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Der Weltreisende und die Schimpansin

Von Joël J. Meyer ‒ 12. Oktober 2023

Ein Abenteurer auf der Suche nach Sinn. Thomas Spillmann lebt fürs Reisen und setzt sich für Schimpansen im Kongo ein.

Thomas Spillmann in seinem Refugium im Zollikerberg. (Bild: zzb
Thomas Spillmann in seinem Refugium im Zollikerberg. (Bild: zzb

Die Wohnung ist geschmackvoll schlicht eingerichtet, es herrscht Ordnung und Sauberkeit. Thomas Spillmann lebt mit seinem Partner im Zollikerberg, wo beide die Ruhe des Alltags geniessen. Doch ab und zu nimmt die Sehnsucht nach der Ferne überhand und der 43-Jährige stürzt sich in abenteuerliche Welten. «Manchmal brauche ich ein bisschen ­Chaos», sagt er, der ferne Orte und fremde Kulturen liebt. Der einige Monate in Argentinien verbrachte, wo er Spanisch lernte. Der in den Trubel Bangkoks eintauchte und sich immer wieder am Comer See findet, um nur ein paar Ecken zu nennen – «ich bin schon viel herumgekommen».

So wundert es nicht, dass er seine Karriere in der Reisebranche gemacht hat; von der Lehre über die Weiterbildung zum Tourismus­experten, langjähriger Erfahrung in Reisebüros bis zum Leiter der Abteilung für Geschäftsreisen am Hauptsitz der ABB Schweiz in Baden. In seiner heutigen Funktion ist er zuständig für die Koordination sämtlicher Mitarbeiterreisen, die von der Schweiz ausgehen oder mit Schweizer Projekten zusammenhängen. Zudem arbeitet er an strategischen Projekten auf globaler Ebene, beispielsweise an Rahmenverträgen für Reisen, an der Implementierung neuer Online-Tools oder auch in der Buchhaltung. Seine Arbeit gefällt ihm, vor allem wegen des Teams, mit dem er ausgezeichnet zusammenarbeite: «Wir halten wirklich zueinander, das ist Gold wert.»

Ein Pilot als Vorbild

Bei allem was er tut, ist Thomas Spillmann der Sinn wichtig. Dieser kam ihm während der Corona-Zeit etwas abhanden. Geschäftsreisen waren kaum möglich. «Wir mussten unsere Leute in die Schweiz zurückführen, dann wurde alles heruntergefahren.» Sein Team wurde in Kurzarbeit geschickt, er blieb ­allein zurück und schlug sich mit administrativen Aufgaben durch den Tag. Schwierig fand er, dass Menschen im Ausland, die vom Tourismus leben, plötzlich keine Arbeit, kein Einkommen mehr hatten. «Unter dieser Vorstellung habe ich sehr gelitten.» Das Bedürfnis, sich für einen guten Zweck einzusetzen, wuchs immer mehr. Bis er in den Sozialen Medien auf den Kanal ­eines Piloten stiess, der sich im kongolesischen Nationalpark Virunga gegen das Wildern einsetzt.

Der Pilot zeigte, wie er verwaiste Schimpansenkinder nach Lwiro in eine Auffangstation transportierte – im Cockpit auf seinem Schoss, denn in Kisten hätten die jungen Tiere noch viel mehr Angst gehabt. «Als ich das sah, wusste ich, das ist es, ich muss dorthin.» Thomas Spillmann hatte eine sinnstiftende Aufgabe gefunden. Über Umwege und dank seinen Spanischkenntnissen konnte er die Leiterin des «Centre de Rehabilitation des Primates de Lwiro» (CRPL), kontaktieren, eine Spanierin, und seinen Freiwilligeneinsatz organisieren. Was überraschend schnell ging: Er würde von Oktober bis Dezember 2022 in Lwiro sein.

Unverhoffte Begegnung

Thomas Spillmann traf alle nötigen Vorbereitungen und reiste über Ruanda in den Kongo. Das CRPL hatte ihm im Vorhinein gesagt, er würde keinen direkten Kontakt mit den Schimpansen haben; die Tiere müssen regelmässig gefüttert werden und können nicht auf Freiwillige warten, darum kümmern sich Profis um sie. Kaum angekommen, gab es zu tun. Es seien gerade viele ­junge Schimpansen angekommen, informierte die Leiterin des CRPL, die müssten gefüttert werden, er solle mal auf sie Acht geben. Da war auch Schimpansin Kalemi, von der Leiterin persönlich betreut. Als sie für einen Spendenanlass übers Wochenende verreisen musste, kam Kalemi in Thomas Spillmanns Obhut. «Ich passte von drei Uhr nachmittags bis morgens um acht auf sie auf.» Füttern, Windeln wechseln, in der Nacht ein Bett teilen, «es entstand eine unglaubliche Verbindung.»

Die Entwicklung der Schimpansin fand er bemerkenswert. «Anfangs war sie schüchtern und schreckhaft.» Dann gewann sie sein Vertrauen und lernte täglich Neues. «Essen, das sie nicht kannte, musste ich vor ihr in den Mund nehmen, damit sie es verstand.» Sie begann zu lachen, spielen und klettern, auch zusammen mit anderen Primaten. «Wenn sie mich sah, verabschiedete sie sich von den anderen und kam zu mir.» Kalemi machte seinen Aufenthalt in Lwiro unerwartet zu einem besonderen Erlebnis. Natürlich auch dank den anderen Tieren. «Die Schimpansen sind so unterschiedlich wie wir Menschen.» Nebst der Tierpflege kümmerte er sich um manch anderes, es gab immer etwas zu tun.

Refugium Zollikerberg

Zurück in der Schweiz trägt er Kalemi noch im Herzen. Ein gemeinsames Foto hat er nicht. «Das sind die Regeln. Die Tiere sollen den Pflegenden nicht zu nahekommen, da sie ja wieder in die Natur entlassen werden.» Thomas Spillmann plant 2024 einen nächsten Einsatz beim CRPL. Zudem möchte er mit seinem Partner nach Bolivien und Argentinien reisen, 2025 dann nach Japan zur Weltausstellung. Zu Hause im Zollikerberg wird ihm auch nicht langweilig. Als Ausgleich zur Büroarbeit macht er Yoga und Fitness – die Studios fand er über den Zolliker Zumiker Boten. Und die freiwillige Mitarbeit in der Kleiderabteilung des Chramschopfs findet er eine sinnvolle ­Tätigkeit für die Gemeinschaft. Immer wieder zieht er sich gern in die ruhige Wohnung im Zollikerberg zurück, in sein eigenes Refugium. Trotz – oder vielleicht gerade wegen – des harmonischen Ambientes kommt man nicht drum herum, sich nach all den Geschichten einen Schimpansen irgendwo in der Wohnung vorzustellen. Ein bisschen Chaos im Paradies.

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