gespräch über den Online-Boom, griechische Vokabeln, Gruss-Postkarten und den kleinen Mittagsschlaf.

Seit 25 Jahren der Arbeitsort von Stephan Ruckstuhl: die Postfiliale am Zumiker Dorfplatz. (Bild: bms)
Seit 25 Jahren der Arbeitsort von Stephan Ruckstuhl: die Postfiliale am Zumiker Dorfplatz. (Bild: bms)

Herr Ruckstuhl, die Post stand ­früher auch für Postkarten aus dem Urlaub. Werden die noch ­geschrieben?

Ob welche ankommen hier in Zumikon, das wissen nur die Briefträgerinnen und Briefträger. Ab und an kommen Touristen, die hier Briefmarken für Postkarten kaufen. Wir verkaufen in unserer Filiale ja auch Karten für Geburtstage, Hochzeiten oder andere Anlässe. Karten mit einem Motiv aus Zumikon verkaufen wir nicht mehr. Die gab es mal, aber das hat sich für den Lieferanten nicht gelohnt. Dafür gibt es wohl nicht genug Tourismus. Ich selber schreibe aber Postkarten aus meinem Urlaub an Freunde und Freundinnen.

Vor allem während der Corona-Zeit hat das Online-Shopping zugenommen. Wie hat die Post das erlebt?

Während der Pandemie hatten wir im Gegensatz zu anderen Einrichtungen ganz normal geöffnet. Die Post hat immerhin einen Grundversorgungsauftrag. Ein- und Auszahlungen oder der Versand von Briefen und Paketen müssen gewährleistet sein. Durch das Kaufen am PC sind die Zahlen der Pakete und Päckchen natürlich explodiert. Die Briefträgerinnen und Briefträger haben täglich fünf oder sechs unserer Rollboxen erhalten für die Zustellung in Zumikon, Forch und Zollikerberg. Das war natürlich immens viel Mehrarbeit für die Briefträgerinnen und Briefträger, die seit ein paar Jahren auch Pakete zustellen. Es gab allerdings auch eine Wertschätzung des Arbeitgebers in Form von Sonderzahlungen für die Mitarbeitenden der Schweizerischen Post.

Auch Überweisungen werden vermehrt online vorgenommen. Merken Sie das im täglichen Geschäft?

Natürlich, das merken wir eindeutig. Die Anzahl der am Schalter ­verarbeiteten Einzahlungsscheine nimmt laufend ab. Was viele nicht wissen: Bei Problemen können wir auch beraten. Das muss nicht immer über die Hotline gehen. Bei den allermeisten Problemen finden wir eine Lösung – allerdings müssen wir dafür manchmal mit der Kundin oder dem Kunden auf den Dorfplatz gehen. Das Netz hier ist leider sehr schlecht.

Zumikon ist – nicht nur durch die internationale Schule – vielsprachig. Merken Sie das auch am Schalter?

Ich spreche Französisch und war auch schon im Welschland tätig. Ich spreche auch Englisch und neuerdings lerne ich griechische Vokabeln, da meine Freundin von einer griechischen Insel kommt. Was ich aber nicht mag, ist, wenn Kundinnen und Kunden ganz selbstverständlich auf Englisch anfangen. Das ist keine unserer Landessprachen und man sollte sich vielleicht vorher erkundigen, ob das in Ordnung ist.

Sie kommen seit einem Vierteljahrhundert auf den Zumiker Dorfplatz. Wie hat er sich verändert, wie erleben Sie ihn?

Es hat sich fast nichts verändert. Der Supermarkt, die Pizzeria, das Gemeindehaus, der Brunnen – alles wie immer. Ich finde den Platz nur sehr nackt und kahl. Was allerdings schön ist: Im Sommer lassen wir die Türe offen und vom Brunnen kommen kühle Luft und Kinderlachen. Das ist schon schön.

Haben die Menschen und Kundschaft sich in den 25 Jahren denn verändert?

Schon. Viele sind hektischer geworden und ungeduldiger. Manche grüssen oder verabschieden mich nicht mal mehr. Bei manchen Leuten habe ich den Eindruck, sie würden den Blickkontakt meiden, weil sie durch Handy, SMS oder Instagram den Kontakt mit Menschen gar nicht mehr kennen oder auch können. Es gibt aber auch die anderen. Menschen, die ich seit vielen Jahren kenne. Manchmal kommt jemand sehr lange nicht und dann kommen Verwandte und stellen einen Nachsendeauftrag. Dann weiss ich natürlich, was passiert ist.

Sie sind kein Freund der sozialen Medien?

Mittlerweile bin ich fast gar kein Freund mehr von Medien. Die vielen schlechten Nachrichten haben mir das irgendwie verleidet. Ich lese fast keine Zeitung, schaue kein Fernsehen, habe kein Facebook oder Instagram. Ich bevorzuge das echte Gespräch, auch das Streitgespräch, in dem man Argumente austauschen kann.

Sie haben jeden Tag zwei Stunden Mittagspause. Das ist sehr lang. Was machen Sie in der Zeit?

Ich lese die einzige Zeitung, die ich noch beziehe, ausführlich. Ich esse. Und dann habe ich eine besondere Gabe meines Vaters geerbt: Ich kann für ein Mittagsschläfchen ganz schnell einschlafen und bin nach dem Aufwachen schnell wieder fit. Da trifft es sich, dass wir ein Sofa im Keller unseres Gebäudes stehen haben.

Gibt es eigentlich das klassische Briefmarkensammeln noch?

Absolut. Es gibt die Sondermarken, es gibt Ersttagsumschläge mit Sonderstempel. Ganz neu erschienen sind nun vier verschiedene Briefmarken zum Kino-Epos «Lord of the Rings». Besondere Exemplare unserer Krypto-Briefmarken kann man auf Ricardo oder eBay ersteigern. Auf unserer Website finden Liebhaberinnen und Liebhaber von gezackten Kunstwerken vielerlei Sonderausgaben und auch Sammlerzubehör. Was ich besonders schön finde, sind die seit Jahren beliebten Weihnachtsbriefmarken. So versenden die Leute wenigstens zu Weihnachten noch ihre Grüsse und Wünsche per Brief.

Was wird für Sie persönlich die Zukunft noch bringen?

Ich wünsche mir sehr, dass ich meine Pension in dieser Filiale feiern kann und hoffe, dass es sie noch ganz lange geben wird – dazu braucht es aber auch die Bereitschaft der Kundschaft, unsere ­Filiale zu besuchen.

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